Senegal
Senegal in Aufruhr: Wahlverschiebung und Unruhen erschüttern das Land
Der Himmel über Dakar war seit Tagen verhangen-trüb, die Luftqualität alarmierend schlecht, der Atem knapp. Nun kommen brennende Reifen und Tränengas hinzu.
Seit Senegals Staatspräsident Macky Sall am Samstagmittag verkündet hat, die für den 25. Februar vorgesehenen Präsidentschaftswahlen zu verschieben, hat eine Welle der Empörung und Gewalt den Senegal erfasst. Mittlerweile steht fest, dass die Wahl am 15. Dezember stattfinden soll.
Es ist das erste Mal, dass eine Präsidentschaftswahl in dem westafrikanischen Land verschoben wird. Sall selbst tritt nach zwei Amtszeiten nicht mehr an.
20 Kandidaten wurden zugelassen, nicht aber zwei führende Oppositionspolitiker. Die Umstände, die zu der Verschiebung geführt haben, sind teilweise noch unklar.
Ausgelöst wurden die politischen Wirren durch den Ausschluss von Karim Wade, Sohn eines ehemaligen Präsidenten und Spitzenkandidat der Oppositionspartei PDS, als Kandidat für die Präsidentschaftswahl. Der Verfassungsrat begründete das damit, dass Wade seine französische Staatsbürgerschaft zu spät abgelegt habe. Wade bestreitet das.
Manche Beobachter äußerten den Verdacht, dass der Verfassungsrat durch Schmiergelder zu seiner Entscheidung motiviert wurde. Dahinter soll Amadou Ba, Premierminister der Regierung Sall und Spitzenkandidat der Regierungspartei APR, stecken. Er ist weder parteiintern noch bei Macky Sall wohlgelitten.
Warum hat Sall die Wahl verschoben?
Was nun folgte, war ein Reigen gegenseitiger Anschuldigungen: eine Klage gegen den Verfassungsrat, Gemunkel, dass Amadou Ba zurücktreten werde; und schlussendlich die Entscheidung Macky Salls, die Wahlen kurzfristig zu verschieben.
Es gibt Gerüchte, dass Sall intern von einer Verschiebung von bis zu zwei Jahren gesprochen habe. Viele sehen darin einen Trick des gewieften Präsidenten, seine Machtstellung auf diesem Wege verlängern zu wollen. Denn sein Mandat endet am 2. April.
Die Wahlverschiebung erweckt den Eindruck eines Präsidenten, der sich krampfhaft an sein Amt klammern will. Seine Beteuerungen, sich verfassungskonform zu verhalten, klingen hohl.
Auf die Schockstarre folgen Demonstrationen
Zunächst sorgte die in einer Rede an die Nation verpackte Wahlverschiebung für eine Art Schockstarre. Seit Sonntagnachmittag allerdings kippt die Stimmung im Land.
Eine martialisch auftretende Polizei und Gendarmerie stößt auf wütende und engagierte Protestierende in den ärmeren Viertel Dakars, aber auch in anderen Städten des Landes wie das landeinwärts nahe am internationalen Flughafen liegende Thies.
Kreisende Helikopter und Tränengaswolken machen die betroffenen Stadtteile weithin erkennbar. Abriegelungen sind die Folge. PolitikerInnen wie die ehemalige Premierministerin Aminata Touré oder die für ihre offene Aussprache bekannte Anta Babacar Ngom wurden kurzzeitig festgenommen.
Oppositionsgruppen, wie die vor allem bei der Jugend und bei der ärmeren Bevölkerung beliebte, aber verbotene Partei Pastef des seit Sommer 2023 im Gefängnis sitzenden Ousmane Sonko, wittern ihre Chance. Im Juni 2023 hatten von Sonko angeführte Proteste zu gewalttätigen Unruhen und zur Festnahme von Hunderten Demonstranten geführt, die bis heute die Gefängnisse füllen.
Der Verdacht, dass sie auf diese Weise bis nach den Wahlen mundtot gemacht werden sollten, steht im Raum. Die während der Proteste im letzten Jahr in Teilen abgebrannte Universität von Dakar wurde seitdem nicht wieder instand gesetzt, die Uni blieb geschlossen. Womöglich aus dem gleichen Grund.
Juristen sprechen von Staatsstreich
Nun melden sich Juristen zu Wort und verurteilen die Entscheidung des Präsidenten als klar verfassungswidrig. Von einem Staatsstreich ist die Rede.
Intellektuelle, wie der Regierungskritiker Felwine Sarr, rufen die Bevölkerung dazu auf, die Wahlverschiebung nicht einfach hinzunehmen, sondern durch Proteste eine Einhaltung des Wahltermins einzufordern. Felwine Sarr spricht von einem „in Geiselhaft genommenen Volk, dem die Luft zum Atmen genommen wird“.
Die westafrikanische Wirtschaftsorganisation Ecowas forderte die senegalesische Regierung zu einem transparenten und inklusiven Vorgehen auf. Sie hält sich aber hinsichtlich einer klaren Be- oder Verurteilung auffallend zurück.
Für Senegal und die durch Staatsstreiche sowie externe Akteure fragilisierte Region steht viel auf dem Spiel. Westafrika kann sich keinen weiteren Krisenherd leisten, schon gar nicht im Senegal, Leuchtturm der sogenannten stabilen Demokratien Westafrikas.
Alexandra Heldt ist Leiterin des Regionalbüros Westafrika der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Sitz in Dakar.
Dieser Artikel erschien erstmals am 6. Februar 2024 beim Tagesspiegel.