Italien
Schicksalswahl für Europa - Italien droht Rechtsruck bei Neuwahlen
Seit Mitte Juli steht fest: Italien steht - wieder einmal - vor vorgezogenen Neuwahlen. Der parteilose Ministerpräsident Mario Draghi, ehemaliger Chef der EZB, hatte ein Misstrauensvotum zwar gewonnen, konnte dabei aber nicht auf die Unterstützung der Senatoren der mitregierenden, populistischen “Fünf-Sterne-Bewegung” zählen. Ab jenem Zeitpunkt konnten immer mehr Profilierungskämpfe innerhalb seiner Viel-Parteien-Koalition, der immerhin auch Berlusconis “Forza Italia” („Vorwärts, Italien“) und die “Lega” („Liga“, ehemals „Liga Nord“) von Migrationshardliner Matteo Salvini angehören, erwartet werden. Aus diesem Grund sah Draghi keine Grundlage mehr für seine Regierungsmehrheit auf mittlere Sicht.
Die Neuwahlen entbehren auch für italienische Polit-Verhältnisse nicht einer besonderen Tragik, hatte Mario Draghi das Land doch mit sicherer Hand durch die Corona-Pandemie und dessen wirtschaftliche Folgekrise gesteuert. Dass er sich dabei auf eine breite Koalition von rechts bis links und die überwältigende Unterstützung der italienischen Bevölkerung berufen konnte, verhinderte, dass das Land in Krisenzeiten in Grabenkämpfe verfiel. Das italienische Reformpaket zur Umsetzung der EU-Next-Generation-Mittel zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie hat Europa viel Respekt abverlangt; Italien war auf einmal Musterschüler. Grundlage hierfür war der ökonomische Sachverstand Draghis und die Ambition, aus Italien endlich insgesamt das moderne europäische Kernland machen zu wollen, das es in seinen nördlichen Regionen, die Süddeutschland in ihrer Wirtschaftskraft kaum nachstehen, bereits ist. Erste Tranchen der insgesamt fast 200 Mrd. EUR an Finanzmitteln sind von der EU bereits überwiesen worden - ob auch die nächsten Tranchen fließen, steht nach Draghis Abgang nun aber in den Sternen, denn der Reformeifer ist, soviel lässt sich vermutlich vorhersagen, mit einer neuen Regierung passé.
Die Umfragelage
Während die Italiener noch im Sommerurlaub sind, sprechen die Daten bereits eine deutliche und besorgniserregende Sprache: Knapp 50% der Wahlberechtigten würden sich demnach für eine der drei oben genannten ultrakonservativen bis rechtsextremen Parteien entscheiden, was für eine komfortable Regierungsmehrheit reichen würde. Dass ausgerechnet die extremste Partei, die Fratelli d´Italia mit ihrer Spitzenkandidatin Giorgia Meloni das Feld anführt, ist besonders besorgniserregend. Auch wenn die „Brüder Italiens“ stets zurückweisen, eine neo-faschistische Partei zu sein, sind einige Mussolini-Nachfahren bereits auf Listen bei regionalen und lokalen Wahlen angetreten. Parteifunktionäre sind darüber hinaus in kompromittierender Weise mit Neo-Faschisten und auf Veranstaltungen, auf denen faschistische Grüße gezeigt wurden, gefilmt worden. Dass Regierungsverantwortung radikale Parteien zwangsläufig einhegt – dieser Illusion sollte man sich nicht hingeben und diese Strategie ist auch in anderen europäischen Ländern bereits gescheitert. Angesichts der dünnen Programmatik der „Brüder Italiens“ ist eher mehr Radikalität zu erwarten, denn ihren primären Zielgruppen dürfte es im Falle einer Regierung wirtschaftlich kaum besser gehen als unter Draghi. Kulturkampf dürfte vermutlich die Ablenkungstaktik werden. Ironischerweise werden die „Brüder Italiens“ von einer Frau angeführt. Die 45-jährige Giorgia Meloni werden derzeit die größten Aussichten auf die Nachfolge Draghis ausgerechnet. In einem Land, in dem die Gleichstellung von Frauen in der Politik noch weit hinterherhinkt, wäre dies allerdings ein Coup für die Rechten.
Das Dreierbündnis zeichnet sich auch deshalb ab, soviel Ehrlichkeit muss sein, weil es die übrigen, darunter auch liberale, Parteien es ihm zu einfach machen. Eine Allianz der sozialdemokratischen Partito Democratico („Demokratische Partei“) und der liberalen Formation „Azione“ („Aktion“) ist nach nur einer Woche zerbrochen. Dafür ist Azione aber immerhin ein Wahlbündnis mit Italia Viva („Lebendes Italien“) von Ex-Premier Matteo Renzi eingegangen, der allerdings im Land alles andere als beliebt ist.
Neuwahlen in Kriegszeiten - gut für Putin, schlecht für die Nato und Europa
Im Kreml dürfte man sich über die Entwicklung schließlich die Hände reiben - Russland steht Italien seit Langem nahe. Die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen beider Länder sind seit den 60er-Jahren tief und reichen damit weit länger zurück als die berühmt-berüchtigte “Bromance” zwischen Putin und Berlusconi. Letzterer trägt mittels seines Medienkonglomerats “Mediaset” freilich seit jeher dazu bei, dass Putin-freundliche Stimmen im italienischen TV nicht zu kurz kommen - was man allerdings auch von der öffentlichen Anstalt “RAI” behaupten kann. Auch Matteo Salvini scheute sich in der Vergangenheit nicht davor, im Putin-T-Shirt aufzutreten. Italien wird damit für Europa und die NATO zum Sorgenfall: Ein wichtiger Partner, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Haarrisse in der EU und der Allianz in der Ukraine-Frage entscheidend vertiefen dürfte. Das verantwortungslose Handeln der „Fünf-Sterne-Bewegung“ in diesen Zeiten dürfte uns somit alle noch lange beschäftigen.
Die Stiftung für die Freiheit wird den Wahlkampf aus ihrem Büro in Madrid heraus kontinuierlich begleiten und in den letzten beiden Wochen vor der Wahl mit einem “Web-Special” in besonderer Frequenz über die neuesten Entwicklungen informieren.
David Henneberger ist Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Madrid.