Deutsch-französische Beziehungen
Neustart für die deutsch-französische Achse

In Frankreich sind die Hoffnungen auf einen Neustart in den deutsch-französischen Beziehungen hoch.
© picture alliance / Rainer Jensen/dpa | Rainer JensenEine neue Phase des Neogaullismus sei eingeleitet - was sich Frankreich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, müssen viele europäische Hauptstädte nun in ein paar Wochen lernen. Mit einer gewissen Genugtuung schilderte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu der Präsidentenpartei „Ensemble pour la République“ (ehemals „Renaissance“) das neue geopolitische Selbstverständnis seiner europäischen Partner im Kontext des Ukrainekriegs und dem sich abzeichnenden Rückzug der Amerikaner für die europäische Sicherheit. Macrons erste und zweite Sorbonne-Rede, die Doktrin der Aufrüstung, das französische Paradigma der strategischen Autonomie und der Forderung eines stärkeren und resilienteren Europas haben die Europapolitik der letzten Jahre entscheidend geprägt. Doch vielen der von Macron geforderten Integrationsschritten hin zu mehr europäischer Souveränität sind keine Taten gefolgt, was den Europäern nun vor die Füße fällt. Insbesondere die deutsche Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz wurde dabei aus französischer Sicht immer wieder als zu zögerlich wahrgenommen, auch wenn Deutschland im Rahmen der ausgerufenen „Zeitenwende“ erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um seine Bundeswehr zu ertüchtigen und sich auch mental für ein neues Zeitalter der Geopolitik zu rüsten. Entsprechend hoch sind in Frankreich die Hoffnungen auf einen Neustart in den deutsch-französischen Beziehungen unter einem als wesentlich gradliniger und geopolitisch versierter wahrgenommenen neuen Bundeskanzler Friedrich Merz.
Merz-Macron – ein neues Dreamteam?
Noch vor seinem eigentlichen Amtsantritt traf sich der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz unmittelbar nach seinem Wahlsieg mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Élysée-Palast und machte damit deutlich, wie wichtig ihm die Beziehung zum Partnerland sei. Insbesondere in Zeiten der aktuellen geopolitischen Umwälzungen scheint ein neues deutsch-französisches Führungsduo mehr als angebracht, um gemeinsam neue Antworten im Umgang mit den Großmächten USA, Russland oder China zu finden.
Bereits in seiner Rede Anfang Dezember vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik warb Merz u.a. für die Einrichtung einer Kontaktgruppe aus Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien, für eine gemeinsame europäische Strategie zur Unterstützung der Ukraine – mit dem Ziel der Beendigung dieses Krieges. Seit Friedrich Merz sich während der „Elefantenrunde“ am Abend der Bundestagswahl klar für mehr europäische Unabhängigkeit ausgesprochen hat, sind in Frankreich die Zweifel zunehmend ausgeräumt, gilt Friedrich Merz doch traditionell als überzeugter Transatlantiker. Spätestens mit den erschütternden Äußerungen von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und dem darauffolgenden Riss der transatlantischen Partnerschaft steht fest, dass Deutschland künftig eine führende Rolle in der europäischen Verteidigungspolitik übernehmen muss. Dass die deutsch-französische Achse „höchst relevant auf dem Weg zu einer strategischen europäischen Autonomie“ sei betonte zuletzt auch die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich vom Leadership Macrons in der Ukraine Frage und seinem beherzten Vorgehen gegenüber Amerika beeindruckt zeigte.
Massive Investitionen in Verteidigung nötig
Nun hat Macron dazu aufgerufen, die Verteidigungsausgaben seines Landes von aktuell 2,1% auf 3 bis sogar 3,5% des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Der französische Präsident hat dazu in seiner Fernsehansprache am 5. März erklärt, dass die Erhöhung des Verteidigungsbudgets nicht ohne weitere Einsparungen der öffentlichen Ausgaben erfolgen könnte. Und er hat erneut darüber nachgedacht, ggf. private Spareinlagen der Franzosen zur Finanzierung heranzuziehen. Die 2024 ursprünglich vorgesehene Umleitung von Sparguthaben zur Finanzierung der Rüstungsindustrie wurde aufgrund des Widerstands in der französischen Nationalversammlung letztlich nicht umgesetzt und steht nun neu zur Debatte. Zugleich hat er jegliche Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen. Frankreich sieht für 2025 Ausgaben für seine Armee in Höhe von 50,5 Milliarden Euro vor. Diese müssten insgesamt auf 90 Milliarden Euro steigen bei entsprechend neuem Ambitionsniveau. Eine ähnliche Diskussion stellt sich auch in Deutschland, aber Friedrich Merz verweist zurecht auf den anstehenden NATO-Gipfel im Juni 2025, in dessen Rahmen sich die NATO-Staaten insgesamt auf neue Zielmarken einigen sollten.
Mit Enthusiasmus aber auch einem gewissen Argwohn wird derweil aus Paris die Ankündigung Berlins wahrgenommen, im Rahmen der Reform der Schuldenbremse die Verteidigungsausgaben von dieser auszunehmen, die noch vor Beginn der neuen Legislatur im Bundestag von CDU, SPD und Grünen über die Bühne gebracht werden soll. Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßte, dass mehr Geld in die Bundeswehr investiert werden soll, dies aber nicht dauerhaft über eine Schuldenfinanzierung realisiert werden könnte und das Sondervermögen zielgerichteter auf die deutsche Verteidigungsfähigkeit ausgerichtet werden müsste. Frankreich sieht in der Kehrtwende von Friedrich Merz, der im Wahlkampf noch eine grundlegende Reform der Schuldenbremse ausschloss und sich gegen übermäßige Verschuldung aussprach, nun das Ende der deutschen Austerität. Ähnlich verhält es sich mit der deutschen Zustimmung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, bei dem die Verteidigungsausgaben im Rahmen von nationalen Ausnahmeklauseln von der Gesamtverschuldung ausgeklammert werden sollen. Mehr Geld für Verteidigung auf europäischer Ebene, wie es der von Ursula von der Leyen vorgestellte Plan „ReArm Europe“ vorsieht, ist sicherlich nötig, um die Verteidigungsfähigkeit der EU voranzubringen.
Allerdings bringt nur mehr Geld nicht zwangsläufig mehr Effizienz mit sich, wie das deutsche Beispiel zeigt: trotz des 100 Milliarden Sondervermögens für die Bundeswehr sind bislang nur rund 20 Milliarden auch wirklich an Mitteln abgeflossen, weswegen ein Beschaffungsbeschleunigungsgesetz dringend notwendig ist.
Zentral wird in den nächsten Monaten sein, ob mit der Diskussion um eine Stärkung der europäischen Verteidigung auch eine Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit einhergehen wird. Doch wie schwierig insbesondere neue gemeinsame Industrieprojekte in der Rüstungskooperation sein können, zeigen das deutsch-französische Panzerprojekt Main Ground Combat Combat System (MGCS) und das deutsch-französisch-spanische Luftkampfsystem Future Combat AIr System (FCAS).
Deutsch-französische Rüstungsprojekte zeigen Tücken der europapolitischen industriellen Zusammenarbeit auf
Deutschland und Frankreich haben mit dem Main Ground Combat System (MGCS) ein ambitioniertes Rüstungsprojekt ins Leben gerufen, das den Leopard 2 und den Leclerc ersetzen soll. Während Frankreich auf innovative Lösungen für seine eigenen Streitkräfte drängt, verfolgt Deutschland einen pragmatischeren Ansatz, der stärker auf den Exportmarkt ausgerichtet ist. Diese divergierenden Prioritäten erschweren die Einigung auf eine gemeinsame technische Basis. Zudem gibt es Spannungen um die industrielle Führung, insbesondere durch den Einfluss von Rheinmetall, das sich zunehmend als eigenständiger Akteur positioniert. Hinzu kommt die Konkurrenz durch alternative Projekte: Rheinmetall entwickelt mit dem Panther KF51 bereits ein eigenes modernes Kampfpanzerkonzept, das als eigenständige Lösung vermarktet wird. Dies untergräbt aus französischer Sicht die ursprüngliche Idee des MGCS als gemeinsames europäisches Vorzeigeprojekt. Auch die mögliche Einbindung weiterer Partnerländer bleibt umstritten – während einige Akteure eine breitere europäische Kooperation befürworten, fürchten andere, dass dies den Entwicklungsprozess weiter verlangsamt.
Zudem arbeiten Frankreich, Deutschland und Spanien gemeinsam an FCAS, das als "System of Systems" konzipiert ist. Sein Kernstück bildet ein Mehrzweck-Kampfjet der nächsten Generation, der mit einer Flotte autonomer Drohnen zusammenarbeitet. Ziel ist es, gegnerische Verteidigungen zu durchbrechen, Aufklärungsmissionen durchzuführen und elektronische Kriegsführung zu ermöglichen. Die Einführung ist für 2040 geplant, doch Verzögerungen und geopolitische Unsicherheiten gefährden diesen Zeitplan bereits jetzt.
Beide Projekte stehen nicht nur vor technischen und finanziellen Herausforderungen, sondern auch vor politischen Zerreißproben. Ein für Dezember 2024 geplantes Gipfeltreffen zur weiteren Abstimmung des FCAS wurde aufgrund der politischen Instabilität in Deutschland und Frankreich abgesagt. Gleichzeitig wird innerhalb Berlins zunehmend diskutiert, ob MGCS und FCAS realistische Verteidigungsprojekte oder bloße politische Wunschvorhaben sind, die immense Ressourcen binden, während eine unmittelbare Steigerung der Kriegstüchtigkeit Priorität haben sollte.
Ein deutscher Rückzug aus dem FCAS könnte allerdings schwerwiegende Konsequenzen haben, würde Deutschland sich dann voraussichtlich dem britisch-italienisch-japanischen Global Combat Air Programme (GCAP) anschließen, was einer Abkehr von der europäischen strategischen Autonomie gleichkäme – ein innenpolitisches Desaster für Präsident Macron. Aber Friedrich Merz scheint sich eher für eine deutsche Beteiligung an beiden Programmen auszusprechen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Berlin an seinen Ambitionen festhält oder pragmatische Kürzungen in Betracht zieht.
Öffnet Frankreich seinen nuklearen Schutzschirm?
Neben diesen Großprojekten stellt sich eine noch grundlegendere Frage der europäischen Sicherheitsstrategie: Deutschland erwägt eine engere Einbindung in den französischen nuklearen Schutzschirm. Dies wirft eine Vielzahl an offenen Fragen auf, die dringend geklärt werden müssten. Politisch müsste abgestimmt werden, ob dies ausschließlich eine bilaterale Absprache bleibt oder ob andere EU-Staaten einbezogen werden, insbesondere Großbritannien, dass ebenfalls über Nuklearsprengköpfe verfügt. Auch die NATO müsste sicherstellen, dass eine solche Kooperation die US-Nukleargarantie nicht infrage stellt. Militärisch sind zentrale Punkte wie Befehlshoheit, Abschreckungsstrategie und Infrastruktur zu definieren. Doch Emmanuel Macron hat in seiner Fernsehansprache am 6. März bereits die Kritik insbesondere seitens des Rassemblement National ausgeräumt, dass die Entscheidungshoheit geteilt werden könnte. Macrons Vorschlag sieht vielmehr vor, dass Frankreichs Abschreckungskräfte künftig auch mit europäischen Partnern gemeinsame Übungen durchführen. Besonders kritisch ist allerdings die Kostenfrage: Würde Deutschland sich finanziell beteiligen, und wenn ja, in welchem Umfang? Zudem ist fraglich, ob Frankreich bereit wäre, technologische Informationen zu teilen oder seine Doktrin für eine europäische Abschreckung anzupassen. Schließlich muss sich Deutschland innenpolitisch der Debatte stellen, ob ein solcher Schritt verfassungsrechtlich möglich ist.
Der Parteivorsitzende des Rassemblement National, Jordan Bardella, kommentierte hingegen lapidar, dass wenn Deutschland unter den französischen Nuklearschirm wollte, es doch Rafale und nicht amerikanische F35-Raketen kaufen sollte. Ohnehin sei die Idee einer europäischen Verteidigungsunion ein „Hirngespinst“ so Bardella im Interview mit France Inter. Aus Frankreich wurde wiederholt bemängelt, dass sich Deutschland seit seiner Zeitenwende vor allem mit amerikanischen Waffen versorgt hat, die Kritik Bardellas wird durchaus auch in weiteren politischen Kreisen geteilt. Éric Trappier, Chef des französischen Luftfahrtunternehmens Dassault Aviation forderte sogar, dass Deutschland seine F-35 Bestellungen wieder rückgängig machen sollte.
Diese und andere potenzielle Streitthemen wird das deutsch-französische Tandem nun angehen müssen. Der grundsätzliche Wille zu einer intensiveren Zusammenarbeit ist definitiv vorhanden. Neben den außen - und verteidigungspolitischen Fragen gibt es ein ganzes Projektheft an angefangenen Initiativen, die nur darauf warten, konkretisiert zu werden. Die deutsch-französische Wettbewerbsagenda, die beim letzten deutsch-französischen Ministerrat 2024 verkündet wurde, weist große Überschneidungen mit dem von der Europäischen Kommission kürzlich verkündeten Omnibus-Initiative auf. Diese hat durch Erleichterungen beispielsweise im Lieferkettengesetz oder dem CO2-Grenzausgleich zum Ziel, die zahlreichen Berichtspflichten der EU um insgesamt 25% auf das nötige Maß zu reduzieren, um so insbesondere mittelständische Unternehmen in der EU zu entlasten. Der Vorsitzenden der Renew-Europe Fraktion, Valérie Hayer, gehen die Vorschläge noch nicht weit genug, die Fraktion im Europaparlament spricht sich etwa für einen verpflichtenden Überprüfungsmechanismus europäischer Gesetzgebung oder der Schaffung eines europäischen Unternehmensstatus aus. Ein weiterführender bilateraler Austausch zwischen Deutschland und Frankreich im Bereich der Entbürokratisierung und E-Government wäre ein sinnvoller nächster Schritt, um die Omnibus-Initiative und darüber hinausgehende Ideen auch transnational zu unterfüttern. So könnten auch im Kleinen weitere Ideen für eine Angleichung verschiedener digitaler Systeme entwickelt werden, die dann auf europäischer Ebene multipliziert werden. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz gilt es zudem, die Zusammenarbeit weiter zu festigen, nachdem in Paris ein internationaler Gipfel ausgetragen wurde, bei dem auch eine größere deutsche Wirtschaftsdelegation zugegen war. Sobald die neue Regierungsmannschaft steht, sollten Deutschland und Frankreich sich gezielt und auf Basis des Aachener Vertrags auf den Weg machen, bereits festgelegte Ziele mit konkreten Initiativen zu unterfüttern und dabei auch vor größeren Fragen der Weiterentwicklung der europäischen Integration nicht zurückschrecken. Es bleibt dabei zu hoffen, dass die politische Instabilität in Frankreich nicht zu einer weiteren Regierungskrise führen wird und somit beide Länder das Gelegenheitsfenster, das sich bis zum Amtsende 2027 des französischen Präsidenten bietet, konstruktiv nutzen werden.
Jeanette Süß ist seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) des französischen Instituts für internationale Beziehungen (Ifri). Zuvor war sie als European Affairs Managerin beim Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, wo sie unter anderem die Frankreich-Projekte der Stiftung betreute.