70. Todestag
Milada Horáková - Ein Opfer zweier Diktaturen
"Ich falle, falle, diesen Kampf habe ich verloren, ich gehe in Ehren. Ich liebe dieses Land, ich liebe dieses Volk, baut seinen Wohlstand auf. Ich gehe ohne Hass gegen euch. Ich wünsche es euch, ich wünsche es euch..." Mitten im Satz endeten ihre letzten Worte. Dann schloss sich die Schlinge um ihren Hals. In der Tschechoslowakei richtete man 1950 noch mit dem Würgegalgen hin - kein langer Fall von einem hohen Gerüst, der das Genick brach und für einen schnellen Tod sorgte. Fast eine Viertelstunde kämpfte Milada Horáková an diesem Morgen des 27. Juni 1950 mit dem Tod durch langsames Erwürgen – als prominentestes Opfer eines infamen stalinistischen Schauprozesses.
Noch bis zuletzt hatten prominente Persönlichkeiten wie Eleanor Roosevelt, Winston Churchill, Bertrand Russell und Albert Einstein in Briefen versucht, den Präsidenten des Landes, Klement Gottwald, zu einer Begnadigung Horákovás zu bewegen. Doch der als „Stalins ergebener Lehrling“ bekannte Diktator, der 1948 die Kommunisten mit einem geschickten Coup an die Macht gebracht hatte, ging darauf nicht ein. Mit Milada Horákovás Hinrichtung konnte er sich einer international renommierten und demokratisch integeren Gegenspielerin entledigen.
Kaum eine historische Persönlichkeit wird heute in Tschechien noch so verehrt, ja sogar geliebt wie sie. In Prag gibt es seit dem Fall des Kommunismus 1989 etliche Denkmäler zu ihren Ehren, darunter eines vor dem Parlament. Eine der zentralen Verkehrsachsen ist nach ihr benannt. Václav Havel, der erste demokratisch gewählte Präsident des Landes verlieh ihr 1991 posthum den höchsten Orden des Landes. Der tschechisch-amerikanische Doku-Spielfilm Milada des Regisseurs David Mrnka, der ihr Leben dramaturgisch aufarbeitete, wurde 2017 ein Kinoerfolg und erhielt zahlreiche Preise. Horákovás symbolisches leeres Grab (Kenotaph) auf dem Nationalfriedhof – die Kommunisten hatten 1950 ihren Leichnam eingeäschert und die Asche an einem unbekannten Ort verstreut – ist stets mit Blumen und Kränzen überschüttet. Sie ist posthum das, was sie schon zu Lebzeiten war: eine Symbolfigur der Demokratie und der Freiheit im Lande.
Frauenrechtlerin der Ersten Republik
Horáková hatte sich schon früh in der 1918 aus dem zerschlagenen Habsburgerreich hervorgegangenen Ersten Tschechoslowakischen Republik politisch engagiert, als Frauen in der Politik noch selten waren. Die promovierte Juristin gehörte zu den Gründerinnen des Nationalen Frauenrats (Ženská národní rada, ŽNR), dem Dachverband aller Frauenrechtsbewegungen im Land. Zusammen mit dessen Vorsitzender Františka Plamínková, die kurz darauf als erste Frau in den Senat gewählt wurde, versuchte sie mit ihrem juristischen Sachverstand, die junge Republik zu einem Musterland in Sachen Gleichberechtigung zu machen. Trotz ihrer Nähe zur regierenden Tschechischen National-Sozialen Partei (Česká strana národně sociální, ČSNS), die als sozialliberale Partei trotz der Namensähnlichkeit auf keinen Fall mit den deutschen Nationalsozialisten verwechselt werden darf, blieben viele ihrer fortschrittlchen Vorstellungen zur emanzipatorischen Neugestaltung des Zivilrechts unberücksichtigt in der noch immer von Männern dominierten Politik.
In Hitlers Gefängnissen
Als Anfang 1939 Hitlers Armeen in Prag einmarschierten, stand der Frauenrat bei den neuen Machthabern besonders im Verdacht einer Gegnerschaft. In der Tat engagierte sich Horáková, wie auch andere Repräsentantinnen des Frauenrats, im bürgerlich-demokratischen Untergrund. Die Gestapo reagierte brutal. Plamínková wurde schon nach wenigen Wochen verhaftet und 1942 als Vergeltung für das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich hingerichtet. Horáková wurde im August 1940 verhaftet. Trotz Folter verriet sie keine Mitstreiter im Widerstand. Nach dem Heydrich-Attentat wurde sie ins Konzentrationslager Theresienstadt, 1944 dann nach Dresden verschleppt, wo man ihr den Prozess machte. Dank ihrer juristischen Fähigkeiten entging sie dabei überraschend dem Todesurteil und wurde zu acht Jahren Haft verurteilt. Im April 1945 wurde sie im Frauengefängnis von Aichach in Bayern von amerikanischen Truppen befreit und kehrte in ihr Heimatland zurück, wo unter Staatspräsident Edvard Beneš versucht wurde, das Land wieder auf einen demokratischen Kurs zu bringen. Obwohl sie manche Menschenrechtsverletzungen der unmittelbaren Nachkriegswirren anprangerte, unterstützte sie als neugewählte Parlamentarierin der wiedererstandenen ČSNS die Regierung. Denn es drohte eine neue Gefahr: Die Kommunisten, die bei den Wahlen im Mai 1946 zwar stärkste Partei geworden waren, aber weit davon entfernt waren, die Mehrheit zu erringen. Unter dem Druck der sowjetischen Miltärmacht im Lande musste jedoch Beneš Anfang Februar 1948 dem Rücktritt der mit ihm verbündeten bürgerlichen Regierungsmitglieder zustimmen und somit der kommunistischen Machtübernahme den Weg bereiten. Horáková protestierte im Parlament energisch dagegen. Zudem versuchte sie als neue Vorsitzende des Frauenrates, diesen vor der Gleichschaltung durch die Kommunisten zu schützen. Beides gelang nicht. Im März 1948 trat sie von ihrem Parlamentsmandat zurück. Die nicht-kommunistischen Parteien wurden kurz darauf verboten oder als „Blockparteien“ gleichgeschaltet. Im Frauenrat wurde sie von oben durch die Kommunistin Anežka Hodinová-Spurná ersetzt und sogleich verkündeten staatliche Stellen ihren offiziellen Ausschluss aus allen ihren öffentlichen Ämtern – und zwar symbolisch auch aus solchen, die sie nie innehatte.
„Volksjustiz“
Sie, die schon die Folterung durch die Nazis überstanden hatte, gab nicht auf. Ihr angebotene Möglichkeiten, aus dem Lande zu fliehen, schlug sie mutig aus. Im September 1948 traf sie sich im alten Pfarrhaus des abgelegenen Prager Stadtteils Vinoř heimlich mit vier bekannten Vertretern der nun ausgeschalteten demokratischen Parteien, um ein eventuelles gemeinsames Vorgehen unter den Bedingungen der neuen Diktatur zu diskutieren. Das Ergebnis des Treffens war eher mager. Die Frage eines gewaltsamen Vorgehens wurde nicht einmal in Erwägung gezogen. Auch die Idee, einen koordinierenden Dachverband der verschiedenen Widerstandszellen zu gründen, wie man es unter den Nazis getan hatte, wurde verworfen. Man einigte sich nur darauf, sich später wieder einmal auszutauschen.
Trotzdem wurde ihr das Treffen zum Verhängnis. Im September 1949 wurde sie von der Staatssicherheit, die davon Wind bekommen hatte, verhaftet. Das Treffen wurde mit fabrizierten Beweisen zu einem Teil einer Verschwörung umgeformt, die in Aufstand, Mordanschlägen, Umsturz und Anstiftung zum Krieg enden sollte. Das war völlig an den Haaren herbeigezogen. Im Gefängnis wurden Horáková und einige, zum Teil recht wahllos hinzugenommene, Widerständler wochenlang gefoltert, um sie reif für den anstehenden Schauprozess zu machen. Man kannte zu diesem Zeitpunkt bereits einige „Prozesse“ unter den Kommunisten und rechnete bereits mit einem unfairen Verfahren und harten Gefängnisstrafen. Aber bei diesem Prozess planten die Kommunisten Größeres, etwas, das man als „Volksjustiz“ begreifen sollte. Erstmals sollte ein solcher Prozess geradezu durchchoreographiert im Radio übertragen werden. Ausschnitte wurden für die Wochenschauen in den Kinos vorbereitet. Das Todesurteil sollte nicht nur ihinter verschlossenen Türen vom Zentralkommittee der Kommunisten gefällt und dann heimlich, aber verbindlich den willfährigen Richtern „zugesteckt“ werden. Stattdessen begannen die kommunistischen Funktionäre nun in den Betrieben und auch Versammlungen, die „Arbeiterklasse“ zu Petitionen zu bewegen, die den Tod der Angeklagten forderten. Rund 6300 solcher Petitionen gingen beim Gericht ein als wohlorganisierter Ausdruck des „spontanen“ Volkswillens. Als nach der Samtenen Revolution 1989 eine der für das Urteil gegen Horáková verantwortlichen Richterinnen, Ludmila Brožová-Polednová, wegen des Justizmordes vor Gericht kam, verteidigte sie sich noch zynisch damit, dass sie angesichts des eindeutigen Volkswillen ja wohl nicht anders hätte urteilen können.
Der Prozess gegen Horáková und 12 Mitangeklagte fand vom 31. Mai bis zum 8. Juni 1950 statt. Die Angeklagten mussten nur vorgefertigte Schuldbekenntnisse aufsagen, während sie mit zum Teil abenteuerlichen Beschuldigungen und Verhöhnungen überschüttet wurden. Horáková trat im Vergleich zu den anderen Angeklagten recht resolut auf und fügte beim Schlussplädoyer noch hinzu, dass über ihre Gegnerschaft zu den Machhabern am Ende nur Gott richten werde. Sie und drei andere Angeklagte wurden zum Tode, vier andere zu lebenslanger und fünf weitere zu Haftstrafen zwischen 13 und 28 Jahren verurteilt. Milada Horáková sollte jedoch die einzige Frau bleiben, die im Laufe der Schauprozesse in der Tschechoslowakei hingerichtet wurde.
Der letzte Brief aus der Todeszelle
Als einzige der zum Tode Verurteilten lehnte Horáková es ab, beim Präsidenten ein Begnadigungsgesuch einzureichen. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, denn die anderen Verurteilten, die dies taten, wurden trotzdem hingerichtet. Vor allem aber wollte sie einem Menschen wie Gottwald nicht unterwürfig gegenübertreten. In den Tagen vor ihrer Hinrichtung durfte sie im Gefängnis nur einmal kurz ihre Tochter Jana sehen. Als sie sie ein letztes Mal umarmen wollte, wurde sie von einem Wärter daran gehindert. Sie schrieb etliche Briefe, von denen der letzte, am Abend vor der Hinrichtung an ihre Tochter geschriebene Brief der eindringlichste und erschütterndste ist. Darin ermahnt sie die Tochter, für ihre Ideale opferbereit einzustehen und immer offen gegenüber Ideen zu sein: „Schäme dich nicht, eine Wahrheit zuzugeben, die du erkannt hast, auch wenn du vor einiger Zeit das Gegenteil verkündet hast. Sei nicht hartnäckig in deinen Ansichten, aber wenn du etwas für richtig hältst, dann sei so bestimmt, dass du dafür kämpfen und sterben kannst.“ Und weiter: „Ich habe ein schönes Leben geführt. Ich akzeptiere meine Strafe mit Resignation und unterwerfe mich demütig. Mein Gewissen ist klar und ich hoffe und glaube und bete, dass ich auch die Prüfung des höchsten Gerichts, Gottes, bestehen werde.“
Die Schergen der Kommunisten hatte ihr versprochen, den Brief nach der Hinrichtung an die Tochter auszuhändigen. Das taten sie erwartungsgemäß nicht. Erst nach der Samtenen Revolution fand man ihn unter den Akten der Staatsicherheit. Er wurde mit Jahrzehnten Verspätung der Tochter zugestellt und ist heute im Prager Nationaldenkmal auf dem Vítkov ausgestellt – als ein zu Herzen gehendes menschliches Zeugnis der Erinnerung an die Grauen des Kommunismus im Lande.
Der Prozess und die Hinrichtung markierten nicht das Ende, sondern den Anfang des kommunistischen Justizterrors. Bis zum Ende der unmittelbar stalinistischen Phase im Jahr 1953 (als beide – Stalin und sein Verehrer Gottwald – starben) gab es 35 solcher großen Schauprozesse. Im letzten Stadium, ab 1952, richteten sie sich nicht mehr nur gegen demokratische Oppositionelle wie Milada Horáková, sondern gegen „Abweichler“ in den eigenen kommunistischen Parteirängen. Der von hässlichen antisemitischen Tönen begleitete Prozess gegen den früheren Generalsekretär der Partei, Rudolf Slánský, der mit dem Todesurteil für ihn und 10 Mitangeklagte endete, bildete den Höhepunkt dieser Säuberungen.
In letzter Zeit gibt es in vielen Ländern eine Tendenz, die Schrecken des Kommunismus wieder ein wenig zu relativieren. Es ist eine Aufgabe der Geschichtsvermittlung, Unrecht als Unrecht, Terror als Terror zu benennen – gleich in welchem Gewand sie daherkommen. Von den Nazis gefoltert und eingesperrt und von den Kommunisten hingerichtet – Milada Horákovás politisches Wirken und ihr Ende sind ein Mahnmal für die Opfer des Totalitarismus jeglicher Couleur. Und für den Mut, dessen man bisweilen bei der Verteidigung von Freiheit bedarf.
Detmar Doering ist er Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Sitz in Prag.
Der Artikel erschien am 26.06.2020 im Focus und ist auch hier zu finden.