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300. Geburtstag
Adam Smith: Wohlstand für alle in einer Ordnung der Moral und der Vernunft

Der Schotte Adam Smith ist der Begründer der Volkswirtschaftslehre.

Der Schotte Adam Smith ist der Begründer der Volkswirtschaftslehre. Sein Denkmal steht an der Royal Mile in Edinburgh.

© picture alliance / Johannes Reichert | Johannes Reichert

Adam Smith, der große Moralphilosoph und Nationalökonom, sah den ganzen Menschen. Er vertraute dem moralischen Reflexionsvermögen ebenso wie der Fähigkeit der Menschen, miteinander in Austausch zu treten und ihren Wohlstand zu mehren. Arbeitsteilung und wirtschaftliche Freiheit standen für ihn nicht im Widerspruch zu Moral und Nächstenliebe – ganz im Gegenteil.

Moral und Wohlstand

Vor 300 Jahren wurde der große Moralphilosoph und Ökonom Adam Smith in Kirkcaldy in Schottland geboren. Es gibt nur wenige Denker, die so oft zitiert und zur Untermauerung von ökonomischen, politischen und sozialen Konzepten herangezogen werden. Das ist ganz in seinem Sinne – Adam Smith wollte mit seinen Ideen auf die politischen Entscheidungsträger und die öffentliche Meinung seiner Zeit wirken. Er wurde mit seinem Werk „Wohlstand der Nationen“ (An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776) zu einem der Begründer der modernen Ökonomie, vor allem der modernen Nationalökonomie. Er beschrieb die Vorteile der Arbeitsteilung und diejenigen des Freihandels für den Wohlstand aller Menschen. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Einerseits lebte er in einer Zeit, in der die spätere industrielle Revolution eher zu erahnen als handfest zu erfahren war – viele seiner Überlegungen entfalten ihre ganze Kraft erst später, als die Welt sich sprunghaft veränderte. Andererseits lebte er in einer Zeit, in der der Merkantilismus die Politik beherrschte. Diese Politik, die zur Stärkung der Staatseinnahmen auf die Erhöhung von Exporten und die Verringerung von Importen setzte, wurde von Smith als fehlgeleitet kritisiert. Sie stellt die Interessen einzelner, kleiner Gruppen über den Wohlstand für alle. Der Wohlstand einer Nation war für Smith eben nicht zuerst der Reichtum des Souveräns und einer kleinen Schicht, sondern der Wohlstand breiter Kreise – die ganz klar vom Freihandel profitieren.

Die Darstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Menschen durch Adam Smith war sehr eng mit seiner Analyse ihrer Moralvorstellungen verknüpft. In seinem anderen, früheren Hauptwerk, der „Theorie der ethischen Gefühle“ (The Theory of Moral Sentiments, 1759) schrieb er den Menschen die Fähigkeit zu, ihr Handeln zu kritisch zu reflektieren und an moralischen Standards zu messen. Sie fühlen Sympathie füreinander und können sich in andere und deren Interessen hineinversetzen und einen fiktiven unparteiischen Beobachter anrufen. Diese Standards, die „ethischen Gefühle“, begleiten die Menschen ständig – sie werden nicht abgeschaltet, wenn sie wirtschaftlich handeln. Zudem entwickeln sie sich im permanenten Austausch, im Dialog weiter. Smith war einerseits ein Unterstützer freier Märkte, scheute sich aber gleichzeitig nicht, Marktteilnehmer zu kritisieren – insbesondere dann, wenn sie bestimmte politische Maßnahmen forderten, die ihnen nützten, aber gleichzeitig den Wettbewerb beschränkten und somit den Wohlstand aller schädigten.

Austausch freier Menschen

Nicht im Sinne von Adam Smith sind deshalb sicher die einseitigen und selektiven Darstellungen seiner Argumente, die in heutigen Diskussionen weit verbreitet sind. So wird aus seine Metapher der „Unsichtbaren Hand“ gern abgeleitet, dass Menschen auf Märkten nur ihren Eigennutz verfolgen sollen, und dann das Gesamtergebnis allen nützt. Ignoriert wird dabei oft, dass die Menschen in Marktprozessen keineswegs ihre Sympathie für andere Menschen und ihren moralischen Kompass vergessen sollten. Ganz im Gegenteil: Um mit anderen Menschen in einen für beide Seiten vorteilhaften Austausch zu kommen, ist es notwendig, die Interessen und Wertvorstellungen dieser zu erkennen und anzuerkennen. Smith fordert deshalb die Menschen immer wieder auf, ihren kurzfristigen Eigennutz vor ihren inneren moralischen Richter zu stellen – auch in ihrem eigenen, langfristigen Interesse. Hier zeigen sich Parallelen zu seinem großen Zeitgenossen Immanuel Kant – auch wenn sich die Grundlagen ihres Denkens in vielem unterscheiden.

Für Adam Smith waren die Fähigkeit und der Drang zum Austausch in der menschlichen Natur angelegt. Dabei geht es sowohl um den Austausch von Gütern als auch um den von Werten und Ideen. Ein möglichst harmonisches Zusammenleben bei steigendem Wohlstand war für den großen schottischen Denker das Ziel seiner Überlegungen. Zu diesem Zwecke dachte er über politische Reformen, über die Aufgaben des Staates nach. Oft wird denjenigen, die mit Smith für möglichst wenig staatliche Intervention argumentieren, entgegengehalten, dass Smith durchaus sinnvolle Staatstätigkeiten sah, zu denen nicht nur die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung gehörte, sondern auch die Errichtung und den Erhalt von Infrastruktur. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass er an vielen Beispielen darlegte, dass staatliche Regelungen oft im Interesse einer bestimmten Gruppe, etwa bestimmter Eigentümer, Händler oder Produzenten sind, und somit nicht zwingend im Interesse der Allgemeinheit. Unabhängig von einzelnen politischen Fragen ist seine Herangehensweise an Politik ein wichtiger Hinweis für heutiges Handeln: Politische Maßnahmen sollten nicht im Überschwang der Begeisterung oder anhand ihrer Ziele beurteilt werden, sondern an ihren wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Menschen. Als Vertreter der schottischen Aufklärung legte Smith großen Wert darauf, ruhig-abwägend und skeptisch an jede Art von Politik heranzugehen.

Das System „natürlicher Freiheiten“ als Basis Grundlage jeder Politik stand für ihn jedoch außer Frage – es bildet die Grundlage für den freien Austausch. Diese erstreckt sich auf Güter aller Art, aber, und das ist mindestens genauso wichtig, auf den Austausch von Ideen und moralischen Werten, auf den Prozess, in dem sich Menschen und ihre Wertvorstellungen weiterentwickeln, in dem sie sich verstehen und anerkennen – und die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben schaffen und reproduzieren.

Mit seinem Menschenbild setzte sich Adam Smith deutlich von anderen politischen Denkern, insbesondere von Thomas Hobbes, ab, die davon ausgingen, dass Menschen von Natur aus aggressiv gegen andere sind und nur die Androhung oder Ausübung massiver staatlicher Gewalt sie zu friedlichem Zusammenleben zwingen könnten.

Aus liberaler Perspektive – Was bleibt von Adam Smith?

In der aktuellen politischen Debatte lohnt es, immer wieder auf die grundlegende Idee von Adam Smith zurückzukommen: Arbeitsteilung und Handel schaffen Wohlstand für die große Masse – jede staatliche Einschränkung muss gut begründet sein. Wirtschaftliches und moralisches Handeln sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander – deshalb sollte Politik nicht auf der Ausbeutung dieses vorgeblichen Gegensatzes aufbauen, sondern auf die Urteilsfähigkeit der einzelnen Menschen. Menschen finden im freien Austausch von Ideen und Gütern gemeinsam Lösungen für ihre Probleme und schaffen Wohlstand – deshalb sollten politische Maßnahmen an ihren tatsächlichen Auswirkungen für alle und nicht am Nutzen für einzelne Gruppen bewertet werden.