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Belarus
Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum Stiftung an belarusische Freiheitskämpferin Maria Kalesnikava

Laudatio von Gerhart Baum auf Maria Kalesnikava des Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum Stiftung
Freiheitskämpferin Maria Kalesnikava
Freiheitskämpferin Maria Kalesnikava © dpa

In Belarus, demonstrieren die Menschen nach wie vor gegen die Unterdrückungen des Machthabers Lukaschenko und kämpfen für ihre Freiheitsrechte. Swetlana Tichanowskaja, im EU-Exil lebende belarusische Oppositionsführerin, hat dazu aufgerufen, Sonntag, den 7. Februar als internationalen Tag der Solidarität mit Belarus zu begehen. 

Im Rahmen dessen wurde die belarusischen Freiheitskämpferin Maria Kalesnikava mit dem Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum Stiftung ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Gerhart Baum:

„Wir leben in einem freien Land, in einer funktionieren Demokratie, in einem freien Europa. Wir leben auch jetzt in Corona Zeiten gemäß den Freiheitsrechten unseres Grundgesetzes. Grundrechte werden eingeschränkt, aber um Leben zu retten, wie das Grundgesetz das fordert nach den Geboten der Menschenwürde.  

Jetzt, in diesem Moment, leben tausende Menschen in Russland und in Belarus in Gefängnissen - zusammengepfercht, misshandelt und unter psychischem Druck. Sie werden ihrer Freiheit beraubt, weil sie für die Freiheit demonstrieren. Sie gehen aus dem Haus und wissen nicht, ob sie wieder nach Hause kommen. Friedliche Bürger stehen hochgerüsteten sogenannten „Antiterroreinheiten“ gegenüber. Wahrnehmung von Menschenrechten ist also Terror?

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“.

So lautet der Artikel 1 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948.

Die Völker der Welt haben dies vereinbart - zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte. Sie begründeten es in der Präambel damit, da „Verkennung und Missachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben...“. Es war die Reaktion auf fürchterliche Menschheitsverbrechen im letzten Jahrhundert.

Das Verhalten der Autokraten in Russland und Belarus – ja, auch das verletzt das Gewissen der Menschheit.

„Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden“ - das steht in Artikel 9 dieser Erklärung. Aber wie genau trifft diese Forderung auf das Schicksal unserer Preisträgerin zu! Sie ist eine politische Gefangene - aller ihrer Rechte beraubt. Und das besondere ist: sie hat sich gewehrt, des Landes verwiesen zu werden. Sie hat ihren Pass zerrissen und wusste, dass sie dafür bezahlen würde, bezahlen wie Nawalny. Auch er wusste, was mit ihm geschehen würde.

Maria Kalesnikava ist im Lande geblieben, mit allen Risiken für ihr eigenes Wohl, um all denen nahe zu sein, die so fühlen wie sie. Sie ist eine Patriotin. Sie liebt ihr Land und lässt sich nicht vertreiben. Sie weiß, dass der Kampf von innen heraus die Machthaber in besonderer Weise herausfordert. Sie leidet unter der Haft. Man setzt sie bewusst Demütigungen, Erniedrigungen und psychischem Druck aus. Und das jetzt schon seit 5 Monaten!

Der Widerstand gegen das Regime ist berechtigt. Sein Denken und Handeln ist ein Relikt aus alten Sowjetzeiten. Aber das Regime ist erschöpft, hat abgewirtschaftet. Es bietet den Menschen keine Zukunftsperspektive, verweigert ihnen die Freiheit.

Von Mai des letzten Jahres an wurden Perspektiven für einen Amtswechsel sichtbar - mit Victor Babariko an der Spitze. Es gab Aufbruchsstimmung, es entwickelte sich eine neue Dynamik. Lukaschenko aber ließ die Herausforderer inhaftieren. Als Svetlana Tichanovskaja für ihren ebenfalls inhaftierten Mann, einen prominenten systemkritischen Blogger, in die Bresche sprang, ließ Lukaschenko ihre Kandidatur zu, in der Annahme, dass sie keinen Erfolg haben würde. “Unsere Gesellschaft ist nicht reif genug, um für eine Frau zu stimmen“, ließ er verlauten.  Aber es waren gerade die Frauen, die die Bewegung nach vorangetrieben haben.

Die Unterstützerbasis umfasste letztlich alle Oppositionsgruppen. Lukaschenko konnte sich am Ende nur behaupten, indem er die Wahl fälschte - zum wiederholten Male in den letzten 26 Jahren. Nur diesmal blieb es nicht ohne Folgen. Mehr als 100 000 Menschen gingen auf die Straße. Immer wieder. Hinzukam eine falsche Anti-Corona Politik. Der Mann sagte doch tatsächlich: „Der beste Impfstoff gegen das Virus, ist die Krankheit durchzustehen.“

Es ist schwer, eine sichere Prognose zu stellen. Sicher ist:  Lukaschenko hat jegliche Legitimität verloren. Er hat so viele Versprechen gebrochen, dass ihm nicht zugetraut wird, das Land in eine freiheitliche Zukunft zu führen. Die Menschen sehen sich durchaus in friedlicher Nachbarschaft zu Russland. Einer der Schlüssel für eine Lösung liegt dort. Wie lange noch stützt Putin den Minsker Potentaten? Wird er angesichts der Verhältnisse im eigenen Land das Argument fürchten, dass mit Demonstrationen etwas zu bewirken ist oder wird ihm Lukaschenko zur Last?

Entscheidend aber ist: Situation in beiden Ländern ist mit früheren nicht zu vergleichen. Die Kräfte, die auf eine Veränderung hinwirken, sind stärker geworden. Alles spricht dafür, weiter zu kämpfen.

Mit dem mit 10000,- Euro dotierten Menschenrechtspreis 2021 der Gerhart und Renate Baum-Stiftung ehren in diesem Jahr meine Frau und ich die belarussische Bürgerrechtskämpferin Maria Kalesnikava für ihren Mut und Ihre Entschlossenheit, für die Freiheit in ihrem Land zu kämpfen. Die Preisverleihung findet hier in Stuttgart statt, im Rahmen des Musikfestivals ECLAT, für das Maria lange tätig war- hier im Theaterhaus, wo wir uns heute befinden. Wir freuen uns, dass die Intendantin Christine Fischer in diesem Jahr das Programm von Eclat mit der Preisverleihung verbindet.

Gemeinsam mit Svetlana Tichanovskaja und Veronika Zepkalo wurde Maria Kaleskinava zur weiblichen Ikone des Widerstands. Gerade mit ihrem fröhlich-kämpferischen Auftreten, ihrer energiegeladenen Körpersprache, mit ihrer Fähigkeit zu begeistern, drückt sie das aus, was die Menschen zu wütendem, aber immer bewusst friedlichem Protest veranlasst. Maria K. ist zu einem strahlenden Symbol der belarussischen Oppositionsbewegung geworden. Deshalb wird sie vom Regime verfolgt. Sie betont immer, dass sie ihr Land liebt. Sie ist Patriotin im besten Sinn dieses Wortes. Stellvertretend ehren wir mit ihr auch alle diejenigen, die wie sie für die Freiheit in Belarus kämpfen.

Meine Frau und ich haben Maria Kalesnikava als Künstlerin und Kulturmanagerin hier in Stuttgart erlebt. Einige Jahre war ich als Vorsitzender des Kuratoriums „Musik der Jahrhunderte“ den Aktivitäten hier im Haus eng verbunden. Maria hat an der Stuttgarter Musikhochschule ihren Abschluss gemacht, wirkte hier als Musiklehrerin und Kulturmanagerin. Am Ende der Veranstaltung heute werden wir die Uraufführung eines Musikstückes hören, das für ihr Ensemble „vis-à-vis“ komponiert wurde. Nur kann sie leider heute ihren Flötenpart nicht selbst spielen...

2019 holte der Kunstförderer und Oppositionelle Viktor Babariko Maria nach Minsk, mit dem Auftrag, dort ein Kulturzentrum aufzubauen. Ihr Leben spielte sich seither zwischen Deutschland und Belarus ab. Daneben bildete sie sich weiter als Speakerin und wurde zu einem virtuosen Medienprofi. Nach der Verhaftung ihres Mentors Babariko im Juli 2020 übernahm Maria seine politische Rolle in der Opposition.

Maria Kalesnikava ist also politische Aktivistin UND Künstlerin. Und sie weiß um die nachhaltige Kraft der Kunst. Die Kunst schafft Räume zur Veränderung, oder – wie Schiller sagte – „die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Demokratie und Kunst sind untrennbar miteinander verbunden.

Was können wir, die wir das Glück haben in Freiheit zu leben, von außen tun?

Auf jeden Fall mehr als bisher. Die politischen Einflussmöglichkeiten sind begrenzt, aber von denen, die möglich sind, sollte stärker Gebrauch gemacht werden - und zwar mit Druck auf das Regime in Minsk, aber auch auf das Putin-Russland, ohne dessen Unterstützung Lukaschenko längst weg wäre. Putin fürchtet das Volk, fürchtet die Demonstrationen im eigenen Land.

Wir, die Europäer und die gesamte freie Welt müssen unsere Werte zur Geltung bringen. Es sind die Werte der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, die ich bereits zu Anfang dieser Laudatio zitiert habe.

Ermutigen wir Maria Kalesnikava und ihre Mitstreiter: Nicht aufzugeben! Kräftigen wir sie durch unsere Solidarität. Kämpfen wir für ihre Freilassung aus der Haft.

Denken wir in diesem Augenblick auch an alle, die weltweit in Situationen der Unterdrückung für die Freiheit kämpfen – immer wieder gegen korrupte Machtcliquen, die ihre Länder ausplündern. Denken wir heute auch an die Beseitigung der Demokratie in Myanmar durch die Militärjunta. Denken wir an Hongkong, an die unterdrückten Uiguren in China, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ich habe mich viele Jahre weltweit für die Menschenrechte eingesetzt, im Auftrag der Bundesregierung und im Auftrag der Vereinten Nationen. Ich weiß, wie wichtig für diese Menschen ist, dass man sie wahrnimmt, dass man Anteil nimmt an ihrem Schicksal und nicht schweigt – sondern, wenn es irgend geht, handelt. Das Streben nach Freiheit ist den Menschen angeboren, allen Menschen, wo sie auch leben. Es ist stark und wird sich am Ende durchsetzen!“

Die Preisverleihung fand im Rahmen des Stuttgarter Musikfestivals ECLAT statt, für das Maria Kalesnikava viele Jahre gearbeitet hat. Die Veranstaltung können Sie hier anschauen.

 

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