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Moldau
Pyrrhussieg der Pro-Europäer? Moldauische Präsidentin Maia Sandu muss um Wiederwahl bangen

Moldaus Präsidentin Maia Sandu steht nach einem knappen Referendumserfolg vor einer unsicheren Stichwahl

Moldaus Präsidentin Maia Sandu steht nach einem knappen Referendumserfolg vor einer unsicheren Stichwahl.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Vadim Ghirda

Moldaus pro-westliche Reformpräsidentin Maia Sandu hat sich bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag offenkundig verkalkuliert. Die Favoritin Sandu hatte ihre Wiederwahl zur Präsidentin mit einem Referendum über eine Verfassungsänderung verknüpft, um den Beitritt des Landes zur Europäischen Union in der moldauischen Verfassung zu verankern. Damit wurde das Referendum zum zentralen Wahlkampfthema zwischen pro-europäischen und prorussischen, von Moskau unterstützten politischen Kräften. Bereits nach Mitternacht erklärte Präsidentin Sandu, Russland habe sich direkt in die Wahlen eingemischt, um 300.000 der insgesamt 1,56 Millionen abgegebenen Stimmen (51% Wahlbeteiligung) zu beeinflussen. Nach einer Zitterpartie bis zum letzten Moment stimmten schließlich 50,42 Prozent der Moldauer knapp für das Referendum. Sie selbst gewann den ersten Wahlgang mit 42%, ihre Wiederwahl in der Stichwahl in zwei Wochen ist jedoch nicht mehr ausgemacht.

Republik Moldau wählte gespalten

Auf die Frage „Unterstützen Sie die Verfassungsänderung im Hinblick auf den Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union?“ antwortete die Hälfte der Moldauer mit JA, die andere Hälfte jedoch mit NEIN. Den Unterschied machten dann lediglich ca. 11.267 JA-Stimmen. Allerdings waren es die im Ausland lebenden Moldauer, die vor den Wahllokalen in London, Frankfurt, Rom oder Bukarest stundenlang Schlange standen, um überwiegend zu 77% für Europa zu stimmen. Die in Moskau vor dem Wahllokalen Schlange stehenden Moldauer wählten gegen Europa. In Bukarest mussten die Wahllokale sogar bis 23.00 Uhr offengehalten werden. „Doch das knappe Ergebnis ist an sich schon ein Scheitern des europäischen Projekts. Denn die europäische politische Option wird nicht über die notwendige Legitimität verfügen, um das von Russland ins Spiel gebrachte Monster zu besiegen. Sicher ist, dass die Mehrheit der Moldauer im Inland entweder direkt NEIN zu Europa gesagt oder das Referendum boykottiert haben,“ analysierte der rumänische Nachrichtensender DIGI24. Bedenkt man zudem, dass die beiden prorussischen Kandidaten auf den Plätzen zwei und drei sich für einen Boykott ausgesprochen hatten und im Wahllokal den Referendumsstimmzettel gar nicht erst annahmen, ist das Ergebnis umso beunruhigender. Die Wahlbeobachtungsmission Promo Lex sprach von 778 Vorfällen, jedoch wurde die Korrektheit des Wahlergebnisses nicht in Frage gestellt.

Tatsächlich dürften in Moskau die Korken geknallt haben. Es war nicht nur die russische Anti-EU-Propagandamaschinerie, die die Wähler beeinflusste, sondern Russland schickte über oligarchische Netzwerke des verurteilten Oligarchen Ilhan Shor Millionen ins Land, um Stimmen zu kaufen. Nach Angaben der moldauischen Sicherheitskräfte wurde kürzlich ein Plan aufgedeckt, mit dem pro-russische Netzwerke versuchten, die bevorstehenden Wahlen und das EU-Referendum zu beeinflussen. Dabei sollen über 15 Millionen Dollar aus russischen Quellen über Transnistrien nach Moldau geflossen sein, um den Stimmenkauf zu finanzieren. Mit dem Geld sollten kremltreue Kandidaten unterstützt und die Wähler dazu gebracht werden, beim Referendum gegen den EU-Beitritt zu stimmen. Maia Sandu sagte dazu in der Wahlnacht: „Die Republik Moldau ist heute und in den letzten Monaten von einem beispiellosen Angriff auf Freiheit und Demokratie in unserem Land konfrontiert. Kriminelle Gruppen haben zusammen mit ausländischen Kräften, die unseren Interessen feindlich gesinnt sind, unser Land mit zig Millionen Euro, Lügen und Propaganda, mit den erbärmlichsten Mitteln angegriffen, um unsere Bürger und unser Land in Unsicherheit und Instabilität zu führen. Wir haben Beweise und Informationen, dass es das Ziel dieser kriminellen Gruppe war, 300.000 Stimmen zu kaufen, das Ausmaß des Betrugs ist beispiellos.“

Doch die Schuld für das beinahe Scheitern des Referendums sollte nicht allein Russland zugeschrieben werden. Auch pro-europäische Analysten und Oppositionsparteien hatten das Referendum im Vorfeld als riskantes Wahlkampfmanöver der Präsidentin verurteilt. Zudem warfen mehrere Kandidaten den Wahlbehörden vor, sie im Wahlkampf schikaniert zu haben. Der liberale Kandidat und Vorsitzende der Koalition für Einheit und Wohlstand (CUB), Igor Munteanu, wurde wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei den erforderlichen Unterschriftenlisten nicht zur Wahl zugelassen. Hinzu kommt die schwache Regierungsperformance, zumal Korruption, hohe Energiepreise und niedrige Einkommen nach wie vor zu den größten Problemen der Bevölkerung zählen.

In diesem Zusammenhang übte auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Hacker in einer Presseerklärung offene Kritik: „Das Ergebnis des Referendums über die Verankerung der europäischen Integration in der Verfassung ist für Präsidentin Maia Sandu kein wirklicher Erfolg. Das derart knappe Ergebnis ist der moldauischen Diaspora zu verdanken. In Moldau selbst waren Desinformationskampagnen und die Beeinflussung der Wähler offenbar wirksamer als europäische Bekundungen und zugesagte Milliarden aus Brüssel. Es ist offensichtlich, dass ländliche Regionen mit niedrigem Lebensstandard nicht vor Manipulation und Verwirrung gewappnet sind. Die Entscheidungsträger in Chisinau haben die sozialen und wirtschaftlichen Nöte der Menschen massiv unterschätzt. Hier trägt die moldauische Regierung die Verantwortung, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Das bloße Beklagen von Destabilisierungskampagnen von außen reicht nicht aus.“

Hacker bezog sich in seinem Statement auf den jüngsten Besuch von Ursula von der Leyen am 10. Oktober in Chișinău, die beim Treffen mit Präsidentin Maia Sandu nicht nur die Unterstützung der EU für Moldaus Bestrebungen zur EU-Mitgliedschaft betonte, sondern auch ein neues Finanzhilfepaket in Höhe von 1,8 Milliarden Euro angekündigt hatte, um die wirtschaftliche Entwicklung und Reformen im Land zu fördern.

Wie geht es weiter?

Für die PAS-Regierungspartei erklärte Außenminister Nicu Popescu mit Blick auf das Referendum: „Auch ein knapper Sieg ist ein Sieg.“ Er nannte Schweden als Beispiel, das 1994 beim Referendum nur 52 Prozent Zustimmung für den EU-Beitritt erhalten hatte. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts muss das positive Ergebnis nicht mehr vom Parlament bestätigt werden, sondern das Verfassungsgericht setzt den Volkswillen um, und der EU-Beitritt wird Teil der Verfassung.

Maia Sandu selbst rechnet mit einem harten Kampf in der Stichwahl am 3. November, auch wenn sie mit 42 Prozent der Stimmen weit vor ihrem Herausforderer Alexandr Stoianoglo (26%) von den prorussischen Sozialisten liegt. An dritter Stelle liegt mit 13,80 Prozent der Klein-Oligarch Renato Usatii, der sich ebenfalls gegen das Referendum positionierte, nun aber sich für keinen der Kandidaten aussprechen will. Rechnerisch kommen die prorussischen Kandidaten zusammen auf über 51%, weshalb sie sich in ihrer Rede an die Wähler aller anderen vier pro-europäischen Kandidaten wandte, die zusammen nur auf 4% kommen. Zusätzlich wendete sie sich auch an die Wähler von Usatii. Um die Wähler zu mobilisieren, sprach sie von einem „Anschlag auf die Demokratie“ und „Banditen, die an die Macht kommen wollen. Sie räumte auch das Versagen der moldauischen Justiz ein und versprach, mehr gegen die Korruption zu tun und ”aus dieser Lektion zu lernen”. In ihrem Pressestatement dankte sie insbesondere den über 240.000 ausländischen Wählern, die „die Demokratie im Land gerettet haben“.

Auch forderte sie ihren Gegenkandidaten zum TV-Duell auf: Alexandr Stoianoglo (geboren 1967 in Komrat, Gagausien) war Abgeordneter des Parlaments (2009-2014) und Generalstaatsanwalt der Republik Moldau (2019-2021). Während seiner Amtszeit als Generalstaatsanwalt leitete er mehrere Anti-Korruptions-Ermittlungen, wurde jedoch suspendiert und später verhaftet, was zu politischen Kontroversen führte. Im Jahr 2023 gewann Stoianoglo ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, der entschied, dass seine Suspendierung und Verhaftung rechtswidrig und politisch motiviert waren. 2024 kündigte er seine Präsidentschaftskandidatur an und setzte sich mit Unterstützung der Sozialdemokraten deklarativ im Wahlkampf wie Sandu für Justizreformen und Korruptionsbekämpfung ein, wird aber faktisch der von Russland unterstützte Kandidat sein.

Nachdem „die erste Schlacht in einem ungleichen Kampf korrekt gewonnen wurde“, hofft Sandu nun auf eine noch stärkere Mobilisierung in ihrem Wahlkampfaufruf für ”die nächste Schlacht”. Doch diese wird zusammen mit einer noch stärkeren von Russland geschürten Polarisierung einhergehen. Die Republik Moldau steht ohne Zweifel auf der Kippe.