Guatemala
Amstantritt des gewählten guatemaltekischen Präsidenten – die Erwartungshaltung ist groß
Fünf Monate nach der Stichwahl vom 20. August 2023 tritt Bernardo Arévalo am 14. Januar endlich das Präsidentenamt in Guatemala an. Es waren lange Monate, die ihn von dieser Amtsübernahme trennten. Die traditionellen politischen Eliten sahen mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs ihre Macht schwinden und forderten schon nach dem ersten Wahlgang eine Neuauszählung der Stimmen, was unbegründet war und nicht stattfand.
Indes startete die Staatsanwaltschaft wiederholt Versuche, dem gewählten Präsidenten die Immunität und seiner Partei Semilla („die Saat“) die Registrierung zu entziehen. Angeblich weil Semilla bei der Anwerbung neuer Mitglieder 2022 Unterschriften gefälscht haben soll. Schließlich wurde die Mitte-Links-Partei auf dem Papier suspendiert, aber die Entziehung der Registrierung ist praktisch noch nicht vollzogen. Die gewählte Fraktion von Semilla ersuchte beim Obersten Wahlgericht Rechtsschutz, der ihr gewährt wurde. Somit können die gewählten Abgeordneten ihr Amt antreten, sie halten zu ihrem Präsidenten und haben bisher –wie von vielen erwartet– nicht angekündigt, in andere Parteien abwandern zu wollen. Selbst wenn Semilla die Registrierung letztendlich entzogen wird, kann der Präsident parteilos regieren, ebenso können die Abgeordneten ihre Mandate ausüben. Jedoch könnten letztere weder in Ausschüssen vertreten sein noch den Parlamentsvorsitz übernehmen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Präsident Arévalo reibungslos wird regieren können. Auch wenn seine 23 Abgeordneten treu sind, wird die Mehrheitsbildung im Kongress, der aus 160 Abgeordneten besteht, keineswegs ein einfaches Unterfangen. Die traditionellen Eliten werden nicht ohne Weiteres in Verhandlungen mit der neuen Regierung eintreten wollen, denn der durch die neue Regierung intendierte sensible Kampf gegen die Korruption könnte den Interessen des Establishments in die Quere kommen.
In welchem Zustand übernimmt Arévalo das Land?
Die von der aktuellen und vergangenen Regierungen enttäuschten guatemaltekischen Wähler haben ihr Vertrauen in die derzeitigen Mandatsträger verloren und die Erwartungen an die neu gewählte Regierung sind außerordentlich hoch.
Während der austretende Präsident Alejandro Giammattei die Geschicke Guatemalas lenkte, mussten 30 Journalisten, Staatsanwälte und Richter das Land aufgrund politischer Verfolgung verlassen. Sie hatten sich angemaßt, Korruptionsfälle aufzudecken, in die in der einen oder anderen Weise Funktionsträger der Regierung Giammattei involviert waren.
Genau diese Korruption hemmt die Umsetzung von Lösungen zur Bekämpfung der extremen Armut und Unterernährung ebenso wie eine reale wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Anzahl der unterernährten Kinder liegt am Ende der Amtszeit von Präsident Alejandro Giammattei 18% höher als zu Zeiten seines Vorgängers Jimmy Morales.
Die neue Regierung vor großen Herausforderungen und Erwartungen
Neben der Mehrheitsfindung im Parlament und den juristischen Stolpersteinen, die seiner Partei in den Weg gelegt werden, muss Präsident Bernardo Arévalo mit einem Haushalt regieren, der noch vom amtierenden Kongress Ende 2023 abgesegnet wurde, ohne große Debatten oder Anfechtungen der amtierenden Abgeordneten von Semilla zuzulassen. So wurde ein Haushalt verabschiedet, der nicht unbedingt den Plänen und Projekten der neuen Regierung von Arévalo entspricht, was deren Umsetzung zusätzlich erschweren und zu schnellen Enttäuschungen der Semilla-Anhänger führen könnte. Beispielsweise wurden die Vorhaben für Bildung und Gesundheit stark reduziert.
Sofern es die Mehrheiten im Kongress erlauben, beabsichtigt Semilla eine Wahlrechtsreform, eine Reform des Strafgesetzbuches sowie die Schaffung eines Gesetzes, das klare Regeln im Bereich Wettbewerb aufzeigen soll. Arévalo setzt auf den Kampf gegen Steuerhinterziehung und hofft auf Steuereinnahmen als Finanzierungsquelle für seine Vorhaben. Er verspricht eine verantwortungsvolle effiziente Handhabung der Staatsausgaben und die Schaffung eines Fonds für Innovation und Produktion. Korruption beabsichtigt Arévalo durch die Einbindung in multilaterale Foren und internationale Mechanismen sowie durch die Stärkung der Aus- und Fortbildung der Beamten zu bekämpfen.
Die Wähler von Semilla erwarten darüber hinaus einen breit angelegten Dialog der Regierung mit der Zivilgesellschaft und die Einbindung insbesondere der indigenen Minderheiten.
Ein tatsächlicher Wandel in der Politik und der Gesellschaft des Landes lässt sich nicht von einem auf den anderen Tag vollziehen. Es bleibt abzuwarten, welche Ausdauer die neue Regierung in dieser Hinsicht an den Tag legt und ob ihre Anhängerschaft die Komplexität des Unterfangens zu verstehen vermag.