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Paneuroäisches Picknick
Ein Mahl unter freiem Himmel für Europas Einheit

35. Jahrestag des Paneuroäischen Picknicks an der ungarisch-österreichischen Grenze am 19. August 1989
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und Tamas Sulyok, Präsidenten der Republik Ungarn, sitzen vor dem Beginn eines Gesprächs anlässlich des 35. Jahrestags des Paneuropäischen Picknicks nebeneinander.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) und Tamas Sulyok, Präsidenten der Republik Ungarn, sitzen vor dem Beginn eines Gesprächs anlässlich des 35. Jahrestags des Paneuropäischen Picknicks nebeneinander.

© picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Am 19. August jährt sich ein Ereignis, dass zwischen den vielen Jahres- und Gedenktagen dieses Sommers auf keinen Fall vergessen werden darf: Der 35. Jahrestag des Paneuropäischen Picknicks an der ungarisch-österreichischen Grenze zwischen Sopron und Sankt Margarthen im Burgenland. Es kann mit Fug und Recht als wichtige Station auf dem Weg zum Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer sowie zur Wiedervereinigung Deutschlands und Europas bezeichnet werden.

Vorbereitet worden war das Picknick von der Paneuropa-Union und vom Ungarischen Demokratischen Forum (Magyar Demokrata Fórum, kurz: MDF), einer 1987 gegründeten konservativ-liberalen Oppositionspartei. Es war als friedliche, von der Regierung genehmigte Demonstration konzipiert. Sie sollte, so lässt sich rückblickend sagen, eine entscheidende Rolle im weiteren Kontext der Revolutionen von 1989 spielen und einen Anteil am Sturz der kommunistischen Führungscliquen in Mittel- und Osteuropa haben.

Ungarn als Wegbereiter der schrittweisen Öffnung

1989 war ein turbulentes Jahr für die Länder des damaligen Ostblocks. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung durch die Sowjetunion formulierten sie ihren Wunsch nach Unabhängigkeit und ihre Vision vom Ende der politischen Zweiteilung Europas mit wachsendem Selbstbewusstsein. Im Paneuropäischen Picknick wurde manifest, was sich bis dahin noch den Vorwurf der naiven Tagträumerei hatte gefallen lassen müssen. Für ein paar Stunden wurde ein jahrzehntelang geschlossen gehaltenes Grenztor zwischen Österreich und Ungarn geöffnet. Dieser Schritt war zuvor offiziell von der kommunistischen Führung in Budapest genehmigt worden.

Zu Beginn des Jahres hatte Otto von Habsburg, Sohn des letzten Kaisers in Wien und namhaftes Mitglied des Europäischen Parlaments, an der Universität Debrecen in Ungars Osten eine Rede gehalten, in der er sich im Vorfeld der für Juni anberaumten Wahlen zum Europäischen Parlament für einen Kontinent ohne Grenzen starkmachte. Als Reaktion auf diese Rede schlugen Vertreter des MDF vor, ein Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze und damit im Schlagschatten des Eisernen Vorhangs zu veranstalten, um die Beziehungen zwischen den beiden im Ost-West-Konflikt getrennten Nachbarstaaten in normale Bahnen zurückzuführen. Der damalige ungarische Ministerpräsident Miklós Németh sollte später einmal erklären, dass sich mit dem Picknick für die ungarische Regierung eine Möglichkeit geboten hatte, die schwelende Krise um die sich im Land aufhaltenden und nicht in ihre Heimat zurückkehren wollenden Touristen aus der DDR zu entschärfen. Deren Situation war kritisch, rechtlich und humanitär: Sie hatten kein Visum und lebten in Zeltstädten. Das Picknick am offenen Grenzzaun nutzten rund siebenhundert Ostdeutsche, um in den Westen zu fliehen.

Das Paneuropäische Picknick entfaltete also eine Strahlkraft, die weit über den 19. August hinaus wirkte. Es setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die den Fall des Eisernen Vorhangs und mit ihm der Berliner Mauer beschleunigten. Ungarn, das bereits im Mai 1989 begonnen hatte, seine Zäune zu entfernen, hat sich mit seiner Gastgeberrolle um die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas verdient gemacht. Im September 1989 gab Budapest die Öffnung seiner Grenzen für DDR-Flüchtlinge auch ganz offiziell bekannt, eine Entscheidung, die das Honecker-Regime dazu zwang, seine restrikte Reisepolitik zu modifizieren. Herr des Verfahrens war die politische Führung in Ost-Berlin allerdings nicht mehr. Die Risse im Fundamente der kommunistischen Herrschaft waren bereits im Sommer 1989 überall in Mittel- und Osteuropa unübersehbar.

Erinnerung als mögliche Treibkraft

1989 brillierte Budapest in der Rolle des politischen Avantgardisten. Heute, dreieinhalb Jahrzehnte später, ist von diesem Glanz nicht mehr viel geblieben. Unter Langzeit-Ministerpräsident Viktor Orbán, seit 2010 zum zweiten Mal im Amt, hat sich Ungarn von einem demokratischen Rechtsstaat immer stärker zu einer autoritär geführten Kleptokratie entwickelt. Immer wieder bietet das Land, obwohl längst Mitglied in der EU und der NATO, den anderen Mitgliedern der europäischen und nordatlantischen Staatenfamilie Anlass zur Kritik.

Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Ungarn zu den ersten Ländern gehörte, die sich leidenschaftlich für die Wiedervereinigung Europas eingesetzt haben. Aus Anlass des Jahrestags des Picknicks besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den damaligen Veranstaltungsort, zusammen mit seinem Budapester Amtskollegen Tamás Sulyok. Die Visite ist nicht nur eine Hommage an den damaligen Mut des ungarischen Volkes, sondern auch eine Erinnerung an die Werte, die den Kontinent einst zusammengeführt haben. Das Picknick hat gezeigt, welche Kraft kollektives Handeln trotz aller Oppressionen haben kann. Es ist gut, dass daran erinnert wird. In einer Zeit, in der Europa zunehmend zersplittert zu sein scheint, kann die Besinnung auf die Sternstunden der Vergangenheit ein erneutes Engagement für die Grundsätze der liberalen Demokratie, für die Menschenrechte und die europäische Einheit bewirken.