EN

Westafrika
Sturm im Sahel: Geopolitische Spannungen, ECOWAS in der Krise und der deutsche Truppenabzug

Ein Bundeswehrsoldat am Stützpunkt Niamey.

Ein Bundeswehrsoldat am Stützpunkt Niamey.

© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Im Sahel steigen die Temperaturen. Die klimatischen Temperaturen sowieso, die seit Monaten für unerträgliche Hitze und unzählige Tote sorgen. Aber auch zwischen den Ländern der Sahelzone herrscht eine hitzige Stimmung. Die Militärputsche der letzten vier Jahre in sechs westafrikanischen Ländern haben intern zu gespaltenen Gesellschaften, regional zu veränderten Bündniskonstellationen und international zu einer Abkehr vom Westen, insbesondere Frankreich, und einer vermehrten Abhängigkeit von „neuen“ Partnern wie Russland, China u.a. geführt.

Der bisherige Stabilitätsanker ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten) verliert an Legitimität und sieht sich in einigen Ländern zunehmend in Frage gestellt. Vor 50 Jahren als Instrument zur Stärkung der (west)afrikanischen Integration bestimmt, hat die Wirtschaftsvereinigung ECOWAS mit ihren 15 Mitgliedsstaaten über Jahrzehnte die regionale Wirtschaft gefördert und den freien Handel von Dienstleistungen und Waren, aber auch Reise- und Visafreiheit für heute 340 Millionen Menschen in der Region garantiert.

Westafrika bietet vieles von dem, was die Menschheit heute braucht: Energie ohne Ende, seltene Erden, begehrte Mineralien, eine junge und arbeitswillige Bevölkerung, Land - viel Land, das unter normalen Umständen die landwirtschaftliche Unabhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung erlauben würde.

Spielball zwischen Extremismus, Populismus und geopolitischen Interessen

Und doch, oder gerade deswegen, kommt die Region nicht zur Ruhe! Spielball zwischen Nord und Süd, Opfer von religiösem Extremismus und dhjihadistischem Terror, von interessengeleiteten Militärinterventionen westlicher wie östlicher Akteure, korrupten Eliten und einer explodierenden Demographie. Die Länder verfallen zunehmend dem Populismus lokaler „Rebellen“ oder militärischer Anführer, die mehr regionale Souveränität, mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine „Transition“ versprechen. Um dann in die korrupten und undemokratischen Fußstapfen zu treten, die sie vorher bekämpft haben.

So zu beobachten bei drei Ländern, die beschlossen haben, ihren eigenen Weg zu gehen: Mali, Burkina Faso und Niger, die bereits 2023 mit der Allianz der Sahelstaaten (AES) der ECOWAS den Rücken zugekehrt haben. Diese Absetzabsicht wurde am vergangenen Wochenende anlässlich des ersten AES-Gipfeltreffens in der nigrischen Hauptstadt Niamey und der Umwandlung der AES von einer Allianz in eine Konföderation der Sahelstaaten bekräftigt.

Mit der Bestätigung ihres Austritts und mit der Wahl des Datums verpasste die AES der ECOWAS gleich zwei öffentliche Ohrfeigen. Letztere hatte für das gleiche Wochenende ein Gipfeltreffen in Abuja (Nigeria) terminiert, bei dem der Umgang mit den drei abtrünnigen Sahelstaaten ganz oben auf der Tagesordnung stand. Dabei wird dem Senegal und seinem frisch gewählten Präsidenten Bassirou Diomaye Faye die Rolle des Facilitator, des Brückenbauers zugeschrieben.

frisch gewählten Präsidenten Bassirou Diomaye Faye

Der frisch gewählten Präsidenten Bassirou Diomaye Faye gilt als Symbol des Anti-Establishments .

© picture alliance / Anadolu | Cem Ozdel

Jung, Symbol des Anti-Establishments und mit einem panafrikanischen, souveränistischen Ansatz an die Macht katapultiert, hat der senegalesische Präsident im Gegensatz zur AES seinen politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkt auf und nicht gegen die Region gelegt. Faye mahnt: Die Zeit ist gekommen für eine Neudefinition der Beziehungen zum Westen bei gleichzeitiger Reform der in die Jahre gekommenen Wirtschafts- und Sicherheitsvereinigung ECOWAS. Mehr regionale Souveränität geht nicht ohne, sondern mit einer starken ECOWAS.

Deutschland zieht Soldaten aus Niger ab: Ein Symbol für die Volatilität im Sahel

Symptomatisch für die schwierigen Umstände und die Volatilität der Beziehungen im Sahel ist auch die überraschende Ankündigung des kompletten Abzugs der noch stationierten deutschen Soldaten im Niger. Das bis zuletzt verfolgte Ziel des deutschen Verteidigungsministers, mit Niger eine für Deutschland wichtige Cold Base im Sahel und somit einen Fuß in der Tür der AES zu erhalten, ist somit gescheitert.

Der deutschen Truppe und ihren Beratern wurden die üblichen Schutzinstrumente verwehrt, die eine Stationierung vertretbar gemacht hätte. Dass Niamey solche Grundvoraussetzungen wie bspw. die Immunität der deutschen Soldaten verweigert, macht deutlich, wie ernst die nigrische Absicht ist, dem zur Schau getragenen Autonomiewillen entsprechende Taten folgen zu lassen.

Deutschland ist ein im Sahel geschätztes Land. Verlässlich und kompetent gilt Made in Germany hier auch in Sachen militärische Beratung und Kooperation. Wenn es allerdings darum geht, militärische Präsenz und westlichen Einfluss geltend zu machen, sind die AES-Länder entschlossen: nicht mit uns! Im Zweifelsfall ohne ECOWAS, im Zweifelsfall ohne Deutschland.

Die Sahelzone braucht Unterstützung und Westafrika hat immenses Potential. Wollen wir diese Bedarfe nicht anderen Akteuren überlassen, die den Westen und seine Werte nicht nur in Europa, sondern auch auf dem afrikanischen Kontinent bedrohen, macht die deutsche Präsenz Sinn. Aber nicht um jeden Preis! Eine Konzentration auf die stabileren Küstenstaaten und eine Unterstützung des regionalen Verbunds ECOWAS scheint heute der zielführende Weg.