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Belarus
In der Belarus-Krise spricht Litauen klare Worte

Seit Wochen geht Alexander Lukaschenko massiv gegen Demonstranten in Belarus vor.
Seit Wochen geht Alexander Lukaschenko massiv gegen Demonstranten in Belarus vor. © picture alliance / Friedemann Kohler/dpa | Friedemann Kohler

Angesichts der schweren politischen Krise in Belarus positioniert sich Litauen als überzeugter Verfechter EU-weiter Sanktionen gegen Mitglieder des Lukaschenko-Regimes, die für Wahlbetrug und Polizeigewalt verantwortlich sind. Die westlichen EU-Mitgliedstaaten hingegen verhalten sich meist vorsichtig, um nicht eine Intervention Russlands zu provozieren. Wladimir Putin sicherte Alexander Lukaschenko zu, notfalls eine Reservetruppe der Polizei für den Einsatz in Belarus aufzubauen.  Welche Rolle spielt Litauen in der EU-Ostpolitik? Wie soll sich die EU gegenüber Russland und der Unterdrückung der Demokratie in Belarus verhalten? Ein Gespräch mit Petras Auštrevičius, dem litauischen Europaabgeordneten der Fraktion „Renew Europe“ und Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Belarus.

Beziehungen, die Jahrhunderte zurückreichen

Litauen und Belarus pflegen wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen, die Jahrhunderte zurückreichen. Die beiden Länder bildeten einst das Großfürstentum Litauen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schlug Litauen die Richtung der westlichen Integration ein und wurde im Jahre 2004 zum EU- und NATO-Mitglied.

Das Land mit etwa 2,8 Mio. Einwohnern gehört zu den zehn größten Investoren in Belarus, vor allem wegen der geringen Konkurrenz auf dem Markt und niedriger Lohnkosten für litauische Unternehmer. Außerdem ist Belarus ein wichtiges Transitland für litauische und polnische Waren. Andererseits geht ein großer Teil der belarusischen Exporte über den litauischen Hafen Klaipėda.

Litauen unterstützt die belarusische Zivilgesellschaft schon seit langem. Die litauische Hauptstadt Vilnius liegt nur 170 Kilometer von Minsk entfernt und ist Zentrum der belarusischen Opposition im Exil. Vilnius beherbergt zudem die „European Humanities University“, die Lukaschenko 2004 aus Belarus vertrieb. Eine Reihe belarusischer Nichtregierungsorganisationen sind ebenfalls hierhin umgezogen.

Ein Thema, das die Beziehungen der beiden Länder in den vergangenen Monaten dominierte, ist die geplante Inbetriebnahme des Atomkraftwerks im belarusischen Ostrowez, das 50 Kilometer von Vilnius entfernt liegt. Litauen ist der aktivste Kritiker des AKW, das für Alexander Lukaschenko ein persönliches Prestigeprojekt ist, und bemängelt immer wieder Verstöße gegen die Einhaltung von Sicherheits- und Umweltstandards

Reaktion Litauens auf die Krise in Belarus

Litauen fand sogleich eine deutliche Antwort auf die Gewalt, mit der die belarusischen Behörden die friedlichen Proteste nach der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos unterdrückten. Die Litauer haben sich ohne zu zögern an die Seite der belarusischen Opposition gestellt. Die litauische Regierung erkennt das Regime von Machthaber Lukaschenko als gewählte Regierung nicht an und fordert Neuwahlen.

Zudem hat das Land Swetlana Tichanowskaja, der Präsidentschaftskandidatin der belarusischen Opposition, Zuflucht gewährt. Als Reaktion auf die Niederschlagung der Proteste hat die litauische Regierung die Einreise für Flüchtlinge aus Belarus erleichtert. Die Solidaritätsbekundungen auf den Straßen in Vilnius sowie eine Menschenkette bis an die belarusische Grenze zeigen einmal mehr das große Engagement der Litauer für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Nachbarland.

Am Montag haben Litauen, Lettland und Estland dem belarusischen Machthaber Alexander Lukaschenko und 29 weiteren Beamten Reiseverbote auferlegt, was gleichzeitig die Ungeduld der baltischen Länder mit dem vorsichtigen Vorgehen des EU ausdrückte. Der belarusische Außenminister Vladimir Makei sagte am Mittwoch, dass Belarus Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen aus Litauen, Lettland und Estland verhängen werde.

Der litauische Europaabgeordnete und ständige Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Belarus, Petras Auštrevičius MEP (Renew Europe), wurde kürzlich daran gehindert, Belarus zu besuchen, während sein polnischer Kollege und Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Belarus, Robert Biedron (S&D), aus Minsk ausgewiesen wurde.

Sollte sich die EU nach dem litauischen Beispiel richten?

Die litauische Botschaft ist klar: Die EU muss schneller handeln. „Wir haben gesagt, dass wir einen friedlichen Dialog und eine Einigung zwischen dem belarusischen Regime und der Zivilgesellschaft brauchen, aber wir sehen, dass das Regime dazu nicht bereit ist“, sagte der litauische Präsident Gitanas Nausėda. „Wir müssen anderen Ländern ein Vorbild sein.“

In einer Zeit, in der die Besorgnis über die zunehmend aggressive Rhetorik in den Ost-West-Beziehungen steigt, legt Litauen großen Wert sowohl auf den konstruktiven Austausch als auch auf die Verteidigung der Grundwerte der Demokratie. Eine der Lösungen sieht Litauen in personenbezogenen Sanktionen, die sich zwar gegen Alexander Lukaschenko und diejenigen, die an Wahlfälschungen und Misshandlungen beteiligt gewesen sind, richten, aber nicht gegen das belarusische Volk. Das Risiko einer Pattsituation wächst; die EU ist am Zug.

Interview mit Petras Auštrevičius, MdEP (Renew Europe)

Herr Auštrevičius, wie schätzen Sie die Rolle Litauens in der EU-Ostpolitik?

Litauen ist davon überzeugt, dass die EU ein Motor für Transformation ist – wir Litauer wissen das aus eigener Erfahrung. Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fortschritte, die wir schon bei der Vorbereitung auf die EU-Mitgliedschaft und später als Mitglied gemacht haben, sind enorm und liefern einen unbestreitbaren Beweis für den positiven Einfluss der EU. Wir glauben daran, dass sich unser Erfolg auch in den Ländern der Östlichen Partnerschaft wiederholen kann und sehen die von der EU unterstützten Reformen weder als Eingriff in nationale Angelegenheiten noch als Anmaßung. Im Gegenteil, wir verstehen die Menschen in den östlichen Partnerländern und möchten, dass sich ihre europäischen Träume erfüllen und sie an Lebensqualität gewinnen.

Einige EU-Mitgliedstaaten, einschließlich Litauen, drängen auf eine energischere Reaktion der EU auf die Krise in Belarus, während andere Mitgliedstaaten, wie Deutschland, vorsichtiger sind. Wie kann die EU zu einer gemeinsamen Position finden, um ihre Grundwerte zu wahren und das Risiko einer Pattsituation zu vermeiden?

Das seit 26 Jahren währende Regime von Lukaschenko hat Belarus einen immensen Schaden zugefügt. Aufgrund seiner Abgeschiedenheit wurde Belarus auf der politischen Landkarte Europas kaum wahrgenommen. Die Passivität der EU gegenüber Belarus wurden zu einem Normalverhalten, das allerdings wenig hilfreich ist, wenn eine schnelle Reaktion auf Ereignisse in Belarus erforderlich ist. Es schafft ein falsches Bild, so als ob sich die EU von Belarus und seinen Menschen abgewandt hätte und ihrer Tragödie gleichgültig gegenüberstehe.

Die litauischen Beziehungen zu Belarus durchliefen ebenfalls verschiedene Phasen, aber wir haben unser Nachbarland nie aus dem Fokus verloren. Wir sind durch eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Grenze, den intensiven Austausch zwischen den Menschen beider Länder, eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit und ähnliche Sicherheitsbedrohungen verbunden. Wir kennen Belarus gut, und es wäre für beide Seiten nützlich, wenn die EU, einschließlich Deutschland, auf unseren Rat hören und unsere Initiativen unterstützen würde, um sie in europäische umzuwandeln.

Mit ihrer verspäteten und zurückhaltenden Reaktion auf die Situation in Belarus verliert die EU ihre Glaubwürdigkeit als Verteidiger der Grundfreiheiten und der Menschenrechte. Unsere belarusischen Partner verfolgen unsere Aussagen genau und es ist von entscheidender Bedeutung, auf Erklärungen zu verzichten, die beispielsweise die Zugehörigkeit von Belarus zu Europa in Frage stellen, insbesondere seitens hochrangiger Beamter. Wir müssen den Kampf der belarusischen Bevölkerung für ihre Zukunft unterstützen und weitere Impulse dafür schaffen.

Russland spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um den geopolitischen Aspekt der Krise in Belarus geht. Was wären Ihre Empfehlungen für einen tragfähigen westlichen Ansatz (EU und NATO) in Bezug auf Russland?

Es ist Russland, das die Situation in Belarus in eine geopolitische Angelegenheit verwandelt. Russland sieht Belarus als sein eigenes Territorium, in dem es nach eigenem Belieben handeln kann, und beabsichtigt nicht, seinen Einfluss zu verringern. Russland unter Putin ist mit seiner Expansionspolitik nicht an den demokratischen Veränderungen in Belarus interessiert. Daher muss die EU die demokratischen Werte in Belarus verteidigen.

Verbrechen und Verstöße gegen demokratische Grundsätze durch Russland können nicht toleriert werden. Den Worten, mit denen der Westen solche Verbrechen verurteilt, müssen Taten folgen. Es ist dringend erforderlich, dass die EU den Sanktionsmechanismus für Menschenrechtsverletzungen auf Basis des "Magnitsky-Act" beschließt und ihn gegen die russischen Beamten anwendet, die sich aktiv an Wahlbetrug, politisch motivierten Verfolgungen und Verstößen gegen die Grundfreiheiten einschließlich der Meinungsfreiheit beteiligt haben.

Interview mit Petras Auštrevičius, MdEP (Renew Europe)  Herr Auštrevičius, wie schätzen Sie die Rolle Litauens in der EU-Ostpolitik? Litauen ist davon überzeugt, dass die EU ein Motor für Transformation ist – wir Litauer wissen das aus eigener Erfahrung. Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fortschritte, die wir schon bei der Vorbereitung auf die EU-Mitgliedschaft und später als Mitglied gemacht haben, sind enorm und liefern einen unbestreitbaren Beweis für den positiven Einfluss der EU. Wir glaub

Petras Auštrevičius, MdEP (Renew Europe), ist Wirtschaftswissenschaftler, ehem. litauischer Botschafter in Finnland und war Chefunterhändler für den Beitritt Litauens zur EU. Von 1999-2000 war er Kanzler der Regierung der Republik Litauen sowie von 2006-2008 Vorsitzender der Liberalen Bewegung der Republik Litauen. Von 2004-2014 war er Mitglied des Parlaments von Litauen und von 2013-2014 dessen stellvertretender Präsident. Seit 2014 ist Auštrevičius Mitglied des Europäischen Parlaments, wo er u.a. Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sowie der ständige Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Belarus ist.