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China Bulletin
45 Jahre US-chinesischen Beziehungen: ein historischer Balanceakt

US-Präsident Joe Biden trifft sich mit Präsident Xi Jinping

US-Präsident Joe Biden trifft sich mit Präsident Xi Jinping.

© picture alliance / Newscom | MFA CHINA

Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sind so schlecht wie lange nicht – und richtig gut waren sie nie. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 45 Jahren brachte eine gewisse positive Dynamik, von der heute nichts mehr zu spüren ist. Sogar eine mögliche bewaffnete Konfrontation während der kommenden Jahre ist nicht ausgeschlossen. Wie kam es zu dieser Rivalität, wo liegen die Wurzeln?

China fordert den politischen und wirtschaftlichen Einfluss und die militärische Dominanz der USA im Indopazifik zunehmend aggressiv heraus. Der Konflikt spitzt sich in einem geopolitischen Zeitalter zu, in dem keine Region und kein Politikfeld mehr isoliert betrachtet werden kann. Ein möglicher bewaffneter Konflikt zwischen den USA und China wäre unweigerlich ein globaler Konflikt mit schwerwiegenden Folgen auch für Europa.

Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen waren niemals „gut“

Selbst zu ihren besten Zeiten gehörten Begriffe wie „Normalisierung“ und „Annäherung“ zu den enthusiastischsten Beschreibungen der Zusammenarbeit zwischen den USA und China. Diese war strikt interessengeleitet, nie freundschaftlich und lange von der irrigen Annahme geprägt, China werde sich demokratisieren. Dabei ließ Chinas Festhalten an einem antidemokratischen „Sozialismus chinesischer Prägung“ schon früh erahnen, dass eine Annäherung der Systeme unwahrscheinlich ist. Es blieb ein grundsätzliches Misstrauen, für das die Rezeption der Ereignisse auf dem Tian‘anmen-Platz in Peking 1989 zum Symbol wurde. Die zunehmende Wirtschaftsverflechtung zwischen beiden Staaten tat dem keinen Abbruch.

Wiederannäherung und Wieder-Entfremdung

Während der Mao-Ära war der Widerstand gegen die kapitalistische Welt, symbolisiert durch die USA, fester Bestandteil der chinesischen politischen Ideologie. Die USA ihrerseits erkannten die Volksrepublik nach ihrer Gründung 1949 nicht an und unterhielten stattdessen diplomatische Beziehungen zur Republik China (ROC) auf Taiwan. Die diplomatische Eiszeit begann erst aufzutauen, als sich die ideologischen Fronten zwischen China und der Sowjetunion verhärteten. Die anschließende Öffnung samt Wirtschaftsreform der Volksrepublik nach Maos Tod erschien dann so bahnbrechend, dass es den USA folgerichtig erschien, die Volksrepublik ab 1979 offiziell als die Vertreterin China anzuerkennen und diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Da es nur "ein China" geben kann, erkannte die internationale Gemeinschaft in der Folge der Republik Taiwan auf China diesen Status ab.

Nach zwei Jahrzehnten der Kooperation vollzog die Volksrepublik nach der Machtübernahme durch Xi Jinping eine abrupte, ideologische Kehrtwende. Bisher erfolgte Reformen, die auf eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Öffnung abzielten, wurden zurückgenommen. Seither stehen wieder ideologische Prinzipien im Mittelpunkt der Beziehungen. Auch der zunehmende, expressive Populismus in der US-Politik trägt zu einer Verschärfung der ideologischen Divergenzen bei. Heute dominieren Narrative, die Konfrontation suchen.

President Joe Biden listens as China's President President Xi Jinping speaks during their meeting
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Doug Mills

Chinas Konfrontationskurs ist ein Legitimationskurs

Eine zentrale Triebkraft für Chinas Aggressivität ist nicht nur die Rückkehr zur Ideologie, sondern auch das Ende seines spektakulären wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Kommunistische Partei muss sich langfristig durch wirtschaftliche Stabilität legitimieren. Wenn ihr das nicht gelingt, braucht sie einen anderen Plan - offensive Expansion und Nationalismus wäre so einer. Dabei operiert das chinesische Wirtschaftssystem schon jetzt auf der Basis geliehener Zeit, und demokratische Systeme fordern die Volksrepublik heraus: Außer den USA liegt die Volksrepublik auch mit Indien im Dauerkonflikt, und selbst Brüssel distanziert sich in jüngster Zeit immer expliziter von Peking. Es kommt Peking daher gelegen, Gegner benennen zu können.

Auch die US-Politik nutzt die Systemgegnerschaft strategisch

Vor dem Hintergrund zunehmender Konsensunfähigkeit in Washington gibt es immerhin ein Thema, in dem sich beide Lager im Kongress einig sind: China ist die größte Bedrohung für die USA als globale Führungsmacht. Das sieht auch die Mehrheit der US-Amerikanerinnen und Amerikaner so. Misstrauen hat sich breit gemacht. Laut einer Umfrage vom März 2023 sehen 83% der US-Bürger China in einem negativen Licht.

Die USA, insbesondere unter der Führung von Donald Trump, haben aktiv zur Verschärfung der Spannungen beigetragen. Importbeschränkungen für chinesische Waren wurden auch unter Joe Biden nicht zurückgenommen. Eine kollektive Bereitschaft zur Überreaktion zeigte sich deutlich in der nationalen Rezeption des verdächtigen chinesischen Beobachtungsballons im amerikanischen Luftraum Anfang 2023. Als Konsequenz des Ballonüberfluges sagte US-Außenminister Anthony Blinken damals seine China-Reise kurzerhand ab. Später war die Biden-Administration bemüht, die Wogen zu glätten. Insbesondere das persönliche Treffen zwischen Joe Biden und Xi Jinping im November 2023 steht für eine weiterhin bestehende Gesprächsbereitschaft. Im anstehenden US-Wahlkampf wird das Thema der Beziehungen zu China eine große Rolle spielen und der Ausgang der Wahl wird entscheidend für die Gestaltung der Beziehungen in den kommenden Jahren sein.

Jede Verschärfung des Konfliktes wird auch für Europa riskant

Eine impulsivere und aggressivere US-Regierung könnte in Zukunft erheblich zu einer möglichen Eskalation beitragen. In einem stark psychologisierten politischen Klima wird die Wahrnehmung und Interpretation von „Konfrontation“ durch die jeweilige Gegenseite eine entscheidende Rolle spielen. Selbst wenn ein bewaffneter Konflikt vermeidbar bleibt, dürfte sich die Konfrontation zunehmend in den Cyberbereich verlagern. Zudem wird es zu einem Wettlauf um Ressourcen und Errungenschaften im Technologiesektor kommen. Beides wird aufgrund der enormen Kontrolle Chinas über relevante Lieferketten globale wirtschaftliche Auswirkungen haben. Klar ist: Europa muss sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Denn auch das Szenario eines beschränkten Konfliktes würde weitreichende negative Konsequenzen für Europa haben. Dafür muss Brüssel einen Plan haben und darf sich nicht überraschen lassen.

Dr. Nele Fabian ist Sinologin und Senior European Affairs Managerin im Regionalbüro Europäischer Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel. Dort ist sie verantwortlich für die Themenbereiche Wirtschaft, Innovation und Umwelt und die Beziehungen zwischen der EU und China sowie zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.

Adam DuBard ist Senior Program Associate für den World Order and Globalization Hub in Washington, D.C. Ursprünglich stammt er aus South Carolina, hat aber insgesamt zwei Jahre in Deutschland, Jordanien und Italien gelebt und sich dort Kenntnisse in Deutsch, Italienisch und Arabisch angeeignet. Er verfügt über mehr als sechs Jahre Erfahrung in gemeinnützigen Organisationen und hat bereits Texte in Pass Blue, Inkstick und The Hill veröffentlicht. Er ist Absolvent der Johns Hopkins School of Advanced International Studies, wo er einen M.A. in Konfliktmanagement und internationaler Wirtschaft erwarb, und hat außerdem einen B.A. in Politikwissenschaft und Deutsch von der University of South Carolina.