Philippinen
Sieg für Freiheit und Gerechtigkeit
Nach fast sieben Jahren Haft wurde am 13. November Leila M. De Lima die ehemalige Senatorin und hartnäckige Kritikerin Dutertes (philippinischer Präsident von 2016-22) auf Kaution freigelassen. Immer mehr Zeugen hatten in den vergangenen Monaten ihre vor Jahren gemachten, sie verleumdenden Aussagen zurückgezogen. Das Fallenlassen eines letzten Anklagepunktes ist nun nur noch eine Frage der Zeit.
Leila M. de Lima war das rechtlich unlautere Tun Dutertes sowohl zu seiner Zeit als Bürgermeister der Stadt Davao als auch später als Präsident der Philippinen ein Dorn im Auge. Die ehemalige Justizministerin und Vorsitzende der Menschenrechtskommission war von jeher eine strikte Gegnerin, insbesondere von Dutertes „Krieg gegen Drogen“, bei dem Schätzungen nach 14.000 Menschen durch staatliches Eingreifen ums Leben gekommen sind.
Gegen de Lima wurde im Februar 2017 Haftbefehl erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war sie gewählte Senatorin. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe gegen das Drogenhandelsgesetz verstoßen.Weitere absurde Anschuldigungen folgten. Sie stellte sich den Vorwürfen und kam in Untersuchungshaft. Ihr Mandat als Senatorin (2016-22) nahm sie während all dieser Jahre weiterhin wahr. Nur wenige Tage nach ihrem Haftende reflektierte sie über die vergangenen, in Unfreiheit verbrachten Jahre und verfasste den folgenden Text:
ÜBERLEGUNGEN ZUM WERT DER PERSÖNLICHEN FREIHEIT
Leila M. de Lima 17. November 2023
Seit Montag [dem Tag ihrer Freilassung] kann ich nicht mehr gut schlafen. Vielleicht liegt es an dem merkwürdigen Gefühl der Unvertrautheit mit einstmals vertrauten Dingen. Selbst jetzt, wo ich wieder in der warmen Behaglichkeit des Hauses meiner Kindheit bin. Das Bettlaken, das mich einst tröstete, fühlt sich jetzt fremd auf meiner Haut an. Der Blick aus meinem Schlafzimmerfenster scheint anders zu sein. Vielleicht verändert durch den Lauf der Zeit oder durch die Last meiner fast siebenjährigen Haftzeit.
Ja, sogar das Atmen der kühlen, unbelasteten Provinzluft fühlt sich anders an. Vielleicht macht die Haft das mit einem. Es scheint, als ob die Mauern der Isolation einen Kokon aus Komfort und Routine geschaffen haben, so dass sich die Freiheit, wenn man sie endlich verlässt, gleichzeitig berauschend und verwirrend anfühlt. Vielleicht ist es die bleibende Erinnerung an die einsamen Nächte, die stummen Bitten um Gerechtigkeit und die erdrückende Last der Ungerechtigkeit, die sich auf meine Brust gelegt hat.
Der anfängliche Schock meiner Inhaftierung vor fast sieben Jahren hat mich mit dem Konzept der persönlichen Freiheit in einer Weise konfrontiert, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Was bedeutet es wirklich, frei zu sein, wenn einem die körperliche Freiheit genommen wird? Ist es so, wie der Nationalheld unseres Landes, José Rizal, sagte: „detenido pero no preso“ [„inhaftiert, aber kein Gefangener“]? Ich habe mich geweigert, mir von meinen Unterdrückern die Bedingungen meines Lebens diktieren zu lassen. Ich vertiefte mich in intellektuelle Beschäftigungen, ich verschlang Bücher und politische Papiere, ich arbeitete und schrieb viel, ständig, unaufhörlich, und fand Trost im geschriebenen Wort.
Mehr als ein Geschenk unseres Schöpfers ist die Freiheit in der Tat ein hart erkämpftes Gut. Es ist ein unerbittlicher Kampf, der nicht nur in Kriegsgebieten, in Gerichtssälen und auf der Straße geführt wird, sondern auch im tiefsten Inneren des menschlichen Geistes. In den ersten Monaten meiner Inhaftierung drückte das Gewicht der Isolation mit einer Intensität auf mich, die meine Entschlossenheit auszulöschen drohte.
Ich werde meine Unterdrückung nicht mit Vorstellungen von Märtyrertum oder Verherrlichung des Leidens romantisieren. Die Realität, inhaftiert zu sein, von seinen Angehörigen ferngehalten zu werden und Ungerechtigkeit zu erleiden, war alles andere als romantisch. Es war ein Kampf, der meinen Glauben an die Prinzipien, die mir wichtig waren, auf die Probe stellte. Er war roh, er war Realität. Denn der Weg in die Freiheit ist nicht immer und überall von unerschütterlicher Entschlossenheit geprägt. Er ist voll von Momenten der Verwundbarkeit und des Unglaubens.
Aber gerade in diesen Momenten der Verwundbarkeit werden Sie eine Quelle der Hoffnung und Stärke im Mut gewöhnlicher Menschen finden, die Sie zu der Überzeugung bringt, dass die Rehabilitierung nahe ist. Und dann werden Sie lernen, auch wenn es auf eine äußerst schwierige Art und Weise geschieht, dass es nicht mehr um Sie geht, dass es nicht mehr Ihre Geschichte ist und dass es möglich ist, für sich selbst zu kämpfen, ohne dabei Ihre Verpflichtung aufzugeben, für andere zu kämpfen.
Denn wie der große Nelson Mandela sagte: „Frei zu sein bedeutet nicht nur, die eigenen Ketten abzuwerfen, sondern so zu leben, dass die Freiheit der anderen respektiert und gefördert wird.“ Denn Freiheit ist nichts Persönliches. Sie beginnt zwar mit individuellen Bestrebungen, die auf unseren Überzeugungen und Wünschen beruhen, geht aber über das Individuum hinaus und ist mit der Freiheit anderer verflochten.
Die Ketten, die meine eigene Freiheit gefesselt haben, mögen entfernt worden sein, aber es gibt immer noch Tausende, die zu Unrecht inhaftiert sind, und wir alle sind immer noch an systemische Ungerechtigkeiten gefesselt. Solange es noch Menschen gibt, die im Stillen leiden und von systemischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit unterdrückt werden, können wir niemals wirklich frei sein. Daher geht unser gemeinsamer Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit und das Recht auf ein Leben in Freiheit und Würde weiter.
Leila de Lima wurde aus politischen Gründen von dem damaligen Präsidenten Duterte, ihrem langjährigen Kontrahenten, von der politischen Bühne entfernt. Obwohl ihre Haftbedingungen denkbar spartanisch waren, gelang es ihr, ihre Arbeit als Senatorin fortzusetzen, sich für ihr Land, die Philippinen einzusetzen. Die Haft konnte sie nicht brechen, das wird in ihren Zeilen deutlich. Vielmehr gilt es ihr nun noch mehr denn je, für Rechtstaatlichkeit zu kämpfen.
Warum kam Leila de Lima ausgerechnet jetzt frei? Erstens war ihre Inhaftierung nicht mehr länger zu begründen. Es wurde immer offensichtlicher, dass die Anklagepunkte auf Falschaussagen beruhten. Zweitens kam hinzu, dass ihr größter Gegner, Duterte, nicht mehr im Amt ist und dass drittens sein Nachfolger, Präsident Marcos Jr., dem von außen aufgebauten Druck nicht mehr Stand halten wollte. Der Druck kam nicht nur von den liberalen Freunden de Limas, sondern auch von der Europäischen Union, den USA und vielen anderen Staaten.
Zu einer Demokratie gehört eine unabhängige Justiz sowie das Recht auf einen fairen Prozess – dafür kämpft Leila de Lima. Ihr Einsatz wird dazu führen, dass es in Zukunft mehr Gerechtigkeit gibt.