Elfenbeinküste
Die Rückkehr von Laurent Gbagbo
Vor zwei Monaten hatte der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag den Freispruch für Gbagbo in einem Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt. Gbagbo war das erste Staatsoberhaupt, das sich vor dem Haager Tribunal verantworten musste. 2019 sprach der Gerichtshof den Ex-Präsidenten sowie dessen ehemaligen Jugendmilizenführer Charles Blé Goudé in einem überraschenden Urteil frei und bestätigte dies im März dieses Jahres in letzter Instanz. Gbagbo lebt seither in Brüssel und hatte bereits seit längerem angekündigt in die Cote d’Ivoire zurückkehren zu wollen.
Die ivorische Regierung wird diese Rückkehr mit gemischten Gefühlen sehen, auch wenn man sich offiziell versöhnlich gibt. Staatschef Ouattara gab bereits Anfang April grünes Licht für die Rückkehr seines Rivalen und lässt ihm offiziell alle Privilegien eines ehemaligen Staatschefs garantieren.
Ist diese Rückkehr nun tatsächlich ein deutliches Zeichen, dass sich die politische Lage in der Cote d’Ivoire entspannt hat, wie es von einigen Beobachtern vermeldet wird? Oder wird es nicht eher dazu beitragen, alte Feindschaften und damit Instabilität und Gewalt im Land wiederaufleben zu lassen?
Zunächst einmal macht alles den Anschein, dass Präsident Ouattara wenig zu befürchten hat. Er kann politisch aus einer Position der Stärke heraus manövrieren und sich zugleich als nachsichtiger Staatslenker geben. Die letzten Parlamentswahlen im März 2021 verliefen ausgesprochen friedlich und seine regierende RHDP Partei hat ihre absolute Mehrheit verteidigen können. Ouatttara selbst hatte sich bei den von der Opposition boykottierten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2020 ein weiteres Mandat von fünf Jahren gesichert. Trotz wenig transparenter Wahlen und einer verfassungsrechtlich extrem fragwürdigen Rechtsauslegung für seine Kandidatur, blieb es im Land ruhig. Außer einigen kleinen Zwischenfällen kam es zu keinen der befürchteten Massendemonstrationen oder Gewaltausbrüchen, die die Cote d’Ivoire bei fast allen bedeutenden Wahlen in den letzten zwanzig Jahren begleitet haben. Fast scheint es, als habe die Bevölkerung sich damit abgefunden, dass die von Ouattaras Amtszeit ausgehende Stabilität nur um den Preis eines weiteren Mandats zu halten war. Doch auch das Ende von dieser Präsidentschaft ist nunmehr deutlich absehbar. War Ouattara eigentlich schon 2020 bereit sich aufs Altenteil zurückzuziehen, so hat der 79jährige nach seiner erneuten Wahl sogleich öffentlich verlauten lassen, dass dies sein letztes Mandat sei. Bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2025 muss er nun einen Nachfolger aufbauen, was im komplexen Geflecht der Stammes- und Religionszugehörigkeiten in der Cote d’Ivoire nicht ganz einfach ist. Seine beiden letzten Premierminister, die diese Rolle hätten ausfüllen sollen, sind innerhalb eines Jahres verstorben. Sein Bruder, der 65-jährige Verteidigungsminister Téné Birahima Ouattara könnte diese Position übernehmen, doch würde eine derartige dynastische Lösung in der vom französischen Republikanismus tief geprägten Cote d’Ivoire kaum den notwendigen Zuspruch finden. Die Gefahr wäre zu groß, dass sich ein derartiger Schritt schnell ins Gegenteil verkehren könnte und nur der Opposition dient.
Wer auch immer die Rolle des Thronfolgers schließlich übernehmen wird, wird das wirtschaftliche Wachstum und die Stabilität der Regierungszeit Ouattaras glaubwürdig fortführen müssen. Zudem muss der Versöhnungsprozess im Land weitergehen, wenn die Cote d’Ivoire wirklich endgültig aus der periodisch aufkommenden Konfliktspirale aussteigen will. Dies wäre wahrscheinlich einer der bedeutendsten Schlüssel für die Zukunft des Landes. Bisher ist hier zu wenig passiert. Nach dem letzten Bürgerkrieg wurde zwar von Präsident Ouattara ein Dialog- und Versöhnungsprozess mit Gbagbos FPI Partei angekündigt, doch ist dieser nie richtig in Gang gekommen. Der Mangel an Strafverfolgung beider Lager und der Vorwurf der FPI die Regierung betreibe „Siegerjustiz“ prägten das Verhältnis bis heute.
In diesem Kontext ist die von der ivorischen Regierung flankierte Rückkehr Gbagbos durchaus als erneutes Zeichen Ouattaras in Richtung Versöhnung zu sehen. Dies betrifft nicht nur die Wiederherstellung von Gbagbos Privilegien eines ehemaligen ivorischen Staatsoberhauptes und den Heimflug mit einer Regierungsmaschine, sondern vor allem wird Ouattara ein gegen Gbagbo ausstehendes Urteil der ivorischen Justiz zu 20 Jahren Gefängnis durch eine präsidentielle Amnestie aufheben müssen. All dies sind gute Vorzeichen, die eine Bereitschaft zur Entschärfung dieses nahezu „ewigen“ Konfliktes zwischen den beiden Ex-Präsidenten andeuten.
Auch der alte Rivale Gbagbo gibt sich bisher betont versöhnlich. Nach außen erklärt er sich bei jeder Gelegenheit als „Elder Statesman“, dem es nur um Versöhnung und Frieden gehe und der seine Autorität nach seiner Rückkehr in die Cote d’Ivoire dafür einzusetzen wolle. Das ist erstmal durchaus positiv zu beurteilen, doch die Frage bleibt inwiefern man Gbagbo beim Wort nehmen kann. Hier scheiden sich die Geister. Einige politische Beobachter erwarten, dass Präsident Ouattara nach Gbagbos Rückkehr durch eine Verfassungsänderung eine Altersgrenze für zukünftige Präsidentschaftskandidaten einsetzen wird. Damit würde er Gbagbos mögliche politische Ambitionen in die Schranken weisen und ihn auf die Rolle genau des „Elder Statesmans“ reduzieren, die dieser sich jetzt schon auf die Fahnen geschrieben hat.
So versuchend logisch diese Lösung erscheint, auch sie muss nicht endgültig sein. Verfassungen sind in der Cote d’Ivoire in den letzten 20 Jahren immer wieder geändert, zurückgeändert oder ganz neu geschrieben worden. Vor allem träfe so ein Schritt auf den erbitterten Widerstand der gesamten ivorischen Opposition, wozu neben der FPI auch die bedeutende PDCI Partei gehört, dessen 87jähriger Führer Henri Konan Bedie nach wie vor Ambitionen zur Macht hat. Tatsache ist, dass Gbagbo in den Jahren seiner politischen Karriere immer wieder gezeigt hat, dass es ihm vor allem um die Macht geht. Dafür war ihm jedes Mittel recht, zur Not auch Gewalt. Nicht zuletzt war es Gbagbo, der nach zehn Jahren an der Macht seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2010 nicht anerkannt hatte und eine Übertragung der Amtsgeschäfte an den Wahlsieger Ouattara verweigerte. Der von ihm initiierte gewaltsame Konflikt sprang schnell auf das ganze Land über und resultierte in dem kurzen zweiten ivorischen Bürgerkrieg, dem aber mehr als 3000 Menschen zum Opfer fielen.
Sollte man dem „political animal“ Gbagbo wirklich abnehmen, keine politischen Ambitionen mehr zu haben und ein mögliches Comeback völlig ausschließen? Diese Annahme erscheint doch sehr optimistisch, wenn man die Politik in der Cote d’Ivoire genauer betrachtet. Gbagbo wäre bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2025 mit knapp 80 Jahren noch nicht einmal der älteste Kandidat, in der traditionell gerontokratischen Liga ivorischer Politiker. Als Präsident, der sich gegen die Ex-Kolonialmacht Frankreich gestellt hat und dann als „Justizopfer“ zehn Jahre lang in Europa unschuldig in Haft saß, verfügt er schon jetzt über ein politisches Narrativ, das ihm weitere Popularität bringt. Dazu kommt, dass man schnell vergisst in der Cote d’Ivoire. Viele jungen Leute werden 2025 zum ersten Mal wählen. Sie kennen die instabilen Zeiten der Gbagbo Regierung aus den Jahren 2001-2010 nicht oder nur durch subjektiv positiv eingefärbte Erzählungen. Mit mehr als zehn Jahren Stabilität und wirtschaftlichem Aufschwung wird die Vergangenheit weniger wahrgenommen oder wenn dann nostalgisch verklärt. Man vergisst, dass Gbagbo‘s damaliger großer Plan der „Neugründung“ der Cote d’Ivoire nichts anderes war, als Sozialpopulismus, der die Wirtschaft ruinierte und zu permanenter politischer Gewalt und diskriminierender Politik gegenüber Immigranten aus den Nachbarländern führte. Eine Regierungszeit, in der über Jahre hinweg Jugendmilizen die Universitäten und weiterführenden Schulen mit in sozialistische Romantik getauchter ivorischer Identitätsideologie terrorisierten und die schließlich im Bürgerkrieg mit tausenden von Toten endete. In den marginalisierten Vierteln der Metropole Abidjan, wo Gbagbo seine wichtigste Machtbasis hat, werden diese aufgeklärten Rückblicke kaum erfolgen. Dort mobilisieren seine Anhänger bereits für einen Triumphzug durch Abidjan anlässlich seiner geplanten Rückkehr. Bei vielen Anhängern dominiert das nostalgische Bild des Sozialrevolutionärs Gbagbo, der viel „Gutes“ getan hat und im Zweifel nur am mit dem Ausland (Frankreich) verbündeten Establishment gescheitert ist.
Es ist davon auszugehen, dass Gbagbo sich diese wichtige politische Gefolgschaft erhalten wird - zunächst einmal ganz unabhängig von der späteren Aussicht auf den Präsidentensessel. Hierzu muss er als erstes die Konsolidierung der eigenen Partei (FPI) vorantreiben, die seit Jahren in zwei Flügel gespalten ist. Bereits während seiner Zeit in Brüssel hat er aus der Distanz hierzu die ersten Schritte getan. Seine physische Anwesenheit in der Cote d’Ivoire wird diesen Prozess weiter beschleunigen, so dass die Partei in den kommenden Jahren zu neuer Schlagkraft erwacht. Dann wird sich auch Gbagbo entscheiden, ob er seine Rolle als „Elder Statesman endgültig verlässt und erneut versucht zur Macht zu greifen. Aus heutiger Sicht ist dieses Szenario durchaus wahrscheinlich. Für das Land selber wäre es allerdings die ungünstigste Variante. Ein richtiger politischer Neuanfang jenseits der seit über zwanzig Jahren dominierenden Altentroika aus den Ex-Präsidenten Ouattara, Bedie und Gbgbo bliebe damit in weiter Ferne.