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Pandemie
Covid-Angst in den einstigen Vorzeigeländern in Südost- und Ostasien

Sammelbericht zur aktuellen Pandemiesituation in Südost- und Ostasien
Militärpersonal desinfiziert eine taiwanische Teststation
Militärpersonal desinfiziert eine taiwanische Teststation. Durch den Anstieg der Neuinfektionen wurde die Alarmstufe auf 3 erhöht. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Walid Berrazeg

Während die Corona-Pandemie weltweit wütete, herrschte in Taiwan die längste Zeit Normalität. In Deutschland wurden Ausgangssperren verhängt, in Taipei fand die größte „Pride Parade“ Asiens mit über 100.000 Teilnehmenden statt. 250 Tage lang wurden keine Infektionen auf der Insel verzeichnet. Alle Welt schaute nach Taiwan, nicht ohne Neid um die Freiheiten der Bürger auf der Insel.

Nun hat sich auch die Lage in Deutschland in den vergangenen Wochen zunehmend entspannt. Die Quote der Erstimpfquote in Deutschland ist auf fast 40 Prozent gestiegen, erste Lockerungen treten in Kraft. Auch in Südost- und Ostasien hat sich in den vergangenen Wochen die Lage verändert – allerdings zum Schlechteren, wenngleich die Zahlen immer noch deutlich unter denen in Deutschland liegen. In vielen Ländern drohen dennoch Monate mit massiven Einschränkungen.

Dabei sah es vor allem in Taiwan so aus, als wäre die Pandemie dort unter Kontrolle. Schon im Januar 2020 hatte die taiwanische Regierung Schutzmaßnahmen gegen „eine neuartige Lungenkrankheit aus Wuhan“ ergriffen. Anlass waren Einträge in einem chinesischen Forum, die auf einen Ausbruch in Wuhan und die Vertuschung durch die Behörden hinwiesen. Die Einreise nach Taiwan wurde zuerst aus China und dann aus allen anderen von der Pandemie betroffenen Ländern verboten. Wer noch einreisen durfte, wurde gründlich desinfiziert und musste sich 14 Tage in eine streng überwachte Quarantäne begeben. Infektionsketten wurden restlos nachverfolgt, die Bevölkerung trug bereitwillig Masken, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden war das Tragen Pflicht. Die Behandlung von Verdachtsfällen und Infektionen war kostenlos, und wer infiziert war, musste unabhängig von Symptomen im Krankenhaus bleiben, bis das Virus nicht mehr nachweisbar war. Es gab eine tägliche Pressekonferenz mit dem Gesundheitsminister, in welcher er alle Fragen beantwortete, die ihm gestellt wurden – ohne Zeitlimit. Diese Transparenz brachte ihm großes Vertrauen seitens der Bevölkerung ein.

Aber seit Mitte Mai spielen sich in der taiwanischen Metropole Taipei ähnliche Szenen ab wie in Deutschland im März 2020: Vor den Supermärkten bilden sich lange Schlangen, drinnen schaufeln die Menschen ganze Berge an Klopapier in den Einkaufswagen, die Regale mit haltbaren Lebensmitteln wie Instant Nudeln sind leergekauft. Was war passiert? Gesundheitsminister Chen Shih-chung hatte verkündet, dass das Virus sich innerhalb Taiwans verbreite und neue Fälle nicht mehr nur importiert werden. Die Quelle des Ausbruchs scheint ein Hotel am Flughafen gewesen zu sein, in welchem Airline Crews und Touristen regelwidrig gemeinsam untergebracht wurden. 39 Infektionen wurden aus diesem Cluster bekannt – aber plötzlich tauchten noch weitere Fälle auf, bei denen kein direkter Zusammenhang zu diesem Cluster hergestellt werden konnte. Es stellte sich heraus, dass einige Crewmitglieder ihre Gesundheitsauflagen verletzt und stark besuchte Orte aufgesucht hatten. Die Neuinfektionen schnellten daraufhin auf 333 Neuinfektionen hoch.

Und so sind die Straßen und U-Bahnen in Taipei gähnend leer, obwohl in Taipei (noch) gar kein echter Lockdown verordnet ist. Während in den Monaten davor vielleicht eine gewisse Selbstzufriedenheit dazu führte, dass Masken weniger getragen und die Regeln weniger genau kontrolliert wurden, so sind die Menschen jetzt wieder sehr diszipliniert. Denn was ein unkontrollierter Ausbruch der Pandemie bedeutet, das wissen die Menschen zum einen aus ihren eigenen Erfahrungen mit SARS in den frühen 2000er Jahren, aber auch aktuell aus den anderen Ländern der Welt.

Die Maßnahmen die in Taiwan jetzt ergriffen werden sind vergleichsweise schnell und hart – 333 Neuinfektionen in ganz Taiwan sind umgerechnet 1,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. In Deutschland beträgt der Wert aktuell um die 70 – und Lockerungen treten in Kraft. Das Ziel in Taiwan ist klar: Man will zurück zu null Ansteckungen, um dann wieder zur Normalität zurück kehren zu können. In Anbetracht der Schwierigkeiten, die Taiwan hat, an Impfstoffe zu kommen - bis dato konnten nur 365.000 Dosen AstraZeneca über die COVAX Initiative importiert werden, weitere 4 Millionen Dosen Moderna sind in Aussicht - hat Taiwan auch keine andere Alternative.

Singapur: Flughafen-Mitarbeiter verbreiteten das Virus

In Singapur stellt sich die Situation ähnlich dar. Auch hier kam es in den vergangenen Wochen zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle – fast 250 Menschen wurden dort in einer Woche positiv auf das Virus getestet. Zuvor war der Stadtstaat vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen; seit Ausbruch hatten sich offiziellen Zahlen zufolge knapp 61.000 Menschen infiziert, 35 Todesfälle wurden erfasst. Als Auslöser für den Ausbruch gilt ein Cluster unter Flughafen-Angestellten, die sich offenbar bei Einreisenden aus Hochrisikoländern ansteckten und anschließend im öffentlichen Foodcourt aßen.

Die Regierung reagierte mit drastischen Maßnahmen. So dürfen sich seit vergangener Woche maximal zwei Menschen treffen, Restaurants müssen vorübergehend schließen und Homeoffice ist Pflicht. Besonders bitter ist, dass nun wohl auch der geplante Reisekorridor zwischen Singapur und Hongkong nicht zustande kommen wird. Ab dem 26. Mai sollte es den Anwohnern möglich sein, ohne Quarantäne zwischen Hongkong und Singapur reisen zu können. Hongkong hat mit drei Wochen Quarantäne eine der strengsten Vorgaben in der Region.

Thailand: Besonders in Gefängnissen grassiert Covid

Auch Thailand galt lange als Musterbeispiel einer erfolgreichen “Zero-Covid”-Strategie. Von Beginn an setzte das Land auf eine strikte Abschottungs- und Eindämmungspolitik. Zunächst war es für Ausländer praktisch unmöglich, ins Land zu kommen. Seit einiger Zeit dürfen sie zwar wieder einreisen, müssen zunächst aber ebenfalls eine 14-tägige Quarantäne in einem Hotelzimmer hinter sich bringen. Zudem verhängt die Regierung schnell Restriktionen: Schulen, Parks und Restaurants werden schon bei kleinen Ausbrüchen rasch geschlossen. Infizierte müssen sofort in einer zentralen Unterbringung in die Isolation - und dürfen nicht etwa zu Hause bleiben wie in Deutschland.

Nun scheint das Virus aber dennoch außer Kontrolle geraten zu sein. Mittlerweile verzeichnet das Land deutlich mehr als 100.000 Fälle, mehr als zwei Drittel davon registrierten die Behörden erst seit April. Besonders in den Gefängnissen grassiert das Virus: In manchen Haftanstalten ist fast die Hälfte aller Insassen infiziert. Die Zustände wurden erst bekannt, nachdem mehrere Demokratie-Aktivisten auf Kaution aus der Haft entlassen wurden und infiziert waren. Nach den Medienberichten begannen die Behörden mit Massentests.

Das Land wird nun wohl noch länger im Ausnahmezustand bleiben. Hauptproblem: Die Impfkampagne der Regierung läuft nur schleppend an. Neben dem chinesischen Impfstoff Sinovac setzte Thailand zunächst vor allem auf den britischen Hersteller AstraZeneca. Doch der Deal mit den Briten ist umstritten. Die Regierung lässt den Impfstoff lokal produzieren. Das für die Herstellung zuständige Unternehmen Siam Bioscience, das dem König gehört, hat keine Erfahrung mit Impfstoffproduktion. Mittlerweile ist klar, dass das Unternehmen die benötigten Mengen nicht schnell genug liefern kann. Bis nun zusätzlich bestelle Impfstoffe anderer Hersteller eintreffen, werden Monate vergehen. Kritiker werfen der Regierung vor, zu sehr auf das Unternehmen gesetzt zu haben. Doch eine offene Debatte über das Thema findet nicht statt - auch wegen des strengen Majestätsbeleidigungsgesetzes. Als der prominente Regierungskritiker Thanathorn Juangroongruangkit die Beschaffungspolitik hinterfragte, wurde kurz darauf ein Verfahren gegen ihn eröffnet. Bei einer Verurteilung drohen ihm nun bis zu 15 Jahre Haft.

Vietnam: Eigener Impfstoff ist in Arbeit – doch Impfbereitschaft ist gering

Auch in Vietnam, das lange von einem Pandemie-Ausbruch verschont geblieben war, wurden laut der Vietnam News Agency zwischen dem 27. April bis zum Morgen des 18. Mai 1339 neue Covid19-Fälle bekannt. Im Durchschnitt kommen täglich rund 60 neue Fälle hinzu, die Tendenz ist auch hier steigend. Allerdings sind 2021 bislang erst zwei Todesfälle zu beklagen.

Anders als noch im Jahr zuvor, als die Pandemie ausgebrochen war, wissen die vietnamesischen Behörden nun mehr darüber, wie sie mit einer solchen Krise umgehen können. Panik in der Bevölkerung soll um jeden Preis vermieden werden. Dies war auch im Vorjahr der Fall, als bei jedem einzelnen der 35 im Zusammenhang mit Covid19 verstorbenen Vietnamesen akribisch die Krankenvorgeschichte publik gemacht wurde. Verglichen mit den massiven Einschränkungen in den großen Städten wie Hanoi und Saigon im März 2020, sind die derzeitigen Maßnahmen vorsichtig und darauf bedacht, auf keinen Fall das Wirtschaftswachstum – und damit auch die Legitimation der regierenden Kommunistischen Partei Vietnams - zu gefährden. Gerade angesichts der Wahlen zur Nationalversammlung am 23. Mai herrscht große Nervosität.

Der neue Premierminister Phạm Minh Chính versucht ebenfalls neue Akzente zu setzen, etwa durch proaktives Testen mit hoher Abdeckung, den Einsatz von Technologie zur Rückverfolgung der Infektionsketten und durch neue Impfstrategien. Entgegen den offiziellen Verkündigungen in der staatlich gesteuerten Presse, ist die Impfbereitschaft in der Bevölkerung nicht überall stark ausgeprägt. Vietnam hat bislang zudem nicht ausreichend Impfstoffe geordert. Eigentlich sollten erst im August Massenimpfungen durchgeführt werden. Die neuen Krankheitsfälle machen das Problem dringender. Nach Angabe des Gesundheitsministeriums stehen derzeit nur etwa 2.493.000 Dosen AstraZeneca zur Verfügung. Gleichzeitig streckt Vietnam die Fühler auch nach Russland aus, zu dem es traditionell gute Beziehungen gibt. Auch wird versucht an PfizerBionTech zu kommen.

Zudem arbeitet Vietnam an einem eigenen Impfstoff: „Nanocovax“ ist ein „klassischer“ Impfstoff, der nicht auf der neuen mRNA/Vektor-Technologie beruht. Dieser Impfstoff soll im November zur Verfügung stehen. Fast scheint es, dass Vietnam auf Zeit spielt, da man diese Eigenentwicklung als einen Prestigeerfolg für das Land kommunizieren könnte.

Südkorea: Stabile Zahlen und hohe Maßstäbe

Die Beispiele aus Taiwan, Thailand und Vietnam zeigen: Bei der Beurteilung der Zahlen liegt vieles im Auge des Betrachters. Infektionszahlen, von denen Deutschland träumt, geben auch in Südkorea Anlass zu tiefer Besorgnis. Der Rekord an Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie wurde am 24. Dezember 2020 mit 1.237 Neuinfektionen erreicht. Deutschland verzeichnete an diesem Tag 26.467. Zurzeit hat sich die Situation in Südkorea im höheren dreistelligen Bereich zwischen 600 und 800 Neuinfektionen pro Tag eingependelt. Die Situation ist stabil und trotzdem ist man nicht zufrieden, da man sich ebenfalls „Zero Covid“ als Ziel gesetzt hat.

Der Schlüssel zum Erfolg bei der Bekämpfung der Neuinfektionen liegt in der Schnelligkeit und im konsequenten Einsatz moderner Informationstechnologie. Als es nötig wurde, errichtete man im Dezember 2020 hunderte von Testzentren, von denen viele im Frühjahr wieder abgebaut werden konnten. Bei Bekanntwerden eines Positivtests setzt sich unverzüglich eine Maschinerie in Gang, durch die das Umfeld des Infizierten untersucht und isoliert wird.

Südkorea ist berechtigterweise viel Anerkennung für sein Corona-Management zuteilgeworden, doch trübt sich das Bild beim Thema „Impfen“ deutlich ein. Nur zögernd lief die Impfkampagne erst Ende Februar endlich an und es bleibt zäh. Am 19.  Mai sind erst 2,3% der 51 Mio. Menschen umfassenden Bevölkerung vollständig geimpft. Die Gesamtzahl der im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Personen liegt bei unter 2.000.

Japan: Bringt Corona die olympische Flamme zum Erlöschen?

Japans Sieben-Tage-Inzidenz von etwa 35 würde in vielen Ländern Euphorie und Jubel auslösen – dort aber wird in einigen Provinzen der Corona-Notstand ausgerufen. Die Regierung steht unter enormem Druck, die Olympischen Spiele abzusagen, wofür sich nicht nur bedeutende Ärzteverbände, sondern in Umfragen auch eine Mehrheit der Bevölkerung aussprechen. Laut „New York Times“ sprechen sich inzwischen 83 Prozent der Bevölkerung dafür aus, das Großevent abzusagen. Eine Petition für die Absage der spiele unterschrieben mehr als 350.000 Japaner. Auch das Ausland traut der Situation nicht. Touristen dürfen ohnehin nicht einreisen, aber einige ausländische Olympiamannschaften haben ihre Vorbereitungspläne geändert und verzichten nun auf Trainingslager. Zweifel am Hygiene- und Sicherheitskonzept der Ausrichter sind mit Händen greifbar. 

In den letzten zwei Monaten sind die Zahlen wieder kontinuierlich gestiegen, doch sind sie weiterhin vergleichsweise gering. Bei einer Gesamtbevölkerung von 126,5 Millionen Menschen und weniger als 700.000 Gesamtfällen (Deutschland: 83 Mio./ knapp 3,7 Mio.) würden andere Länder eher Entwarnung geben als die Maßnahmen zu verschärfen. Nicht wenige misstrauen aber den veröffentlichen Infektionszahlen. Die Quote der vollständig Geimpften liegt bei 1,7 Prozent. Die Zahlen, das Corona-Management und die Olympiafrage bekommen immer mehr politische Dimensionen: In der Präfektur Tokio stehen Anfang Juli Parlamentswahlen an.

Anna Marti, Frederic Spohr, Andreas Stoffers und Christian Taaks leiten die Büros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Taipei, Bangkok, Hanoi und Seoul