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Slowakei
Kein liberales Wunder in der Slowakei: Prorussische SMER-Partei gewinnt die Wahl

Robert Fico
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Darko Bandic

Die letzten Umfragen kurz vor der Wahl gaben Anlass zur Hoffnung. Ihnen zufolge durften sich die Liberalen auf kräftige Zuwächse und, mehr noch, die Chance auf den ersten Platz freuen. Auch die Befragungen am Wahltag selbst, veröffentlicht nach Schließung der Wahllokale vergangenen Samstag um kurz vor 23 Uhr, prognostizierten einen Sieg der ALDE-Mitgliedspartei Progresívne Slovensko (auf Deutsch: Progressive Slowakei, abgekürzt PS). Am Sonntagmorgen machte sich allerdings Enttäuschung breit: Der Linkspopulist Robert Fico, erklärter Sympathisant von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, gewann die Wahl mit knapp 23 Prozent. Seine Partei, die SMER-SSD (zu Deutsch: Die Richtung – slowakische Sozialdemokratie) belegte den ersten Platz, mit deutlichem Vorsprung vor der PS, die mit knapp 18 Prozent immerhin Platz zwei belegte. Bei der letzten Wahl war SMER-SSD als Regierungspartei abgewählt worden, die Liberalen waren an der Sieben-Prozent-Hürde für Wahlbündnisse gescheitert.

Wer ist Robert Fico?

Der Wahlsieger Robert Fico ist sowohl für die Slowakei als auch für deren europäische Nachbarn ein vertrautes, wenn auch nicht gerade Sympathien-weckendes Gesicht. Der 59-jährige Jurist begann seine politische Karriere 1986 in der staatstragenden Kommunistischen Partei der damaligen Tschechoslowakei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs heuerte er bei der postkommunistischen Partei Strana demokratickej ľavice („Partei der Demokratischen Linken“) an, 1999 gründete er die linksorientierte Partei SMER, die er als neue progressive Kraft der linken Mitte zu etablieren versuchte. Dank seiner Kritik an den unpopulären, für die Aufnahme des Landes in die EU aber erforderlichen Wirtschaftsreformen, verzeichnete Fico einen starken Popularitätsschub. Seit 2006 fuhr er bei fünf von sechs Parlamentswahlen einen Sieg ein. Nun hat er die Chance, erneut Premierminister zu werden.

Der einzige Urnengang, der für SMER mit einer Niederlage endete, waren die Parlamentswahlen 2020. Es war die Abstimmung nach dem brutalen Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Jahr 2018. Kuciak hatte die Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen und der oberen Ebene der damaligen slowakischen Politik, vor allem von SMER-Vertretern, aufgedeckt. Im Zuge der Ermittlungen konnten die Kontakte von Fico, dem ehemaligen Innenminister Robert Kaliňák, dem Polizeipräsidenten Tibor Gašpar und von zahlreichen Richtern und Staatsanwälten zum slowakischen organisierten Kriminalität belegt werden. Außerdem soll Ficos damalige Geliebte und Assistentin direkte Kontakte zur italienischen Mafia gehabt haben. Kurz vor den diesjährigen Wahlen reichte die amtierende liberale Präsidentin Zuzana Čaputová eine Anklage wegen Verleumdung gegen Fico ein.

Die Sieger und die Verlierer

Fico ist der erste Politiker in der Geschichte der modernen Slowakei, der es nunmehr geschafft hat, von den politisch Toten wiederaufzuerstehen. Seit fast drei Jahrzehnten dominiert er die Politik des Landes. Er ist ein klassischer Machtmensch. Fico verstand die angespannte Stimmung der Gesellschaft, die von all den Krisen der letzten Zeit erschöpft ist, und konnte ihre Emotionen lesen, ausnutzen und so sehr beeinflussen, dass sie alle seine früheren Schandtaten vergaßen. Fico ist ein starker Anführer, der sich lange Zeit ohne ernsthafte politische Konkurrenz durchsetzen konnte. Erst in diesem Wahlkampf stellte sich mit dem Vorsitzenden der liberalen PS Michal Šimečka ihm ein ernsthafter Gegner entgegen.

Šimečka promovierte an der Universität Oxford. Er ist zurzeit Europaabgeordneter und Vizepräsident des Europäischen Parlaments und damit einer der einflussreichsten Slowaken auf europäischer Ebene. Erfahrung in der Innenpolitik hat er jedoch kaum. Bevor er 2022 den Vorsitz der PS übernahm, war er in der Slowakei wenig bekannt. Die 2017 gegründete Partei PS profilierte sich vor allem durch ihren engagierten Kampf für die Rechte der LGBTIQ-Community. Analysten zufolge führte die Partei einen Wahlkampf, der nicht nur professionell und frei von Ressentiments war, sondern auch zeigte, welches Zukunftspotential in der Slowakei steckt. Auch als Parteichef hat Šimečka Anerkennung gewonnen. Es gelang ihm, die verschiedenen Strömungen der PS zu vereinen.. Knapp 18 Prozent und der zweite Platz bei den Parlamentswahlen in einem immer noch traditionell-wertkonservativen Land ohne populistische Volten zu erreichen, kann als Erfolg verbucht werden, auch wenn viele mehr erwartet hätten. Die PS ist damit Verlierer und Gewinner zugleich.

Gewonnen haben aber auch kleinere Parteien, zum Beispiel die SNS („Slowakische Nationalpartei“) und die KDH („Christliche demokratische Bewegung“). Beide waren bei der letzten Wahl noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Nun gelang ihnen nicht nur der Einzug ins Parlament; sie werden bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen womöglich zum Königsmacher. Während sich die Rückkehr der KDH als Gewinn für die pro-demokratische und pro-westliche Ausrichtung der Slowakei erweisen dürfte, wäre eine Regierungsbeteiligung der SNS ein fatales Signal. Die SNS war mit Kandidaten in den Wahlkampf gezogen, die die EU- und NATO-Mitgliedschaften der Slowakei in Frage stellen und klare prorussische Sympathien zu erkennen geben.

Eine aus liberaler Sicht positive Nachricht ist das parlamentarische Aus für die Parteien Republika und SME Rodina („Wir sind eine Familie“). Die rechtsextreme Republika trat mit Neonazis und Holocaust-Leugnern auf ihrer Kandidatenliste an und lehnte die Unterstützung für die Ukraine und deren Aufnahme in die EU und die NATO strikt ab. Der umstrittene ehemalige Parlamentspräsident und Vorsitzende der Partei SME Rodina, Boris Kollár, war in zahlreiche Skandale um sein ausschweifendes Privatleben sowie um Kontakte zur slowakischen Unterwelt verwickelt.

Wer kann regieren

Am Montag beauftragte Präsidentin Čaputová Wahlsieger Fico mit der Bildung einer Regierung, wofür er 14 Tage Zeit hat. SMER braucht mindestens zwei weitere Parteien, um eine parlamentarische Mehrheit hinter sich zu vereinen. Im slowakischen Parlament sitzen 150 Abgeordnete. Eine Regierung ist also auf mindestens 76 Stimmen angewiesen.

Vier Szenarien sind wahrscheinlich. Das erste, und auch wahrscheinlichste, ist eine Koalition aus SMER, Hlas-SD ("Stimme - Sozialdemokratie"), und SNS (79 Sitze). Andere Möglichkeiten wären entweder eine Allianz aus SMER, Hlas-SD und KDH (81 Sitze) oder, im kompletten Gegensatz dazu, ein Zusammenschluss aus PS, Hlas-SD, SaS (die liberale „Freiheit und Solidarität“) und KDH (82). Für eine Verfassungsmehrheit braucht man neunzig Abgeordneten. Diese könnte man einzig durch eine Koalition von SMER, Hlas-SD, KDH und SNS (91) erreichen, aber diese Konstellation gilt als sehr unwahrscheinlich.

Ausschlaggebend wird jedoch, wie erwartet, die Entscheidung der von Peter Pellegrini geführten Partei Hlas-SD sein, die sich 2020 von der SMER abspaltete, um aus dem Schatten von Robert Fico und dessen Parteiaffären zu treten. Es ist offensichtlich, dass aufgrund der geringen prozentualen Zugewinne der Parteien eine Regierung ohne Hlas-SD nicht möglich sein wird. Pellegrini schloss eine Zusammenarbeit mit SMER vor den Wahlen nicht aus – ebensowenig mit der PS. Michal Šimečka sagte gleich nach der Auszählung der Wahlergebnisse, dass sie alles tun würden, um die Partei Hlas-SD auf ihre Seite zu ziehen, damit Fico die Koalition nicht bilde könne. Pellegrini sagte unterdessen, dass seine Partei vom Programm her der SMER am nächsten stehe. Außenpolitisch findet Pellegrini jedoch eine klare Übereinstimmung mit den prowestlichen Liberalen. Allerdings will er mit beiden Parteien verhandeln und sich für diese Entscheidung Zeit lassen. Inoffizielle Besprechungen, auch von der Seite PS, finden bereits statt.

Peter Pellegrini hat also die einmalige Chance zu zeigen, dass der Grund für seine Trennung von Robert Fico tatsächlich die Sorge um die Zukunft der Slowakei war. Mehrere Analysten sind der Meinung, dass ihm schlussendlich seine eigene Karriere wichtiger sein wird, und, sollte Pellegrini eine Koalition mit der PS eingehen, diese ihm das Amt des Premierministers anbieten müsste. Den Liberalen spielt in die Hände, dass die Partei KDH, der bevorzugte Partner von Peter Pellegrini, bereits vor den Wahlen erklärte, dass sie eine Zusammenarbeit mit Fico nach den Wahlen ausschließen würde. Dies wurde jedoch hauptsächlich von ihrem Vorsitzenden verlautbart –  die Parteiversammlung der KDH könnte noch für etwas anderes stimmen.

Was ist von Fico zu erwarten

Ausgehend von dem prozentualen Wahlergebnis und der Notwendigkeit zur Koalitionsbildung ist klar, dass der Slowakei in naher Zukunft kein ungarisches Szenario droht. Sicher ist jedoch, und das verkündete Fico selbst auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei sehr genau unter die Lupe genommen werden. Derzeit laufen noch Ermittlungen zu Korruptionsskandalen aus den früheren Regierungszeiten von Robert Fico, und etwa 130 Personen aus seinem Umfeld warten derzeit auf ihr Urteil. Ficos Ziel wird es sein, diese Ermittlungen zu stoppen.

Eine Regierung angeführt von Fico würde die Slowakei in eine Zeit zurückführen, in der das sogenannte "unsere Leute"-System der SMER-Partei wieder Gang und Gäbe ist, als alle entscheidenden Positionen in den Strukturen des Staates von SMER-Anhängern besetzt waren. Dies stellt eine große Gefahr für das Funktionieren des Rechtsstaates dar. Auch Journalisten und die Meinungsfreiheit würden es unter Fico nicht leicht haben. Selbst in der Opposition hörte Fico nicht auf, Journalisten verbal anzugreifen und Desinformationen über sie zu verbreiten, indem er behauptete, die slowakischen Medien würden vom Westen bestochen und manipuliert werden. Das Vertrauen in die Medien ist in der slowakischen Gesellschaft bereits ziemlich geschwächt. Fico lehnte auch Einladungen zu den meisten Debatten im Vorfeld der Wahlen ab, nahm nur an etwa zwei teil und ging Journalisten während und nach der Wahlnacht aus dem Weg.

Was aber die ganze Welt interessiert, ist die Außenpolitik der Slowakei und die künftige Unterstützung der Ukraine. Viele behaupten, dass der Sieger dieser Wahlen auch Putin ist, weil Fico und seine Parteianhänger im Vorfeld der Wahlen seit langem prorussische Narrative, Desinformationen und Konspirationstheorien stark verbreiteten. Die Befürchtung ist, dass der Kreml mit dem Wahlsieg Ficos neben Orbán einen weiteren Komplizen gewann. Den Einfluss der Desinformationskampagne auf die Wahlen kann man nicht leugnen, die realen Konsequenzen auf die Außenpolitik der zukünftigen Regierung sind aber noch unklar. Man kann aber vorrausagen, und das bestätigen auch andere slowakische Experten, dass Fico pragmatisch bleiben muss, wenn es um die Unterstützung der Ukraine und der EU geht.

Es ist zu erwarten, dass Fico seine Tätigkeit eher auf die Innenpolitik und seinen Machaufbau konzentrieren wird als auf Destabilisierung und Isolierung der Slowakei auf der europäischen Ebene. Zudem muss man beachten, dass Fico mit seinen Äußerungen, die Unterstützung für die Ukraine einzustellen, und gleichzeitig die gemeinsame Vergangenheit mit Russland zu loben, lediglich die Stimmung in der Gesellschaft ausnutzte, um Wähler zu gewinnen. Er wird diese Wähler zufrieden stellen müssen, aber dies wird hauptsächlich durch mehr oder weniger harsche Rhetorik passieren denn durch tatsächliche Taten. Die Slowakei bleibt nämlich auch wirtschaftlich hinter dem Rest der EU zurück und ist daher von EU-Mitteln abhängig. Das Land kann sich einen Streit mit der EU nicht leisten, und Fico als erfahrener Politiker weiß das sehr gut. Außerdem wurden Verträge mit slowakischen Unternehmen über die Herstellung und Lieferung von Munition an die Ukraine abgeschlossen, deren Einstellung für den Staat einen Verlust an Arbeitsplätzen und Einnahmen bedeuten würde, was sich Fico nicht leisten kann. Es ist jedoch nicht zu unterschätzen, dass Fico nach Vorbild Orbáns eine weitere kritische und problematische Stimme in der Mitte der EU sein wird, in dem er für sich einige Ausnahmen durch Obstruktionen erzwingen kann.