Menschenrechte
Angriff auf die Zivilgesellschaft in Hongkong
Der Druck auf Nichtregierungsorganisationen in Hongkong wächst. Amnesty International kündigte die Büroschließung an, auch Gewerkschaften müssen ihre Arbeit einstellen. Und das sind nur die jüngsten Beispiele dafür, wie der Staat das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz als Waffe einsetzt. Auch das freie Gedenken an das Tiananmen-Massaker von 1989 steht nun unter Beschuss.
Hongkong hatte einst eine der lebendigsten Zivilgesellschaften in der asiatisch-pazifischen Region. Von dort haben viele internationale Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit in der Region gesteuert. Vor wenigen Wochen hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International angekündigt, ihr Büro in Hongkong zu schließen. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, wie sich die Dinge in Hongkong zum Schlechten verändert haben. Amnesty International erklärte, dass das Nationale Sicherheitsgesetz es den Menschenrechtsorganisationen in Hongkong praktisch unmöglich macht, frei zu arbeiten, ohne Repressalien seitens der Regierung befürchten zu müssen. Es sei völlig unklar, welche Aktivitäten zu strafrechtlichen Sanktionen führen könnten. [Die Friedrich Naumann Stiftung für Freiheit sah sich aus dem Grund schon im vergangenen Jahr gezwungen, ihr Büro in Hongkong zu schließen und eröffnete stattdessen ein neues Büro in Taipei, Taiwan, Anm. d. Red.]
Auch andere lokale Organisationen mussten angesichts des Drucks, dem sie durch das sogenannte Sicherheitsgesetz ausgesetzt sind, ihre Arbeit einstellen. Etwa die Hongkonger Lehrergewerkschaft, in der die 100.000 Lehrer in Hongkong organisiert sind – sie war damit die größte Berufsgewerkschaft Hongkongs. Die Lehrergewerkschaft, die den Schülern liberale demokratische Werte beigebracht hatte, wurde von Peking beschuldigt, die Unruhen der letzten Jahre angezettelt zu haben. Ebenso wurde der Hongkonger Gewerkschaftsbund gezwungen, seine Tätigkeit einzustellen. Er hat jahrzehntelang für die Rechte der Arbeiter gekämpft und stellte den wichtigsten Aspekt der Zivilgesellschaft in Hongkong dar. Wie diese Gewerkschaften die nationale Sicherheit gefährden, ist unklar. Die China Human Rights Lawyers Concern Group wurde ebenfalls zur Schließung gezwungen. Sie war ein Netzwerk zur Unterstützung von Menschenrechtsanwälten in China, die massenhaft verhaftet und strafrechtlich verfolgt wurden.
Dies sind nur die jüngsten Beispiele dafür, wie der Staat das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz einsetzt, um die Zivilgesellschaft in Hongkong zu unterdrücken. Es bleibt abzuwarten, ob die Journalistenvereinigung und der Foreign Correspondence Club noch lange bestehen können. Beide Organisationen wurden vor und nach der Verabschiedung des Nationalen Sicherheitsgesetzes von den Peking-freundlichen Medien und der Regierung Hongkongs angegriffen.
Streit um die „Säule der Schande“ auf dem Uni-Campus
Wie weit die Freiheit in Hongkong schon zurückgewichen ist, lässt sich auch an Einschränkungen zum Gedenken an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 sehen – einem der absoluten Tabu-Themen auf dem Festland. Daran erinnert in Hongkong unter anderem die "Pillar of Shame"-Statue, also die „Säule der Schande“, die auf dem Universitätsgelände in die Höhe ragt. Die Skulptur des dänischen Künstlers Jens Galschiot zeigt eine Säule in rot-orangener Farbe, die aus Menschen zu bestehen scheint, die aufeinander aufgestapelt sind und teils die Münder und Gesichter wie im Schmerz verzerren.
Die Skulptur ist seit fast 25 Jahren ein fester Bestandteil des Hongkonger Campus, doch die Universität will sie nun entfernen lassen, gegen den Willen des Künstlers. Die Säule ist ein Symbol der Freiheit auf dem Campus der ältesten Universität Hongkongs. Die Bildungseinrichtung hat wichtige Persönlichkeiten geprägt, etwa Dr. Sun Yat Sen, Professor Benny Tai (einer der Gründer der Occupy-Central-Bewegung im Jahr 2014) und der politische Aktivist Edward Leung, der jetzt genauso wie Tai im Gefängnis sitzt.
Mit dem Justizbeistand im Streit um die „Säule der Schande“ beauftragte die Hongkonger Universität die US-amerikanische Anwaltskanzlei Mayer Brown. Bürgerinitiativen und Politikerinnen und Politiker in den USA kritisierten Mayer Brown scharf für die Annahme des Auftrags. Die Kanzlei verteidigte sich mit der Behauptung, sie habe lediglich in einer gewöhnlichen Rechtsangelegenheit für ihren Mandanten gehandelt. Die Kanzlei habe sich nicht mit den politischen Hintergründen der Angelegenheit befasst. In ihrem Heimatland schreckt die Kanzlei hingegen nicht vor politischen Themen zurück: Sie unterstützte offen die 'Black Lives Matter'-Bewegung in den USA. Aufgrund des Drucks zog die Kanzlei ihre Vertretung in der Angelegenheit der Universität Hongkong zurück. Dies wiederum führte dazu, dass wütende, pro-Peking-Politikerinnen und Politiker in Hongkong chinesische Firmen aufforderten, Mayer Brown zu boykottieren. Die Kanzlei blickt auf eine lange Geschichte in China zurück und hat viele Mandanten in der Region.
Kerzen im Victoria Park als Symbol für die Wahrheit sollen erlöschen
Zum Gedenken an das Tiananmen-Massaker nahmen früher Hunderttausende Hongkonger jedes Jahr am 4. Juni an der Kerzenwache im Victoria-Park teil. Der Anblick von Hunderttausenden Kerzen hatte Hongkong zu einem Leuchtturm der Freiheit in China gemacht. Die Organisatorin der Kerzenwache, die Hongkonger Allianz zur Unterstützung der patriotischen Demokratiebewegungen in China (kurz: HK Alliance), muss nun ebenfalls ihre Tätigkeit einstellen. Zuvor hatte die Hongkonger Polizei ihre Befugnisse nach dem Gesetz zur nationalen Sicherheit genutzt, um die Führung der HK Alliance zu zwingen, alle Dokumente sowie Informationen über die Mitglieder und Finanzierung seit dem Tag ihrer Gründung herauszugeben.
Der Hauptzweck dieser behördlichen Untersuchung besteht darin, herauszufinden, ob die HK Alliance in der Vergangenheit Spenden von ausländischen Organisationen angenommen hat. Sollte dies in der Vergangenheit der Fall gewesen sein, könnte dies nun im Rahmen des neuen sogenannten Nationalen Sicherheitsgesetzes gegen sie verwendet werden. Die HK Alliance, die inzwischen von der jungen Rechtsanwältin Chow Hang Tung geleitet wird, weigerte sich, den Forderungen der Polizei nachzukommen. Sie argumentierte, dass die HK Alliance nie ein Verbrechen begangen habe und die jährliche Kerzenwache seit mehr als drei Jahrzehnten in Zusammenarbeit und mit Zustimmung der Hongkonger Behörden organisiert wurde.
Tung wurde wegen der Organisation nicht genehmigter friedlicher Versammlungen verhaftet, ihr Antrag auf Kaution wurde von den Hongkonger Gerichten abgelehnt. Es ist unklar, wann sie freigelassen wird. Bei der Entscheidung über ihre Kaution scheinen die Hongkonger Gerichte ihre grundlegenden Menschenrechte, die angeblich durch das Rechtssystem Hongkongs garantiert werden, völlig außer Acht gelassen zu haben. Die ihr vorgeworfenen Straftaten waren weder gewalttätiger Natur, noch ist anzunehmen, dass friedliche Versammlungen die nationale Sicherheit gefährden. Dennoch werden Tung und andere wie Terroristen behandelt und eine Kaution abgelehnt. In einem mutigen Schritt zur Verteidigung ihrer Freiheit und Würde weigerte sich Tung, sich zum Schweigen bringen zu lassen. Ihre mündlichen Aussagen vor Gericht nutzte sie, um sich selbst und die Aktionen der HK Alliance in den letzten drei Jahrzehnten zu verteidigen. Sie sagte, die Kerzen im Victoria Park seien ein Symbol für die Wahrheit und den Kampf gegen den Autoritarismus. Sie dürften nicht ausgelöscht werden.
Die internationale Gemeinschaft muss handeln
Es besteht nun die dringende Notwendigkeit, die Zivilgesellschaft außerhalb Hongkongs wieder aufzubauen, um die Lücke zu schließen, die durch die Unterdrückung von Innen entstanden ist. Die internationale Zivilgesellschaft und Think Tanks sollten sich überlegen, wie sie die einstmals lebendige Zivilgesellschaft in Hongkong wiederbeleben und weiterhin an den drängenden Menschenrechtsfragen in der Region China arbeiten können. Die durch das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz geschaffene Dunkelheit kann die Freiheit und die bürgerlichen Freiheiten nicht eindämmen, wenn die internationale Gemeinschaft aufmerksam wird und jetzt handelt.
* Dennis Kwok ist Senior Fellow an der Harvard Kennedy School. Er ist außerdem ehemaliges Mitglied des Legislativrats von Hongkong (2012 bis 2020).