Wahl in Senegal
Oppositionspolitiker Faye: Gerade aus dem Gefängnis entlassen, nun Präsident
Senegal hat klar und kompromisslos gewählt und reibt sich heute doch ungläubig die Augen. Der erst vor zehn Tagen aus dem Gefängnis entlassene Oppositionskandidat Bassirou Diomaye Faye hat die Wahl am Sonntag im ersten Durchgang mit einer absoluten Mehrheit gewonnen.
Er war angetreten, nachdem der populäre Politiker Ousmane Sonko, sein Freund und Mitstreiter, von der Kandidatur ausgeschlossen worden war. Der Kandidat des scheidenden Präsidenten Macky Sall, Amadou Ba, hat am Montagmittag seine Niederlage eingestanden.
Die Menschen hatten bereits in der Wahlnacht gefeiert. Sie skandieren „Sonko, Sonko, Sonko“, der wegen einer Haftstrafe trotz politischer Amnestie nicht kandidieren durfte. Und sie unterstützen eine Partei (PASTEF), die von den Behörden 2023 aufgelöst worden war. Eines der vielen Ungereimtheiten, die die diesjährigen Präsidentschaftswahlen im Senegal begleitet haben.
Nach einer mit höchster Spannung erwarteten vorläufigen Stimmauszählung ist am Montagnachmittag klar, dass das Politikerduo einen überraschenden Sieg erringen konnte.
Auf den Straßen Dakars lag noch am Morgen eine fast schon gespenstische Ruhe. Die sonst dicht befahrene Corniche, Hauptader des verkehrsgeplagten Dakars, war am Montagmorgen wie leergefegt.
Lange war unklar, ob und wann die Wahlen stattfinden
Als ob es das alles nicht gegeben hätte: die wochenlange Achterbahn zwischen Wahlen jetzt oder später, Machtkämpfe zwischen Verfassungsrat und Exekutive, gewalttätige Unruhen, Menschenrechtsverletzungen, Demonstrationsverbote, Internetsperren und die umstrittene Generalamnestie.
Dabei ist am Wahlsonntag das bisherige Politestablishment abserviert worden. Das Duo Sonko-Faye, erst vor zehn Tagen im Rahmen einer politischen Amnestie aus dem Gefängnis entlassen, hat auf Anhieb das geschafft, was wenige Wochen vorher für unmöglich gehalten wurde: einen haushohen Gewinn in der ersten Wahlrunde.
Die endgültigen Zahlen stehen noch nicht fest, aber die bisherige Stimmauszählung ergibt eine klare Mehrheit zu Gunsten der von Sonko und Diomaye angeführten Wahlkoalition, der sich in den letzten Tagen einzelne Politiker und Parteien wie die liberale PDS des ehemaligen Präsidenten Abdoulaye Wade hinzugesellt hatten.
Ehemaliger Premierminister ist der große Verlierer
Der ehemalige Premierminister Amadou Ba, von der bisherigen Regierungspartei APR als Nachfolger von Macky Sall aufgestellt, muss sich mit einem knappen Drittel der Wählerstimmen begnügen. Der kleine Rest verteilt sich auf alle anderen Kandidaten, die somit in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Einer zeitnahen Übergabe der Regierungsverantwortung von Präsident Macky Sall an Bassirou Diomaye Faye steht somit nichts mehr im Wege. Da Salls Amtszeit am 2. April abläuft und es keinen zweiten Wahlgang braucht, kann dies ohne eine verfassungsrechtlich umstrittene Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten geschehen.
Senegal, dieses für die Stabilität der Region so wichtige westafrikanische Land zwischen den Flüssen Senegal und Casamance, hat sich klar für den Wechsel entschieden.
Eine Wahl gegen die Kontinuität und für einen Anti-Establishment-Kurs mit leicht rebellischen Zügen. Armut, Perspektivlosigkeit, die Korruption und nicht zuletzt die Behinderungen der eigentlich für Ende Februar angesetzten Wahl haben dazu geführt, dass die alte Garde sanktioniert wurde.
Die Erwartungen sind groß
Die Erwartungen an das Politduo Faye/Sonko sind enorm. Dabei ist nicht klar, welche Rolle Sonko zukünftig einnehmen wird. Er ist der bekanntere, charismatische Führer, der ausschlaggebend zur Wahl Fayes zum neuen Staatspräsidenten beigetragen hat.
Wie lange wird Sonko sich mit einer Funktion in der zweiten Reihe begnügen? Wie wird Faye, ein zurückhaltender, fast schüchtern wirkender, unerfahrener Politiker dieses exponierte, dem französischen Präsidialamt ähnliche und mit viel Machtbefugnissen ausgestattete Präsidentenamt ausfüllen?
Faye übernimmt Verantwortung in einem Land im Umbruch. Die vergangenen turbulenten Wochen waren auch ein Demokratietest, in der dem Verfassungsrat eine entscheidende Rolle zukam. Viele Vorwürfe müssen aufgearbeitet werden. Eine Reform hin zu einem ausgeglichenen Nebeneinander von Legislative, Judikative und Exekutive sollte prioritär angegangen werden, um das rechtsstaatliche Fundament Senegals zukünftig besser zu schützen.
Die zahlreichen Wahlbeobachtungsmissionen, von EU über Afrikanische Union bis zum westafrikanischen Wirtschaftsverbund Ecowas, werden bezeugen, ob die Wahlen fair und transparent verlaufen sind.
Mit diesem Gütesiegel versehen, würde der Senegal seinen Ruf als Hort der wehrhaften Demokratie und des funktionierenden Rechtsstaats zurückgewinnen. Mit einer hoffnungsvoller in die Zukunft schauenden Jugend, und mit einem blauen Auge.
Dieser Artikel erschien erstmals am 25. März 2024 beim Tagesspiegel.