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Europäische Union
Europäische Werte unter Stress: die slowenische EU-Ratspräsidentschaft

Ein Gastbeitrag einer slowenischen Partnerin der FNF Prag
Janez Janša
Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša vor einer Flagge der EU © picture alliance / ZUMAPRESS.com

Die kommenden sechs Monate, vom 1. Juli bis 31. Dezember 2021, wird Slowenien zum zweiten Mal in seiner Geschichte die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union innehaben – das erste Mal richtete Slowenien die Präsidentschaft im Jahr 2008 aus. Der derzeitige slowenische Ministerpräsident Janez Janša wird seinen portugiesischen Vorgänger António Costa am Steuer des Rats der EU ablösen.

Die Aufgabe, die dem slowenischen Ministerpräsidenten und Vorsitzendem der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS) bevorsteht, wird kein Selbstläufer sein. Janša sieht sich nicht nur mit nationalen Kontroversen konfrontiert – seine Regierung wird der Einschränkung der Medienfreiheit in seinem Land beschuldigt – sondern auch mit einer Europäischen Union, die sich momentan großen Herausforderungen stellen muss, insbesondere derjenigen des Klimawandels sowie der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und deren Folgen.

Viele Beobachter sind der bevorstehenden Präsidentschaft von Janša kritisch gegenüber eingestellt. Zu den Gründen gehören vor allem Handlungen und Aussagen des slowenischen Ministerpräsidenten: xenophoben Aussagen im Kontext von Migration, Attacken auf die slowenische Rechtsstaatlichkeit, explizite Einschüchterung der freien Medien. Der slowenische Ministerpräsident ist bekannt für seine „illiberalen“, nationalistischen und verschwörungstheoretischen Positionen und seine Attacken auf die Presse. Ein solches Verhalten untergräbt die politischen Institutionen Sloweniens und steht im Widerspruch zu den Werten, die die EU vertritt.

Gleichwohl werden Janša und Slowenien die Aufgabe haben, in Kooperation mit den anderen EU-Institutionen die europäische Agenda für die nächsten sechs Monate zu steuern. Die Fragen liegen auf der Hand: Was sind die Prioritäten der slowenischen Präsidentschaft, und wie wirkt sich die innenpolitische Situation Sloweniens auf die Prioritäten und Handlungsfähigkeit der Präsidentschaft aus? Wird die Lage der Pressefreiheit in Slowenien die Ratspräsidentschaft beeinflussen, insbesondere die Aufgabe einer jeden Präsidentschaft, die Kompromissbildung zu befördern?

Die slowenische Agenda und nationale Probleme

Die größten Themen, die die slowenische Präsidentschaft angehen möchte, sind die Erholung nach der COVID-19-Pandemie, die Zukunft Europas, Respekt für Rechtsstaatlichkeit und die Stärkung der Sicherheit und Stabilität in Europas Nachbarschaft. Zusätzlich werden Digitalisierungsthemen und der Einsatz künstlicher Intelligenz laut des slowenischen Ministers für Digitalisierung Boštjan Koritnik eine große Rolle spielen. Im Einklang mit europäischen Bestrebungen auf diesem Gebiet ist das Vorantreiben der digitalen und grünen Transformation ein weiteres Ziel der slowenischen Präsidentschaft. Die Gestaltung einer grüneren Union wird auch im europäischen „Green New Deal“ vom Dezember 2019 hervorgehoben und ist ein Thema von hoher Relevanz für die EU in den kommenden Jahren. Die zweite Herausforderung für die slowenische Präsidentschaft ist die Bekämpfung der Covid-19 Pandemie. Diese Aufgabe musste zuvor bereits von der portugiesischen Präsidentschaft und von der deutschen Präsidentschaft, die von Juli bis Dezember 2020 geleitet wurde, gemeistert werden. Die EU-Kommission hat bereits einen Impfpass eingeführt, um die Mobilität innerhalb der EU wiederherzustellen, wovon besonders Wirtschaft und Tourismus profitieren. Mit dem Abschwächen der Pandemie im Sommer und der fortschreitenden Impfkampagne sollte die Reisetätigkeit bald wieder zunehmen.

Zuhause verfolgt Janša die sogenannte „Machismo-Taktik“, um die Pandemie zu bekämpfen: laut ihm wird Corona bald besiegt sein. Er erklärte auf Twitter, einem Medium, das er ähnlich wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump intensiv nutzt, dass „so gut wie 800.000 von 2,1 Millionen Menschen in Slowenien bereits geschützt sind vor dem Virus, entweder weil sie bereits geimpft wurden oder weil sie von der Krankheit genesen sind.“ Janša ist seit März 2020 Ministerpräsident Sloweniens, er sitzt der SDS seit 1993 vor und wird in seiner dritten Amtszeit als Ministerpräsident zunehmend repressiv gegenüber der Pressefreiheit im Land. Der Beginn der Präsidentschaft im Rat der EU findet zur Zeit einer politischen Krise in Slowenien statt – Janša verliert Unterstützung im Parlament. Des zunehmenden Autoritarismus beschuldigt, kontrolliert er momentan 38 Sitze im Parlament – 26 von seiner eigenen Partei SDS, fünf von der SMC (Partei des modernen Zentrums) und sieben von der NSI (Neues Slowenien – Christliche Volkspartei). Nichtsdestotrotz ist diese Anzahl an Sitzen unzureichend, um eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu bilden. Gelegentlich erhält die Regierung Unterstützung der rechten Partei SNS (Slowenische Nationalpartei, 3 Sitze) und der Italienischen und Ungarischen Minderheiten (2 Sitze). Im Dezember 2020 verließ die Rentnerpartei DeSUS die Regierungskoalition, aber die Fraktion ist immer noch gespalten, wenn es um die Unterstützung von Janša geht.

Die Orbánisierung der Slowenischen Medien

Die Agenda der Präsidentschaft könnte überschattet werden von wachsenden Bedenken hinsichtlich der Medienfreiheit im Land. Ungeniert bedroht Janša bedroht Presse und Journalisten. Der Ministerpräsident hat sich des Öfteren als Unterstützer des ungarischen Premierministers Viktor Orbán gezeigt, der eine aggressive und einschüchternde Medienpolitik verfolgt, die von Janša nachgeahmt wird und für Aufregung und ernsthafte Bedenken sorgt. Laut eines Berichts von „Reporter ohne Grenzen“ aus dem Jahr 2020 ist Slowenien beim Press Freedom Ranking im Vergleich zum Vorjahr vier Plätze abgerutscht. Janša hat Journalisten mehrmals als Lügner beschimpft, besonders seit der Veröffentlichung eines kritischen Berichts von Politico im Februar 2021, der sich in Europa rasch verbreitete und Aufmerksamkeit auf die Orbánisierung der slowenischen Medienlandschaft lenkte. „Reporter ohne Grenzen“ berichten weiter, dass Politiker in Slowenien Pressevertreter wegen Diffamierung anzeigen, um Journalisten einzuschüchtern. Kürzlich verschärfe Janša die Mediengesetze, um „dem Beispiel Orbáns zu folgen und Schritte einzuleiten, die redaktionelle und finanzielle Unabhängigkeit des öffentlichen Fernsehens und der nationalen Presseagentur zu untergraben, indem er finanzielle Unterstützungen strich“, so der Report.

Im Februar 2021 entschied sich die Regierung dazu, Zahlungen an die staatliche slowenische Nachrichtenagenturen STA einzustellen, die Janša als „nationale Schande“ bezeichnete. Kurzfristig erzeugte finanzielle Unsicherheit bedroht die Ausführung vieler redaktioneller Projekte und Investitionen in die Weiterentwicklung der Agentur. „SDS-Unterstützer gründen eine alternative nationale Nachrichtenagentur, welche auf Parteipropaganda beruht“, so „Reporter ohne Grenzen“. „Die privaten Medien leiden wirtschaftlich unter dem Verbot des Verkaufs von Zeitungen in kleinen Geschäften und Kiosken unter dem Vorwand, die Coronakrise zu bekämpfen.“ Die Pandemie als einen Grund zur Untergrabung der Presse zu nutzen ist eine Strategie, die von vielen Autokratien weltweit verfolgt wird. Blaž Zgaga, ein bekannter investigativer Journalist aus Slowenien, hinterfragte das Management der Corona-Pandemie seiner Regierung und wurde zum Opfer übelster Hetzkampagnen in den Sozialen Medien – Ereignisse wie diese treiben Journalisten oft indirekt zur Selbstzensur.

Eine Schande für die EU?

Slowenien wird sich in den kommenden sechs Monaten an der Spitze des Rats großen Herausforderungen stellen müssen. Allerdings werden Janšas Umgang mit den Medien und seine Kampagnen gegen Andersdenkende unweigerlich kritische Stimmen im Hinblick auf seine Rolle an der Spitze der EU-Ratspräsidentschaft lauter werden lassen. Der Druck, den er auf die nationale Nachrichtenagentur ausübt, und die Verhöhnungskampagnen, die gegen Journalisten gerichtet sind, schaden dem Bild der slowenischen Präsidentschaft gewaltig. Janšas Politik der Einschränkung der Medienfreiheit, ebenso ein Merkmal Polens und des orbánisierten Ungarns, wird von den Europäischen Institutionen nicht auf die leichte Schulter genommen. Tatsächlich hat die Europäische Kommission im Februar 2021 Janša persönliche Attacken auf Journalisten, welche über den Verfall der Rechtsstaatlichkeit in Slowenien berichteten, verurteilt.

Gegen Polen und Ungarn wurden EU-Verfahren eingeleitet, da ihnen Verstöße gegen fundamentale Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie vorgeworfen werden. Die Orbánisierung von Slowenien wird von Janša effektiv und mit Entschlossenheit vorangetrieben: nicht nur in der Form von Einschüchterung der Medien, sondern auch NGOs und kultureller Institutionen. Vom Europäischen Parlament wird Janša aufgefordert, die Behinderung der Arbeit der Europäischen Staatsanwaltschaft zu beenden. Dies alles trägt nicht zu einem guten Start der Ratspräsidentschaft bei. Die Tatsache, dass die slowenische Präsidentschaft untrennbar mit einem polarisierenden, Trump-ähnlichen Ministerpräsidenten, der unverblümt ausländische wie heimische Medien attackiert, verknüpft ist, erschüttert die gemeinsamen europäischer Werte.

Amedeo Gasparini studiert Internationale Beziehungen an der Karls-Universität in Prag.