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Parlamentswahl
Rumänien: Niedrige Wahlbeteiligung öffnet auch Nationalisten das Tor ins Parlament

Parlamentswahl in Rumänien
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Andreea Alexandru

Bei der Parlamentswahl am Sonntag in Rumänien hätten die demokratischen Parteien um ein Haar eine Wahlschlappe erlitten. Eine historisch niedrige Wahlbeteiligung von 31,8 Prozent brachte nicht nur die unlängst wegen Korruption gestürzten Sozialdemokraten (PSD) erneut auf unverhoffte 29 Prozent der Stimmen, sondern ermöglichte auch der neugegründeten nationalistischen und rechtsextremistischen Partei AUR mit neun Prozentpunkten ins Parlament einzuziehen. Die regierende konservative Nationalliberale Partei musste sich mit 25 Prozent begnügen, gefolgt von der bürgerlich-liberalen USR-PLUS mit 15 Prozent. Der Parlamentseinzug des konservativen Ungarnverbands (UDMR) lässt auf eine liberal-konservative Regierung schließen, zumal alle Parteien die Zusammenarbeit mit der PSD oder den Extremisten ausschließen. Premierminister Ludovic Orban reichte nach einem Gespräch mit Präsident Klaus Johannis am Abend nach dem Wahltag seinen Rücktritt ein.

Noch in Umfragen mit über 30 Prozent gewertet, glich das Ergebnis für die Nationalliberale Partei (PNL) eher einer Blamage, zumal die vorher als Verlierer geltenden Sozialdemokraten doch noch Klassenerster wurden. Auch das Fernbleiben der demokratischen Wähler von den Urnen sagt einiges über das Urteil der Bürger über die Arbeitsleistung der Regierung aus. Analysten sehen neben der Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus auch eine gewisse Wahlmüdigkeit als Ursache. Immerhin war es innerhalb von anderthalb Jahren nach den Europa-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen der vierte Urnengang.

Das Fehlen eines antidemokratischen Feindbildes – zumal die PSD als besiegt galt und deren korrupter ehemaliger Parteichef Liviu Dragnea verhaftet ist – und der nur online stattfindende Wahlkampf führten eher zu einer Demobilisierung der demokratischen Wählerschaft, sowohl im In- als auch im Ausland. Darüber hinaus blieb ca. einer Million Wähler, die einen anderen Wohnsitz haben als im Personalausweis angegeben, die Wahl verwehrt. Weitere 18.000 Briefwahlstimmen blieben auf dem Postweg verschollen. Bei insgesamt 19 Millionen Wahlberechtigten gingen letztendlich nur 5,89 Millionen Bürgerinnen und Bürger wählen. Bei derart geringer Beteiligung hätte sich mit 300.000 Stimmen jede Partei den Einzug ins Parlament sichern können.

Für die beiden ehemaligen Premierminister Victor Ponta und Călin Popescu Tăriceanu und ihre Partei „Pro Rumänien“ reichte es auch so nicht. Sie scheiterten mit 4,2 Prozent an der Fünfprozenthürde. Eine Woche zuvor hatte die Partei in Umfragen noch bei neun Prozent gelegen. Die konservative „Volkspartei“ des ehemaligen Staatspräsidenten Traian Basescu brachte es ebenfalls nur auf 4,8 Prozent. Die meisten Stimmen dürften von beiden Parteien zu den Nationalextremisten gewandert sein.

Liberale Regierung, doch wenig Aussicht auf Reformen

Präsident Klaus Johannis versuchte in seiner Ansprache, das schlechte Ergebnis der konservativen Nationalliberalen (PNL) gerade zu biegen. Ausgehend von der vorherigen Parlamentswahl im Jahr 2016 habe sich die PNL von 20 auf 25 Prozent gesteigert, die USR-PLUS hat ihr Ergebnis fast verdoppelt, und die PSD sei von 45 Prozent auf 29 gefallen. Damit habe sich nun sein persönliches Ziel erfüllt: eine parlamentarische Mehrheit im  bürgerlichen Lager unter Ausschluss der Sozialdemokraten. In einigen Tagen wolle er die Gespräche für die Regierungsbildung beginnen.

Im bürgerlich-liberalen Lager der USR-PLUS sprach man von einem „historischen Sieg“. Dennoch war die Stimmung gedrückt, zumal die UDMR, der dritte für die Mehrheitsbildung notwendige Koalitionspartner im bürgerlichen Lager, als wenig reformfreudig gilt und die Modernisierungs- und Reformagenda der künftigen Regierung eher hemmen als fördern dürfte. Der Co-Vorsitzende der USR-PLUS Dacian Cioloș erklärte, man seit bereit zur Übernahme von Regierungsverantwortung gemeinsam mit der PNL. Aber vor dem Postengeschachere wolle man erst einen Koalitionsvertrag auf Grundlage der Reformpunkte aus dem Regierungsprogramm der liberalen Partei aushandeln. Der Rücktritt von Ludovic Orban eröffne den Weg eines Neuanfangs zwischen beiden Parteien, meinte Cioloș versöhnlich, nachdem es während des Wahlkampfes Spannungen zwischen beiden Konservativen und Liberalen gegeben hatte.

Comeback der Ultrakonservativen und Rechtsextremisten

Nach acht Jahren ohne extremistische Parteien im rumänischen Parlament kam der Einzug der „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR) mit über acht Prozent der Stimmen überraschend. Vor einigen Monaten in Umfragen noch mit Werten von ein bis zwei Prozentpunkten gehandelt, wurde die Partei von Umfrageinstituten und Medien nur marginal beachtet. Doch auch ohne mediale Aufmerksamkeit schaffte sie es, digital und mit vielen von der russischen Propaganda entwickelten Konspirationstheorien, in einer typischen Graswurzelbewegung enttäuschte und von der Krise betroffene Bürger meist aus den mittleren und minderbemittelten Schichten zu erreichen und letztlich auch zu mobilisieren.

Dabei erfuhr die AUR wohl Unterstützung nicht nur über informelle Kommunikationsnetzwerke der orthodoxen Kirche, sondern auch über die der „Koalition für Familie“. Diese war 2018 im sogenannten Familienreferendum mit der Forderung gescheitert, die Ehe ausschließlich als Bund zwischen Mann und Frau in der Verfassung zu verankern. Schon damals konnte sie drei Millionen Unterschriften dafür sammeln.

Hinzu gesellte sich die Impfstoffgegnerbewegung sowie ehemalige nationalpatriotisch gesonnene Generäle und Geheimdienstoffiziere als Parlamentskandidaten. Unklar ist auch die Finanzierung der euroskeptischen AUR, wobei viele die helfende Hand Russlands dahinter vermuten. Ihr Gründer selber bezeichnete Putin allerdings in einem Interview als einen Mörder und dementierte jede Unterstützung.

Gegründet wurde die Partei Ende 2019 von George Simion, zuvor eher bekannt als Unionist – wie die Aktivisten für eine Vereinigung der Republik Moldau mit Rumänien genannt werden. Er gilt jedoch auch als Mitglied der Anti-Masken-Bewegung und solidarisierte sich mit fanatisierten Anhängern eines Fußballvereins, die mit der Einbürgerung eines ausländischen Fußballspielers in die rumänische Nationalmannschaft nicht einverstanden waren.

Eine der AUR-Kandidatinnen kämpfte als Anwältin für den ultrakonservativen Erzbischof Teodosie gegen pandemiebedingte Bewegungseinschränkungen von orthodoxen Pilgern. Die Partei bezeichnet sich selber nicht als extremistisch, sondern als konservativ, christlich, antimarxistisch, unionistisch und „anti-System“. Simion erklärte nach dem Wahlausgang, man wolle weder mit der PNL noch mit der PSD eine Koalition bilden. Sein Co-Vorsitzender Claudiu Târziu, eine der Spitzen in der Familienkoalition, sagte auch: „Wir werden eine konservative Revolution beginnen. Bis jetzt gab es im rumänischen Parlament keine konservative Partei, die die vier Grundwerte Familie, Nation, Glaube und Freiheit vertritt. Wir sind der natürliche Verbündete, der Verteidiger und der Förderer der Kirche, die immer mehr angegriffen wird.“ Der Rechtspopulismus hat auch in Rumänien Einzug gehalten.

Raimar Wagner ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Rumänien und die Republik Moldau mit Sitz in Bukarest.