Syrien
Nach dem Sturz Assads: Demokratiedämmerung oder Übergang von einer Diktatur zur anderen?
Viele Syrer feiern auf den Straßen von Damaskus, in vielen Orten der MENA-Region und auch in Berlin den Fall des Assad Regimes und hoffen auf eine Rückkehr zur „Normalität“ frei von Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und Folterungen. Besonders Optimistische sehen am Horizont schon Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die Geschichte des arabischen Frühlings und die Entwicklung Libyens nach dem Sturz des Gaddafi Regimes mahnen jedoch zu einer vorsichtigeren Beurteilung der jüngsten Ereignisse.
Assads Sturz birgt Hoffnung und Unsicherheit
Ja, es ist sicherlich positiv, dass das jahrzehntelang herrschende Terrorregime Assads beendet zu sein scheint. Ja, es ist sicherlich positiv, dass das Regime in Teheran und auch Putins Russland zu schwach sind oder unwillig scheinen, ihren bisher mit fast allen Mitteln protegierten syrischen Diktator gegen die Rebellen zu unterstützen und seinen Sturz zu verhindern. Und ja, beide Entwicklungen zusammengenommen bieten sogar die Chance für eine demokratische Entwicklung und bessere Lebensbedingungen für die jahrelang leidende syrische Bevölkerung.
Jede Chance birgt aber auch Risiken, die ein Scheitern der langersehnten Veränderungen zum Positiven bewirken können. Diese Risiken sind für Syrien mannigfaltig. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Ereignisse für die MENA Region haben? Bringen sie mehr Stabilität in eine instabile, volatile Region, die seit dem 7. Oktober noch stärker durch gewaltsame Konflikte, Flüchtlinge, Evakuierungen und für viele Menschen unhaltbare Lebensbedingungen geprägt ist? Wie reagieren vor allem die unmittelbaren Nachbarn wie Jordanien, Libanon und Irak auf die jüngsten Ereignisse?
Machtwechsel in Syrien
Bassam Al-Kuwatli, Vorsitzender der Syrischen Liberalen Partei, spricht im Interview über das Ende des Assad-Regimes, die Herausforderungen für Syrien und die Rolle Europas in der Zukunft des Landes.
Islamistische Gefahr und regionale Spannungen
Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Rebellenarmee, die Assad zur Flucht zwang, keineswegs eine Einheit mit demokratischen und friedvollen Vorstellungen von der Zukunft ist. Die Mehrheit besteht aus Islamisten mit starken Bindungen oder Verbindungen zu Al-Qaida, dem islamischen Dschihad und ISIS. Menschenrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind ihnen völlig fremd, sie präferieren einen Gottesstaat und eine strikte Auslegung der Sharia.
Wie also sollen Akteure mit derartigen Werten einen demokratischen Wandel herbeiführen? Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Diktatur Assads durch eine islamistische Diktatur ersetzt wird. Fraglich ist allerdings, welche Rolle die politische Opposition oder Oppositionsparteien, die teilweise aus dem Exil operieren, bei dieser Entwicklung spielen oder welche Spielräume ihnen von den Rebellen gelassen werden. Wird die Entwicklung dazu führen, dass Millionen syrische Flüchtlinge aus der MENA-Region und Europa zurückkehren, oder wird sie neue Flüchtlingswellen in diese Regionen auslösen? Die Reaktionen der unmittelbaren Nachbartsaaten Libanon und Jordanien sprechen hier für sich. Zwar erlauben beide Länder die Ausreise syrischer Bürger nach Syrien, jedoch haben sie ihre Grenzen für weitere Flüchtlinge zunächst geschlossen. Jordanien hat darüber hinaus militärische Kräfte in die Grenzregionen verlegt, um ein Überschwappen des Konfliktes auf das haschemitische Königreich zu verhindern. Seit dem 7. Oktober hat der Waffenschmuggel von Syrien nach Jordanien stark zugenommen, die Waffen blieben bis vor kurzem größtenteils im Land, in dem Hisbollah, Hamas und auch ISIS bekanntermaßen fortwährend ihre Schläferzellen haben. War Jordanien bisher durch die Destabilisierungskampagne der schiitischen Mullahs unter Druck, so bergen die derzeitigen Entwicklungen nun die Gefahr von sunnitischen Fundamentalisten in Sicherheit und Stabilität bedroht zu werden.
Die Arabische Liga sieht den Entwicklungen mit gemischten Gefühlen entgegen. Begrüßt sie einerseits das Ende des Autokraten Assads, so warnte sie explizit vor dem Anstieg des Einflusses extremistischer Akteure und einer weiteren menschlichen Katastrophe.
Der wechselhafte Einfluss von Iran, Russland und der Türkei in Syrien
Schwer, bzw. nicht eindeutig zu beurteilen ist derzeit der Einfluss anderer Akteure. Sind Iran und Russland scheinbar zu schwach oder aus anderen Gründen nicht gewillt, ihre bisherige Dominanz in Syrien zu verteidigen, so ist der zunehmende Einfluss der Türkei offensichtlich. Die Erdogan-Regierung hat die Rebellen maßgeblich militärisch und finanziell unterstützt. Die über viele Jahre zwischen Freund und Feind wechselnden Beziehungen waren zuletzt jedoch durch eine bittere Feindschaft geprägt. Der starke Mann am Bosporus erhofft sich durch die jüngsten Entwicklungen einen einmaligen Schachzug gegen die Kurden im türkisch-syrischen Grenzgebiet und insgesamt eine Stärkung der türkischen Position als Regionalmacht.
Europas Herausforderungen inmitten der Unsicherheit in Syrien
Europa und Deutschland stellen die Ereignisse vor große Schwierigkeiten. Abgesehen davon, dass weder die EU und noch weniger Deutschland zentrale Akteure in der MENA Region sind, sondern im Gegenteil nach dem 7. Oktober sehr stark an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren haben, sind die Auswirkungen sehr unübersichtlich.
Selbst wenn die syrischen Flüchtlinge prinzipiell bereit wären, zurückzukehren, so müssten ihnen doch Anreize und Starthilfen gegeben werden, um in ihrem Heimatland neu anfangen zu können. Findet allerdings nur ein Austausch eines diktatorischen Regimes zu einem anderen statt, so sind neue Flüchtlingswellen zu befürchten, was die ohnehin schon problematische Migrationspolitik nochmals verstärken würde und den Einfluss rechtsextremistischer Parteien vor allem auch mit Blick auf den bereits begonnenen Wahlkampf erhöhen könnte.
USA und China als zentrale Akteure
Zentraler Akteure werden in diesem Szenario die USA und China sein. Auch wenn oder gerade weil die zukünftige Trump Administration offiziell sehr ablehnend militärischen Interventionen gegenübersteht, dürften ihr die jüngsten Entwicklungen sehr entgegenkommen. Die offensichtliche Schwäche der beiden in der Region einflussreichen Mächte Russland und Iran, könnte geschickt genutzt werden, um die Konflikte in der Ukraine und Nahost in einer Verhandlungslösung nach US-Konzepten zu beenden.
Die potenziellen Verlierer dürften dann die ukrainische Regierung und die Palästinenser sein. Die Interessen dieser beiden würden dann für eine wie auch immer geartete Beilegung oder Beendigung der Gewalt geopfert werden.