Sicherheitspolitik
Münchner Sicherheitskonferenz: Feuerwerk blieb aus
In manchen Jahren ist die Münchner Sicherheitskonferenz mehr als eine Serie von Reden und Hintergrundgesprächen. Manchmal wird sie zur Bühne für Sensationen, echte diplomatische Durchbrüche oder schonungslos ehrliche Positionsbestimmungen.
2007 war so ein Jahr, als der russische Präsident Wladimir Putin in einer vielbeachteten Rede die NATO-Osterweiterung scharf kritisierte und die „monopolare Weltherrschaft“ der USA herauszufordern ankündigte. Auf diese Rede sollte der Einmarsch russischer Truppen nach Georgien und später die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie die militärische Besetzung von Teilen der Ostukraine folgen.
Auch 2014 war so ein Jahr. Damals verkündeten Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unter dem Eindruck der Kriege in der Ukraine und in Syrien, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden und sich zukünftig entschiedener und substantieller einbringen müsse. Es folgte immerhin eine zaghafte Intensivierung der deutschen Bemühungen um die Bündnisverteidigung im Allgemeinen und um die Einsatzfähigkeit der eigenen Streitkräfte im Besonderen. Aus Sicht vieler Verbündeter zwar immer noch viel zu wenig – aber der „Münchner Konsens“ dient der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik immerhin bis heute als Handlungsmaßstab.
2020 war kein solches Jahr.
Die Organisatoren um Botschafter Wolfgang Ischinger waren bei ihrer diesjährigen Mottowahl offenbar zu dem Schluss gelangt, dass die Welt sich noch immer auf dem Weg zum Abgrund und nicht davon wegbewegt (2018: “to the brink – and back?“), dass sich noch niemand gefunden hat, der die Scherben aufsammelt (2019: „Who picks up the pieces?“) und dass es dem Westen mittlerweile an Zusammengehörigkeitsgefühl und Anziehungskraft mangelt (2020: „Westlessness“).
Wie der Begriff „Westlessness“ bereits insinuiert, zogen sich zwei große Themenkomplexe durch die Verlautbarungen der Hauptredner: der Zustand der transatlantischen Beziehungen, der sich durch die jüngste Eskalation im Irak und in Iran nicht verbessert hat; und die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die durch den Austritt der Briten aus der Europäischen Union eine entscheidende Schwächung erfährt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte in seiner Eröffnungsrede zu diesen beiden Themen vor. Mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen stellte er fest, dass „die Vereinigten Staaten von Amerika (…) unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage“ erteilten. Zur Begründung seiner Kritik zählte er unter anderem die Austritte der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem Atomabkommen mit Iran auf. Die NATO bleibe trotzdem ein wichtiger Pfeiler europäischer Sicherheit ebenso wie die Europäische Union. Letztere solle von den Deutschen allerdings nicht als Option, sondern als ihr „stärkstes, elementarstes, nationales Interesse“ verstanden werden.
Einen begeisterten Zuhörer fand Steinmeier im französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser brachte zum Ausdruck, dass er sich sehr gut in der Eröffnungsrede des Bundespräsidenten wiedergefunden hätte. Er erneuerte seine Einladung an Berlin und die anderen europäischen Hauptstädte, an einer echten gemeinsamen Verteidigungspolitik zu arbeiten. Diesen Anspruch hatte er erst eine Woche vorher zusätzlich unterstrichen, als er seine europäischen Amtskollegen zu einem strategischen Dialog über die Rolle der französischen Nuklearstreitkräfte aufgerufen hatte. Die französische Regierung hatte bis dahin stets darauf bestanden, dass die französische Bombe nur dem nuklearen Schutz Frankreichs diene. Jede Nennung des Adjektivs „europäisch“ hatten sich die Franzosen in diesem Zusammenhang immer verbeten.
Heftigen Widerspruch lösten Konferenz-Motto und Steinmeier-Rede bei US-Außenminister Mike Pompeo aus. Dieser betonte in seiner Ansprache, wie erfolgreich das freiheitliche Gesellschaftsmodell weltweit noch immer sei und wie stark seine Regierung in die Sicherheit Europas investieren würde. Dabei verwies er unter anderem auf die größte militärische Verlege-Übung seit 20 Jahren, das Manöver Defender 2020, und auf die finanzielle Unterstützung seines Landes für einzelne Staaten Osteuropas. Die achtfache Wiederholung des Satzes „The West is winning“ wirkte allerdings so, als ob er die Kritik am Zustand des Westens einfach durch Übertreibung beiseite wischen wollte.
Allerdings unterstrichen sowohl Republikaner als auch Demokraten durch die Teilnahme einer beachtlichen Zahl von Abgeordneten aus Repräsentantenhaus und Senat ihr Interesse an einer engen Partnerschaft mit Europa – im Gegensatz zum frisch aus der Europäischen Union ausgetretenen Vereinigten Königreich, das nur durch seinen nationalen Sicherheitsberater, nicht aber durch ein höheres Regierungsmitglied vertreten war. Premierminister Boris Johnson hatte die Einladung ausgeschlagen.
Politische Sensationen, Durchbrüche und Neubestimmungen blieben jedoch aus. Die meist beachteten Reden spiegelten wider, was bereits im Verlauf der letzten Monate ausgiebig diskutiert worden war: Der Mangel an strategischer Abstimmung im nordatlantischen Bündnis, überspitzt auf den Punkt gebracht durch Emmanuel Macron in seinem berühmten „Hirntod“-Interview im Economist, erneut intensiv diskutiert beim inoffiziellen NATO-Gipfeltreffen im Dezember und zuletzt beklagt nach dem Attentat auf den iranischen General Soleimani im Januar; die Einladung Macrons an Berlin gemeinsam eine Neugestaltung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik anzugehen, erstmals formuliert bei der Sorbonne-Rede im Sommer 2017, seitdem immer wieder erneuert aber nie wirklich beantwortet, wahrscheinlich offen stehend bis ein Nachfolger für Bundeskanzlerin Angela Merkel feststeht.
Vielleicht produziert nur jede siebte Ausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz Sensationen, Durchbrüche und Neubestimmungen? Nach 2007 und 2014 wäre es nächstes Jahr wieder soweit. Es wäre zumindest zu hoffen, denn die zahlreichen Kriege und Krisen in und um Europa verlangen dringend nach Lösungen.
Sebastian Vagt leitet den Expert Hub für sicherheitspolitischen Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.