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Taiwan
„Es wird schwierig, zu regieren“

Taiwans neuer Präsident William Lai

Taiwans Präsident Lai bei seiner Amtseinführung

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ichiro Ohara

Am 20. Mai wurden der neue taiwanesische Präsident William Ching-te Lai und seine Vizepräsidentin Bi-khim Hsiao in Taipei in ihr Amt eingeführt. An der Veranstaltung nahmen zahlreiche Vertreter aus Nachbarländern, der internationalen Gemeinschaft sowie taiwanische Politiker aller Fraktionen und Vertreter der Zivilgesellschaft teil.

Dr. Rainer Adam, der derzeitige Leiter des Taiwan-Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Taipei, war bei der Amtseinführung ebenfalls zu Gast. Freiheit.org sprach mit Dr. Adam über den neuen Präsidenten Lai, seine neue Regierung und über die politische Situation auf der Insel.

Wer ist Taiwans neuer Präsident?

William Lai wurde 1959 im Norden Taiwans in eine Arbeiterfamilie im Kohlebergbau geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters durch eine Monoxid Vergiftung im Jahr 1960 war seine Mutter gezwungen, alleinerziehend sechs Kinder großzuziehen. Lai studierte öffentliches Gesundheitswesen und war Präsident der National Physicians Support Association. 1996 zog er ins Parlament ein und blieb vier aufeinanderfolgende Legislaturperioden. Von 2010 bis 2017 war er auch Bürgermeister von Tainan City, der ältesten Stadt der Insel. Lai bekleidete verschiedene Ämter in der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Im Jahr 2017 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt und hatte das Amt bis 2019 inne. Von 2020 bis 2024 unterstützte er Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen als Vizepräsident. Im Januar gewann er die Präsidentschaftswahl, zu der drei Kandidaten antraten, mit 40% der Stimmen. William Lai ist der dritte Vizepräsident Taiwans, der zum Präsidenten der Insel aufstieg. Präsident Lai ist ein überzeugter liberaler Demokrat, der sich für die Verteidigung der demokratischen Ordnung der Insel einsetzen wird.

Was können wir von Präsident Lai und seiner neuen Regierung erwarten?

Die Rede des neuen Präsidenten bei seiner Amtseiführung weist darauf hin, dass William Lai den Weg seiner Vorgängerin fortsetzen und Taiwan als Leuchtturm der Demokratie verteidigen wird. Der Erhalt des Status quo der Insel wird im Mittelpunkt seiner Agenda stehen. Das ist auch, was die Mehrheit der Bürger Taiwans will. Lai rief Peking in seiner ersten Rede als Präsident dazu auf, politische und militärische Einschüchterung einzustellen. Er hoffe, dass Dialog über Konfrontation gestellt werde und schlug Kooperation vor, zum Beispiel durch Touristen und Studierende.

Obwohl Lais Sieg bei der Präsidentschaftswahl eindeutig war, hat seine regierende DPP ihre seit 2016 bestehende Mehrheit in der Legislativkammer knapp verloren. Von den 113 Sitzen entfallen nun 52 auf die Kuomintang und 51 auf die DPP. Acht Sitze belegt die Taiwan People's Party, zudem gibt es zwei unabhängige Abgeordnete. Die Lage erschwert Vorhersagen hinsichtlich der politischen Kompromisse, die für die Formulierung und Verabschiedung neuer Gesetze und Programme notwendig sind.  Es wird schwierig, zu regieren. Das zeigten auch die jüngsten Tumulte im Parliament. Und es wird sicherlich auch eine Herausforderung sein, der Öffentlichkeit Politik zu erklären und absehbaren Vorwürfen von Kritikern entgegenzutreten, man bediene eher Sonderinteressen als dem öffentlichen Wohl zu dienen.

Die Zusammensetzung des Kabinetts lässt Kontinuität erwarten. Die neuen Mitglieder des Sicherheitsteams verfügen über umfangreiche Erfahrungen, da sie alle in der Regierung von Präsidentin Tsai tätig waren. Zum Beispiel verfügt der neue Verteidigungsminister Wellington Koo, ein Zivilist, über umfangreiche Erfahrungen im Sicherheitsbereich, weil er unter Präsident Tsai als Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates tätig war. Herr Koo tauschte Posten mit dem ehemaligen Außenminister Joseph Wu. Der neue Außenminister, Herr Chia-lung Lin, war zuvor Bürgermeister von Taichung City und Verkehrsminister. Seit 2023 leitete er das Präsidialamt als Generalsekretär. Allerdings hat Chia-lung Lin nicht viel praktische Erfahrung in der Außenpolitik - ganz anders als Bi-khim Hsiao, die neue Vizepräsidentin, die als ehemalige Gesandte Taiwans in den USA umfangreiche internationale Erfahrung hat. Das dürfte helfen, den offenen Draht zur US-Regierung, dem wichtigsten internationalen Partner Taiwans, sicherzustellen. Außerdem vertrat Frau Hsiao die DPP im Council of Asian Liberals and Democrats (CALD), einem Parteiennetzwerk. Sie ist also auch in Asien und in Europa gut vernetzt.

Der Anteil der Frauen im neuen Kabinett mag im internationalen Vergleich als niedrig angesehen werden. Mit einem Anteil von einem knappen Viertel ist er jedoch für Taiwan ein historischer Höchststand. Vor allem die Ernennung von Frau Li-Chiun Cheng zum Vizepremier hat in der Öffentlichkeit großen Anklang gefunden, wie eine Meinungsumfrage bestätigt.

Präsident Lai hat versprochen, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Insel von China zu verringern. Für die amerikanischen Partner sind Taiwans Exporte von Halbleitern und Mikrochips nach Hongkong ein Grund zur Sorge, da sie an Russland weitergeleitet und Putins Krieg gegen die Ukraine unterstützen könnten. Präsident Lai steht nach wie vor hinter der Entscheidung seiner Partei, alle Kernkraftwerke bis 2025 abzuschalten.

Wie werden Taiwans Nachbarn, insbesondere die Kommunistische Partei Chinas, auf Taiwans neue Regierung reagieren?

In der Vergangenheit hat William Lai die Kommunistische Partei Chinas durch spitze Bemerkungen verärgert. Doch seit er in die Politik eingetreten ist, hat er betont, dass die Erhaltung des Status quo sein Hauptziel ist. Dennoch ist damit zu rechnen, dass Peking Präsident Lai warnen wird, pragmatisch zu bleiben.

Die Kommunistische Partei Chinas könnte die Ernennung von Herrn Chui-cheng Chiu zum neuen Leiter von Taiwans Rat für Festlandangelegenheiten (MAC) begrüßen. Er ist als Pragmatiker bekannt und verfügt über umfangreiche Erfahrungen in den Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland.

Welches sind die größten Herausforderungen für Präsident Lai und seine Regierung?

Abgesehen von der Wahrung des empfindlichen Gleichgewichts in der Meerenge von Taiwan und der Aufrechterhaltung des Status quo gegenüber einem zuweilen aggressiven China gibt es ernsthafte innenpolitische Herausforderungen. An erster Stelle stehen die steigenden Wohnkosten und die Stagnation der Pro-Kopf-Einkommen und der Löhne. Zwar konnte der Wachstumseinbruch von 2022 und 2023 überwunden werden. Die für 2024 erwartete Wachstumsrate von 3,4 Prozent des BIP scheint aus europäischer Sicht nicht schlecht zu sein. Allerdings ist sie nicht gut genug in einer alternden Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf die steigenden Kosten für Gesundheitsversorgung und Alterssicherung. Das öffentliche Gesundheitssystem widerstandsfähiger zu machen, wird eine der Aufgaben der neuen Regierung sein.

Weitere Herausforderungen sind die Höhe und die Zusammensetzung der Verteidigungsausgaben. Seit der Erhöhung dieses Haushaltspostens im Jahr 2023 werden 2,6 % des BIP für Verteidigung ausgegeben. Experten halten dies angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Festlandchina immer noch für zu bescheiden. Taiwan braucht dringend eine Aufstockung seiner Artillerie-, Raketen-, Cyber- und Luftverteidigungskapazitäten. Auch der Schutz seiner kritischen Infrastruktur muss dringend verbessert werden. Für Präsident Lai und sein Team wird es nicht einfach, das richtige Gleichgewicht bei der Zuweisung von öffentlichen Mitteln für Notwendigkeiten und Investitionen zu finden.

Was können Deutschland und Europa tun, um Taiwan zu unterstützen?

In diesen Zeiten der geopolitischen Konfrontation ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Demokratien eine Selbstverständlichkeit. Taiwan braucht Freihandelsvereinbarungen mit möglichst vielen Partnern, um seine Wirtschaft zu stärken. Die EU könnte sich hier bewegen, wenn ihre politischen Führer den politischen Willen dazu hätten. Da Schnelligkeit jedoch keine Eigenschaft der EU ist und angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen, sind dies keine idealen Zeiten für schnelle Ergebnisse. In dieser Situation sind bilaterale Handelsabkommen mit einzelnen Mitgliedstaaten wünschenswert.

Die europäischen Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, sollten ihre diplomatischen Praktiken in Bezug auf die Beschränkung von Einreisen von hohen Mandatsträgern der neuen Regierung von Herrn Lai in die EU überdenken. Statt Einschränkungen ist eine Intensivierung von Kontakten notwendig. Bilaterale und multilaterale Treffen samt Austausch mit möglichst vielen Akteuren fördern das Verständnis und das Vertrauen zwischen gleichgesinnten Partnern als Mitglieder der Gemeinschaft der Demokratien. Die deutsche Regierung hat jüngst eine Chance für Gespräche zur Förderung von Vertrauen und Verständnis mit der neuen Regierung verpasst. Im Mai, während einer Europareise der gewählten Vizepräsidentin Bi-khim Hsiao, die vor ihrem Amtsantritt stattfand, war Frau Hsiao leider nicht in Deutschland willkommen.

Die US-Regierung hat hier in Taipei eine große Delegation aus ehemaligen Beamten und Politikern zur Amtseinführung von Präsident William Lai und Vizepräsidentin Bi-khim Hsiao geschickt. Damit wird signalisiert, dass die US-Regierung Präsident Lai und die neue taiwanesische Regierung unterstützt. Zwar waren Vertreter des Parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipei bei der Vereidigung zugegen. Doch ich persönlich wünschte mir ein stärkeres Signal seitens der Bundesregierung.

*Dr. Rainer Adam ist Leiter ad Interim des Büros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Taipei.