LGBTI-Rechte
Bevorstehendes EuGH-Urteil – Ist Baby Sara EU-Bürgerin?
Die europäische LGBTI-Community blickt in diesen Tagen gespannt nach Luxemburg. Dort wird ein Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes erwartet, der Folgen für die Geburtsrechte von Kindern, die in gleichgeschlechtlichen Familien geboren werden, hat.
Sara kam Ende des Jahres 2019 in Spanien zur Welt. Seitdem ist das kleine Mädchen staatenlos.
Warum ist Sara staatenlos?
Weil Baby Sara in eine Regenbogenfamilie hineingeboren wurde. Ihre beiden Mütter haben sich in Barcelona kennengelernt, verliebt und dort geheiratet. Eine von ihnen ist Bulgarin; die andere besitzt die britische Staatsangehörigkeit und wurde in Gibraltar geboren. Gemäß spanischer Gesetzgebung hat das Kind nur Anspruch auf die spanische Bürgerschaft, wenn beide Eltern spanische Staatsbürgerinnen sind. Das ist nicht der Fall. Die britische Mutter wiederum könnte ihre Staatsbürgerschaft der Tochter nur übertragen, wenn Sara in Großbritannien geboren wurde. Auch das ist nicht der Fall.
Die einzig verbleibende Möglichkeit war, dass Bulgarien dem Baby die bulgarische Staatsbürgerschaft anbietet. Das gleichgeschlechtliche Paar suchte Unterstützung beim Rechtsprogramm der LGBTI-Organisation Deystvie in Sofia. Als die Menschenrechtsanwältin Denitsa Lyubenova den entsprechenden Antrag auf Ausstellung der Geburtsurkunde der Stadtverwaltung Sofia vorlegte, war sie über die Antwort der Behörde erstaunt. Diese forderte das Paar auf, einen Beweis für den biologischen Ursprung des Kindes vorzulegen. Doch: Es gibt kein bulgarisches Gesetz bzw. eine Rechtsvorschrift, die einen behördlichen Anspruch auf Kenntnis der biologischen Abstammung eines Kindes festlegt.
Anwältin Lyubenova kommentiert, kein Hetero-Paar müsse den biologischen Ursprung seines Kindes beweisen, wenn die Eltern ihr Kind im Ausland bekommen haben und eine Geburtsurkunde in Bulgarien beantragen. In dem Verhalten der öffentlichen Verwaltung in Sofia sieht sie daher eine Diskriminierung gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren.
Kompliziert wird der Streitfall auch dadurch, dass die spanische Gesetzgebung keine Angaben über den biologischen Ursprung der Elternschaft in Saras Geburtsurkunde verlangt. In dem Dokument sind die Namen beider Mütter eingetragen. Grund dafür ist, dass beide Elternteile gleichberechtigt an der Erziehung ihres Kindes beteiligt sind.
Das mittlerweile schon über anderthalbjährige Baby Sara ist noch immer staatenlos und kann nicht reisen. Es kann ihre Großväter nicht besuchen. Selbst wenn die Reisebeschränkungen aufgrund von COVID-19 aufgehoben werden, wird dem Kind sein Recht auf Freizügigkeit verwehrt. Und solange Sara staatenlos bleibt, kann sie auch nicht von einem Kindergarten aufgenommen werden.
Von der Stadtverwaltung Sofia zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg
Dabei war es das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU, dass es den beiden Frauen, einer Bulgarin und einer Britin, ermöglichte, sich in Barcelona niederzulassen, wo sie sich später kennengelernt und eine Familie gegründet haben. Kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter begann der Kampf des Paares um die Feststellung der Staatsangehörigkeit des Kindes. Der Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für Sara wurde von den zuständigen bulgarischen Behörden in Sofia zunächst abgelehnt. Diesen Bescheid hat Anwältin Lyubenova vor dem Verwaltungsgericht Sofia-Stadt angefochten. Daraufhin richtete das Sofioter Verwaltungsgericht ein Vorab-Entscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, EuGH.
Mit Blick auf die Präzedenzwirkung des Falles ließ der EuGH die Rechtssache in einer „Großen Kammer" mit 15 Richtern zu. Am 9. Februar stand die Menschenrechtsanwältin Denitsa Lyubenova vor den Richtern in Luxembourg. Sie baute ihr Plädoyer auf dem Argument auf, dass eine erzwungene Klärung des biologischen Ursprunges von Baby Sara dazu führen würde, dass das Mädchen juristisch auf einen seiner Elternteile verzichten müsse. Sie würde dann als Tochter einer alleinerziehenden Mutter gelten, obwohl ihre Eltern verheiratet sind. Zudem verwies Lyubenova auf die Folgen einer Versagung der Anerkennung Saras als bulgarischer Staatsbürgerin, die mit dem Entzug der damit einhergehenden Rechte als Staatsbürgerin sowie als EU-Bürgerin einhergingen. Eine solche Weigerung, so das Argument, stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung unabhängig von sexueller Orientierung dar.
Richtungsweisendes Urteil für Regenbogenfamilien in ganz Europa
Der Fall stieß auf großes Interesse. Vertreterinnen und Vertreter Italiens, Polens, Ungarns, der EU-Kommission, Deutschlands und der Niederlande waren zugegen, als Denitsa Lyubenova ihre Rechtsauffassung vor der Kammer darlegte. Alle EU-Mitgliedstaaten haben als interessierte Parteien die Möglichkeit, zur Rechtsache mündliche oder schriftliche Stellungnahmen abzugeben. Vergleichbare Streitfälle gibt es auch in Rumänien, Polen und Ungarn, aber dies ist der erste Fall, den die höchste Instanz des Gerichts der EU entscheiden wird. Brisanz erhält die Sache auch mit Blick auf die ausgeprägte Anti-LGBTI-Rhetorik in vielen osteuropäischen Ländern, die sich mancherorts auch Regierungen zu eigen gemacht haben.
Deswegen ist die Stellungnahme der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Juliane Kokott vom 15. April besonders wichtig: „Bulgarien muss den Ursprung des Kindes von seinen beiden Müttern anerkennen“. Dies dürfte durchaus Einfluss auf die Entscheidung der Richter der Großen Kammer des EuGHs haben.
Anwältin Lyubenova vom Rechtsprogramm der LGBTI-Organisation „Deystvie“, die Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung ist, sieht den Fall von Baby Sara als Referenzpunkt, um die Rahmenbedingungen für Regenbogenfamilien EU-weit zu verbessern. Unterstützt wird sie dabei von Verbündeten wie der rumänischen LGBTI-Organisation „ACCEPT“, ILGA-Europe, dem Netzwerk der Verbände der europäischen LGBTI-Familien NELFA sowie der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Freshfields.
Sobald der EuGH seinen Grundsatzbeschluss verkündet hat, wird der Fall von Baby Sara an das Verwaltungsgericht Sofia-Stadt zurückverwiesen. Entsprechend der Vorgabe aus Luxemburg wird dann entschieden, ob das Kind staatenlos bleibt oder nicht.
Wenn Aktivismus auf Recht trifft
Denitsa Lyubenova ist eine Menschenrechtsanwältin und LGBTI-Aktivistin in Bulgarien.
Sie ist keine stereotype Anwältin - ihr Ziel ist es, Gerechtigkeit und gleiche Rechte für Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften zu erreichen. Denitsa half bei der Gründung der LGBTI-Organisation Deystvie ("Aktion"). Sie hilft Kindern, die Staatsbürgerschaft zu erhalten, Ehen rechtlich anzuerkennen und HIV-Patienten den Zugang zu Medikamenten zu erleichtern.