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Slowakei
Slowakei vor Weihnachten im Chaos: Der Sturz der Regierung ist erst der Anfang

Der slowakische Premierminister Eduard Heger trifft die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova, nachdem das Parlament seiner Regierung im Präsidentenpalast in Bratislava das Misstrauen ausgesprochen hat

Der slowakische Premierminister Eduard Heger trifft die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova, nachdem das Parlament seiner Regierung im Präsidentenpalast in Bratislava das Misstrauen ausgesprochen hat

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jaroslav Novák

Es ist Adventszeit, einige Tage bis zu Weihnachten, in der Welt herrscht Krieg, Pandemie, Inflation und Energiekrise. Die Menschen freuen sich auf ein paar ruhige Tage mit der Familie. In der Slowakei wurde die ersehnte Flucht aus allen Krisen während der Weihnachtsfeiertage jedoch durch ein politisches Drama vereitelt, das im Sturz der Regierung gipfelte. Am 15. Dezember resultierte das Misstrauensvotum im slowakischen Parlament, das schon mehrmals verlegt wurde, in einer Niederlage für die Minderheitsregierung von Premierminister Eduard Heger. Die Präsidentin Zuzana Čaputová berief die Regierung auf dem folgenden Tag ab. Die politische Krise in der Slowakei ist damit jedoch noch lange nicht vorbei. Abgesehen davon, dass die Slowakei noch keinen genehmigten Haushalt für das nächste Jahr hat, stehen nun auch noch wahrscheinlich vorgezogene Wahlen an, deren Ergebnis die außenpolitische Richtung der Slowakei von Westen nach Osten ändern könnte.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes ist der Ausgang dieser Krise ungewiss. Die Situation ändert sich stündlich. Nicht nur Politiker innerhalb der Parteien können sich einigen, ob neue Wahlen oder die Rekonstruktion der Regierung die beste Lösung ist. Eines ist aber sicher: die slowakische Gesellschaft ist überfordert, enttäuscht und Krisen jeglicher Art überdrüssig. Radikale Parteien ziehen daraus ihren Nutzen und gewinnen an Bedeutung.

Warum geriet die Slowakei in dieser Situation?

Never-ending story

Weihnachten 2022 bleibt den Slowaken auch dank des definitiven Zerfalls der Regierung in Erinnerung, die von der rechtskonservativen Bewegung OĽANO (Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti, deutsch Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten) geführt wurde. Nach Jahren mafiöser Praktiken und Korruption von der damals regierenden Partei SMER-SD (Smer-Sociálna demokracia, deutsch Richtung-Sozialdemokratie) setzten viele große Hoffnungen auf Wandel, Entwicklung und Stabilität in die Sieger der Parlamentswahlen 2020. Das Gegenteil war der Fall.

Einerseits nahm die rechtskonservative Vierkoalition von Anfang an besonders in der Außen- und Antikorruptionspolitik einen vorbildlichen Kurs. Anderseits wurden andere innenpolitische Fragen zum Gegenstand ständiger zwischenparteilichen und sogar persönlichen Auseinandersetzungen. Konflikte vor allem um die Person von Igor Matovič, den Parteivorsitzenden von OĽANO, ehemaligen Premierminister und nun ehemaligen Finanzminister, führten zunächst zu seiner Entlassung aus dem Amt des Premierministers, später im September dieses Jahres zum Rücktritt der rechtsliberalen SaS-Partei (Sloboda a Solidarita, deutsch Freiheit und Solidarität) aus der Koalitionsvereinbarung und nach Meinung vieler schließlich zum Sturz der gesamten Regierung.

Die seit September regierende Minderheitsregierung überlebte drei Monate unter ständiger Kritik nicht nur von der rechtsextremen Opposition, sondern auch von dem ehemaligen Partner SaS. Und es war gerade die SaS-Partei, die nicht lange nach dem eigenen Regierungsaustritt ständig über Misstrauensvotum und vorgezogenen Wahlen zu sprechen begann, obwohl die Parteianhänger noch unmittelbar nach ihrer Resignation behaupteten, dass sie die Minderheitsregierung unterstützen werden. Letztendlich wurde die Abstimmung über Misstrauensvotum auf Vorschlag von SaS abgehalten. Mehrere Gründe wurden dafür angeführt: die Gefährdung der Verwendung von Mitteln aus dem EU-Aufbaufonds, Resignation von Hunderten von slowakischen Ärzten, das Scheitern bei der Lösung der Migrationskrise und die Lücken im neuen Haushaltsentwurf.

Die „drei Könige“ der Krise

Richard Sulík

Richard Sulík

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jaroslav Novák

„Vergessen sie Matovič und erlauben sie den Rückkehr von Fico nicht“ schreibt der Chefredakteur und Kommentator der bekannten Tageszeitung „Denník N“ Matúš Kostolný unmittelbar nach dem Misstrauensvotum am Donnerstag, den 15. Dezember. Ein Spruch, der in einem Satz die ganze Situation darstellt.

In der seit Ewigkeiten andauernden Regierungskrise in der Slowakei sind drei Namen am häufigsten zu hören. Die „drei Könige“ dieser Weihnachtszeit in der Slowakei sind Richard Sulík, Igor Matovič und Róbert Fico.

Die Geburtsgeschichte der Krise verbindet sich mit dem persönlichen Konflikt zwischen den Parteichefs von OĽANO und SaS, Matovič und Sulík. Das Regieren der Koalition war von Anfang an von gegenseitigen Vorwürfen und Streitigkeiten begleitet. Tatsächlich regierte Matovič oft nach eigener Willkür, ohne Rücksicht auf die Expertenmeinungen und Koalitionskollegen zu nehmen. Richard Sulík war immer die lauteste Stimme, die dieses Vorgehen kritisierte. Letztendlich geben sich beide gegenseitig die Schuld, wessen Verhalten zur Rückkehr von Robert Fico wieder an die Macht führen würde. Nachdem Suliks Partei die Koalition verließ, wurde die Kritik noch härter, bis SaS das Misstrauensvotum vorschlug.

Sulík begründet seine Taten: „Leider verlor diese Regierung ihre Existenzberechtigung, diese Regierung schadet der gesamten Slowakei. Was für eine Aktion, was für ein Fiasko“. Die ursprüngliche Bedingung auf weitere Unterstützung der Regierung durch die SaS und letztendlich auch von der Opposition, nämlich der Rücktritt von Matovič, wurde nie erfüllt. Um alle berechtigte Gründe zu nennen, warum Igor Matovič wirklich schon längst hätte zurücktreten sollen, könnte eine separate mehrseitige Analyse, oder sogar ein Buch gefüllt werden. Einer von Matovičs „Highlights“ war zum Beispiel der geheime Einkauf von russischen Sputnik-Impfstoffen ohne vorherige Absprache mit anderen leitenden Personen im Land. Obwohl OĽANO dank ihres Leaders die Wahlen klar gewann, verlor er nach zwei Jahren der willkürlichen und egoistischeren Regierungsweise dauerhaft die Unterstützung. Sein Ego erlaubte ihm jedoch nie sein Fehler zuzugeben und zurückzutreten.

Sowohl die Abgeordneten als auch die Präsidentin, die Matovičs Regierungsweise immer indirekt kritisierte, als auch die slowakische Gesellschaft sind von Matovičs „Sperenzchen“ allmählich satt. Die Stimmen der Enttäuschten gingen zur nominell sozialdemokratischen Smer-SD über, die vorher fast 12 Jahre ununterbrochen regiert hatte und in der letzten Zeit deutlich nach rechts rückt. Der ehemalige langjährige Premierminister und Leader von Smer-SD, Robert Fico, äußerte sich nämlich mehrmals gegen die Sanktionen gegen Russland und rief aus: „Wenn in der Regierung SMER wird, werde ich nicht mehr zulassen, dass noch eine einzige Patrone in die Ukraine exportiert wird.“ Die Sozialdemokraten kollaborieren unverhohlen mit den slowakischen Neofaschisten, drücken ihre Sympathien mit  Ungarn und Russland aus und verbreiten pro-russische Desinformationen (siehe unsere Sektion zu Desinformationen). Es gelang ihnen sogar, Unterschriften für ein Referendum über vorgezogene Wahlen zu sammeln und einzureichen, das mit großer Wahrscheinlichkeit stattfinden wird.

Eine Regierung mit Fico ist deshalb nicht nur wegen der korrupten Geschichte der Partei ein Albtraum. Die Politiker, die die Smer-Regierung damals ersetzten und in der Slowakei endlich Ordnung bringen sollten, versagten völlig und trugen im Gegenteil zu der Wiederauferstehung und Rückkehr von SMER an den Schauplatz bei.

Der Sturz der Regierung ist erst der Anfang

Wer meinte, dass es nicht schlimmer gehen kann, irrte sich. Deutlich wird, dass das Verhalten von Matovič auch in den letzten Momenten vor der Abstimmung noch weiter dazu führte, dass der Regierung das Misstrauen ausgesprochen wurde. Matovič bot nämlich letzte Woche seinen Rücktritt unter der Bedingung an, dass SaS das Budget für das nächste Jahr ohne weiteren Änderungen genehmigen wird. Es kam aber in dieser Frage zu keiner Vereinbarung. Matovič beharrte auf seinem Standpunkt und unterschrieb letztendlich kurz vor der Abstimmung im Parlament am Donnerstag seine Resignation im Präsidialpalast. Als der Kanzler der Präsidentin von Matovič die Unterlagen übernahm, riss Matovič ihm plötzlich die Papiere aus der Hand und zerriss die, wie die Präsidentin selbst bestätigte. Danach sprach das Parlament der Regierung das Misstrauen aus.

Die Präsidentin berief darob am folgenden Tag die Regierung ab, und zugleich beantragte die Regierung in Demission, die Regierungsgeschäfte vorläufig weiterzuführen. Gleichzeitig forderte die Präsidentin Čaputová eine Einigung auf vorgezogenen Neuwahlen im ersten Halbjahr. Die Abgeordneten bekamen das Ultimatum bis Ende Januar, sonst kann Čaputová selbst eine Übergangsregierung ernennen. Noch am Freitagnachmittag waren die Neuwahlen nunmehr die wahrscheinlichste Lösung für die Mehrheit der politischen Eliten. Für die Neuwahlen muss eine Verfassungsmehrheit abstimmen. Inzwischen fangen aber intensive inner- und zwischenparteiliche Gespräche an, die andere Optionen verhandeln sollten. Die Bewegung OĽANO (die mehrere Mitglieder nach dem Misstrauensvotum verließen) und auf einmal wieder die SaS wollen die vorgezogenen Wahlen verhindern, um den Rückkehr von den Sozialdemokraten vorzubeugen. Die zwei sozialdemokratischen Parteien SMER und Hlas (Die Stimme) stehen nämlich schon seit Langem an der Spitze der Wahlumfragen. Die Koalitionsparteien? Nicht einmal mit einer zweistelligen Prozentzahl stehen sie zurzeit da. Die liberale Partei Progresive Slowakei erhält zwar kontinuierlich 10% in den Umfragen, sie wird aber eng von den rechtsextremen Republika gefolgt.

Während die jüngsten Konkurrenten versuchen, ein Wunder in Form einer Regierungsumbildung zu erreichen, und zwar ohne Igor Matovič, und während die Liberalen schlafen, arbeiten Fico und Pelegrini bereits an der Kampagne und bereiten sich auf die feierliche Rückkehr vor. Das letzte Mal, als die slowakische Regierung von Iveta Radičová 2012 nach einem Misstrauensvotum ebenfalls mit Hilfe von der SaS, gestürzt wurde, nutzte die SMER die Gelegenheit, um mit einer einfarbigen Regierung an die Macht zurückzukehren. Während der 10 Jahre unter SMER wurde die Slowakei von Korruption beherrscht, deren Aufdeckung das Leben eines jungen Journalisten und seiner Verlobten kostete. Und wovon oder von wem hängt die Zukunft der Slowakei ab? Nun, was Igor Matovič für sich selbst erwartet, oder ändert die SaS wieder ihre Meinung?

 

Barbora Krempaská ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.