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Bosnien und Herzegowina
„Ich wäre nicht überrascht, wenn letztlich die sechs Monate verstreichen und nichts passiert …“

Balkan-Experte Prof. Florian Bieber über neuerliche Ankündigungen und Drohungen aus Bosnien und Herzegowina
Florian Bieber
Florian Bieber © Uni Graz/Fetz

Vor drei Monaten sprachen Sie mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina von einem „deutlichen Gesetzesbruch“ und dass die von Milorad Dodik befeuerte Eskalation schon weiterreiche als in den zurückliegenden Jahren. Die Beschlüsse des RS-Parlaments vom 10. Dezember sehen nun den Aufbau einer eigenen Armee, eigener Sicherheitsdienste, eigener Justiz, eines eigenen Steuersystems und anderes mehr vor. Nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten soll das Ganze umgesetzt werden. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Was glauben Sie, wird genau geschehen?

Wie so oft nützt Dodik diese Drohungen um das Klima anzuheizen, macht aber in letzter Minute einen Rückzieher wenn er das Gefühl hat, dass er damit nicht durchkommt. Ich wäre nicht überrascht, wenn letztlich die sechs Monate verstreichen und nichts passiert. Letztlich liegt es daran, wie sehr er und seine Partei damit rechnen, mit diesen Entscheidungen durchzukommen.  Die Dauerkrise, die er dadurch hervorruft, hilft ihm im Wahlkampf, gerade nachdem die Unterstützung für ihn schwächelt und erfüllt den Zweck, das Vertrauen in den Staat zu untergraben. 

 

Die Funktion des Hohen Repräsentanten wird nicht länger anerkannt. 140 von ihm erlassene Gesetze wurden bereits für ungültig erklärt. Ein Referendum über die Abspaltung der RS ist angekündigt. Alles Entscheidungen und Beschlüsse, die nach Einschätzung von Beobachtern eine Absetzung des Führers der bosnischen Serben, Milorad Dodik, längst rechtfertigen würden. Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt selbst spricht von einem „schweren Angriff auf den Frieden von Dayton“ und dass Dodik die „Phase der nur rhetorischen Brandstiftung überschritten“ habe. Die bisherigen Reaktionen erscheinen vor diesem Hintergrund allerdings recht mau. Wie sollte Ihrer Meinung nach nun reagiert werden?

Es ist schwierig adäquat zu reagieren. Einerseits war die Reaktion der HR und auch der EU zu zahm, andererseits kann eine Eskalation auch im Interesse Dodiks sein. Drohungen und klare rote Linien sind wichtig, aber nur wenn diese auch entsprechend umgesetzt werden. Formell kann der HR zwar Dodik absetzen, wenn dieser gegen den Daytoner Friedensvertrag verstößt, aber dies ist nur glaubwürdig, wenn das auch praktisch umgesetzt werden kann. Ansonsten kann sich Dodik als Märtyrer profilieren und zugleich an der Macht bleiben. Es sollte deutlicher gemacht werden, dass die Verleugnung von Kriegsverbrechen und die Drohung, die staatlichen Institutionen einseitig in Frage zu stellen, bereits ein Bruch des Daytoner Vertrages darstellen und der Politik Dodiks deutliche Grenzen aufgezeigt werden. 

 

 Von US-amerikanischer Seite wurden nun weitere Sanktionen gegen Teile der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes beschlossen. Sie selbst hatten im November bereits betont, dass die EU längst klarer reagieren und Sanktionen anwenden müsste. Sie hält sich bisweilen aber noch zurück und findet offensichtlich aufgrund unterschiedlicher Interessen ihrer Mitglieder zu keinem klaren Kurs. Was glauben Sie, zu welchen Schritten wird sich die EU am Ende doch noch durchringen?

Mit der ungarischen Regierung, die offen Dodik den Rücken stärkt, wird sich die EU schwer zu Sanktionen durchringen. Man kann die Wahlen in Ungarn abwarten in der Hoffnung, dass dann eine neue Regierung EU-weite Sanktionen unterstützt. Ansonsten könnten einige Schlüsselländer einseitig Sanktionen verhängen. Es bedürfte auch einer klareren Führungsrolle der EU-Institutionen. Ein EU-Beauftragter für den Westbalkan wäre vonnöten, der sich mit der Region als Gesamtheit beschäftigt und die Bedeutung des Erweiterungskommissars Verhelyi begrenzt, nachdem die Glaubwürdigkeit der Kommission in der Region  aufgrund seiner Nähe zu Orban Schaden genommen hat.

 

Die Gefahr für einen „heißen Schießkrieg“ schätzt der Hohe Repräsentant (HR) als gering ein und verweist in diesem Zusammenhang auf die Anwesenheit von Nato und der Schutztruppe Eufor-Althea, die allerdings mit noch rund 700 Soldaten recht bescheiden ausfällt. Wäre eine Aufstockung um mehrere Tausend vor Ort nicht ein klares Signal, dass man die Lage ernst nimmt und eine Gefährdung des Friedens auf keinen Fall zulassen will?

Ich denke, dass eine Aufstockung gerade in Brcko ein wichtiges Signal wäre. Brcko ist wichtig, weil es nicht zur RS gehört, aber die Republika Srpska in zwei Teile trennt und Dodik immer wieder Anspruch auf den Bezirk anmeldet. Es würden einige hundert Soldaten als klares Signal ausreichen. Auch wäre eine bessere Führung der Eufor-Mission wünschenswert nachdem der österreichische Kommandant, der der rechtsextremen FPÖ nahesteht, sich durch problematische Äußerungen in der Krise hervorgetan hat. 

 

Welche Strategie verfolgen Ihrer Meinung nach die starken Männer im Hintergrund, der serbische Präsident Aleksandar Vuč und der russische Präsident Wladimir Putin? Kann man ihnen überhaupt ein Interesse unterstellen, dass dieser Konflikt eingedämmt bzw. zumindest deeskaliert wird? 

 Dodik ist einerseits ein eigenständiger Akteur aber er wird sicherlich durch Vučić und Putin gestärkt. Putin sieht in der Krise in Bosnien einerseits eine Möglichkeit, die westliche Friedensordnung auf dem Balkan in Frage zu stellen, die Schwäche der EU zu entblößen und die Aufmerksamkeit des Westens zu spalten. Vučić hat eine ambivalentere Position. Er möchte seine guten Beziehungen zur EU nicht abbrechen aber zugleich die engen Kontakte nach Russland und China erhalten. Zudem erfordert seine Herrschaftsform Krisen, die er dann deeskalieren kann. In der Hinsicht ist Dodik praktisch als Krisenverursacher. Letztlich kann sich Vučić dann als der Krisenlöser darstellen. Auch seine Einflussnahme in Bosnien, auf Dodik, wird vom Westen gutgeheissen. Letztlich erinnert die Dynamik an jene der neunziger Jahre, als Milošević sich als gemäßigter Friedensmacher gegenüber Karadžić und Mladić gab.