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Ukraine-Wiederaufbaukonferenz
Keine Trümmer hinterlassen – Unterstützung und Wiederaufbau der Ukraine

Wolodymyr Selenskyj
© picture alliance / PIC ONE | Christian Ender

Die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin, der G7-Gipfel in Italien sowie die erste Friedenskonferenz in der Schweiz – die zweite Juni-Woche stand komplett unter dem Zeichen von Solidarität für die Ukraine. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach vor dem Bundestag und warb um mehr Unterstützung, vor allem im militärischen Bereich, damit die Ukraine eine faire Chance erhalte, ihren Kampf ums Überleben zu gewinnen.

Russlands Raketenangriffe der vergangenen Monate galten primär der ukrainischen Energie-Infrastruktur – und trafen neben Kraftwerken dennoch vielfach Zivilisten in Einkaufszentren und Wohnhäusern tödlich.  80 Prozent der Wärmekraftwerke sind ukrainischen Angaben zufolge mittlerweile beschädigt oder zerstört, die Energiesicherheit der Ukraine ist massiv bedroht. Zum täglichen Leben gehören neben den ständigen Luftalarmen auch Stromausfälle im ganzen Land. Die Ukrainer bereiten sich wieder auf einen harten Winter vor. Was dem Land im Überlebenskrieg gegen Russland jetzt helfen würde, wäre eine moderne Luftverteidigung und umfangreiche Investitionen in den Wiederaufbau – beides Themen, die letzte Woche in Berlin besprochen wurden.

Die dritte Ukraine-Wiederaufbaukonferenz, deren Gastgeber diesmal Deutschland war, hatte private Investitionen für die Ukraine im Fokus. Auf die oft gestellte Frage, ob es sich denn lohnen würde, in den Wiederaufbau zu investieren, während der Krieg in der Ukraine noch tobt, antworteten die meisten Teilnehmer, darunter auch Bundeskanzler Scholz in seiner Rede, mit einem klaren „Ja“. Der Bundeskanzler wörtlich: "Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss." Scholz versprach zudem mehr Luftverteidigung für die Ukraine. Dieses Versprechen muss so schnell wie möglich eingelöst werden – die Dringlichkeit angesichts täglicher Angriffe von Russland unterstrich Präsident Selenskyj in seiner Rede sowohl bei der Wiederaufbaukonferenz als auch vor dem Bundestag.

Auf der Konferenz in Berlin präsentierten sich die Kommunen und die Zivilgesellschaft als Vehikel des Wiederaufbaus – was allerdings nicht uneingeschränkt von der ukrainischen Regierung geteilt wird: „Gern bottom-up, aber im Rahmen der von der Regierung vorgegebenen Strategie“, so ein ukrainischer Regierungsvertreter auf einem der Panels der Wiederaufbaukonferenz. Solche Äußerungen weisen auf die aktuelle Herausforderung der ukrainischen Politik hin. Die im Zuge der erfolgreichen Dezentralisierungsreform stark gewordenen Kommunen wollen und können den Wiederaufbau in die eigenen Hände nehmen – werden aber dabei von der ukrainischen Regierung vor allem durch die Mittelverteilung kontrolliert. Es entstehen gefährliche Konfliktlinien zwischen den lokalen und zentralen Akteuren, die in Zeiten des Krieges das Land destabilisieren könnten. Zwar konnten Vertreter einiger ukrainischer Gebiete auf der Wiederaufbaukonferenz bilaterale Vereinbarungen mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sichern, der Großteil der in Berlin vereinbarten Darlehen von über 500 Millionen Euro wird jedoch über die Regierung in Kyjiw abgewickelt. Die Mittel sollen dazu dienen, die kritische Infrastruktur des Landes wiederherzustellen und das zerstörte Wohneigentum der Zivilbevölkerung durch Neubau zu kompensieren. Dies führt zu einer weiteren großen Frage, die heiß diskutiert wurde: wer soll für die Kriegsschäden durch Russland bezahlen?

Die Kriegsschäden belaufen sich nach aktuellen Schätzungen auf ca. 500 Milliarden Dollar. Die bisherigen Wiederaufbauhilfen kamen von den westlichen Verbündeten der Ukraine sowie den multilateralen Finanzinstitutionen, also aus der öffentlichen Hand, und somit größtenteils von den Bevölkerungen der westlichen Staaten. Dabei wäre es nur fair, wenn Russland für diese Schäden aufkommen würde – und das bereits jetzt. Aus diesem Grund wird die Verwendung von eingefrorenem russischen Staatsvermögen für die Ukraine-Hilfen seit Monaten kontrovers diskutiert. Ca. 300 Milliarden Euro liegen auf Konten in der EU und in den G7-Staaten und generieren jährliche Zinserträge in der Höhe von ca. 3 Milliarden Euro. Zuerst einigten sich die EU-Staaten auf die Verwendung dieser Erträge für militärische Hilfen an die Ukraine. Nun sollen diese Zinserträge nach dem G7-Beschluss von Italien für die Absicherung einer Kreditlinie in der Höhe von 50 Milliarden Euro genutzt werden, die dazu dienen soll, die Verteidigung der Ukraine zu stärken und den Wiederaufbau zu ermöglichen.

Aus russischer Sicht ist die Nutzung des eingefrorenen Vermögens nicht rechtens; der russische Machthaber Putin bezeichnete sie als „Raub“; hier scheut er sich nicht vor klaren Worten, während er seine Handlungen in der Ukraine immer noch als „spezielle Militäroperation“ und nicht als Krieg bezeichnet. Dabei sind sich die meisten Experten und Juristen einig, dass die Nutzung der Zinserträge rechtlich vertretbar ist. Zu dieser Schlussfolgerung kamen auch die Experten, die im Rahmen des von der Friedrich-Naumann-Stiftung organisierten Fachgesprächs am Rande der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz über die Nutzung von eingefrorenem russischen Staatsvermögen diskutierten. Was weiterhin kontrovers bleibt, ist die Forderung der Ukraine und einiger westlicher Staaten, darunter der USA, auch die eingefrorenen Assets selbst zu nutzen. Kritiker befürchten Konsequenzen für den Investitionsstandort EU sowie massive Reputations- und Finanzschäden für die EU, wenn Russland dagegen klagen und gewinnen würde. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Diskussion weiterlaufen wird. Es müssen neue Wege gefunden werden, Russland zur Rechenschaft für die Kriegsschäden in der Ukraine zu ziehen, damit diese Last nicht auf den Schultern der Ukrainer und ihrer Verbündeten getragen wird. Zu warten, dass der Krieg irgendwann vorbei ist und Russland im Laufe der Friedensverhandlungen zu Reparationszahlungen verpflichtet wird, ist in den Augen der Opfer der russischen Aggression, die Unterstützung und Kompensation jetzt brauchen, unfair.

Zumal die Friedensperspektive weiterhin kurz- bis mittelfristig eher utopisch ist. Obwohl die meisten Länder der Einladung zum ersten Friedensgipfel in der Schweiz am vergangenen Wochenende gefolgt sind, darunter auch einige Verbündete Russlands, und sich der Abschlussdeklaration angeschlossen haben, ist ein Ende des Krieges noch lange nicht in Sicht. Über den Frieden kann erst gesprochen werden, wenn Russland alle Kriegshandlungen in der Ukraine einstellt, sich vom ukrainischen Gebiet zurückzieht, für die Kriegsschäden aufkommt und die Ukraine verbindliche Sicherheitsgarantien bekommt, die einen erneuten Überfall Russlands verhindern. Der russische Machthaber Putin machte vor dem Friedensgipfel klar, dass er hierzu nicht bereit ist. Seine Forderungen an die Ukraine: Rückzug aus den von Russland okkupierten Gebieten, Anerkennung dieser Gebiete als russisches Territorium (darunter die seit 2014 besetze Halbinsel Krim), Verzicht auf NATO-Beitritt und Sonderrechte für russischsprachige Menschen in der Ukraine. Zum ersten Mal hat er seine Ziele für das Kriegsende formuliert, auch für das russische Publikum. Dies macht die Aussicht auf baldige Verhandlungen noch trüber – denn nun kann Putin der russischen Bevölkerung kaum noch ein abweichendes Verhandlungsergebnis verkaufen. Dass die Ukraine auf dieses Ultimatum auch nur ansatzweise eingeht, ist unwahrscheinlich. So müssen sich auch die Verbündeten der Ukraine auf einen langen Krieg einstellen – oder alles dafür tun, dass die Ukraine aus der Position des Stärkeren in die Verhandlungen mit Russland treten kann. Hierfür benötigt die Ukraine alle Hilfen – militärische, humanitäre, finanzielle – und zwar sofort. Denn jeder verlorene Tag, jede aus innenpolitisch-taktischen Gründen verschobene Entscheidung über weitere Unterstützung der Ukraine kostet Menschenleben und schmälert Europas Chancen auf einen nachhaltigen und gerechten Frieden. Wie der ukrainische Präsident Selenskyj in seiner Rede im Bundestag sagte: „Denn wenn irgendwo Trümmer zurückbleiben, heißt das: Irgendwann kehrt der Krieg dorthin zurück. Das darf nie mehr sein.“