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China Bulletin
Auf Schlingerkurs zwischen Staat und Markt

China dritttes Plenum

Vom 15. bis zum 18. Juli fand in Beijing die dritte Plenartagung des 20. Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) statt.

© picture alliance / Xinhua News Agency | Yan Yan

Der „Beschluss“ des Dritten Plenums des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas verspricht bessere Rahmenbedingungen und mehr Unterstützung für den Privatsektor, eine wichtige Säule für Chinas Wirtschaftswachstum und Innovationspotential. Zugleich hält die Partei fest an ihrer Führungsrolle in der Wirtschaft, der Regulierung der Märkte und ihrem Ziel starker und wettbewerbsfähiger Staatsunternehmen. Entscheidend wird sein, wie die angekündigten Maßnahmen in diesem Spannungsverhältnis umgesetzt werden.

Vom 15. bis zum 18. Juli fand in Beijing die dritte Plenartagung des 20. Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) statt. Es ist das bedeutsamste Parteitreffen in diesem Jahr. Das diesjährige Dritte Plenum war lange überfällig. Turnusmäßig hätte es bereits im Herbst oder Winter 2023 stattfinden müssen. Die Partei nannte keine Gründe für die Verzögerung und kündigte schließlich im April mit ungewöhnlich langer Vorlaufszeit das Treffen im Juli an.

Während es auf dem Ersten und Zweiten Plenum des alle fünf Jahre neu gebildeten Zentralkomitees mit seinen rund 200 Mitgliedern vor allem um die Ernennung der Parteiführung und andere Personalfragen geht, werden auf dem Dritten Plenum meist die programmatischen Schwerpunkte der kommenden Jahre verkündet.

Hohe Erwartungen angesichts vielfältiger Herausforderungen

Aufgrund der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage ist der Handlungsdruck groß. Die Wirtschaftsdynamik hatte bereits vor der Corona-Pandemie an Schwung verloren und ist auch seit dem abrupten Ende der Null-Covid Politik nicht wieder richtig in Schwung gekommen. Nach einer geringfügigen Stabilisierung des Wachstums in den ersten drei Monaten dieses Jahres blieben die fast zeitgleich zum Dritten Plenum veröffentlichten Wirtschaftsstatistiken für das zweite Quartal hinter den Erwartungen zurück. Trotz zunehmender Zensur und Versuchen, den Diskurs über Chinas Wirtschaft zu steuern, lassen sich die vielen komplexen und sich gegenseitig bedingenden Herausforderungen nicht verschleiern, vor denen die Führung steht: anhaltend niedrige Wachstumsraten, ein strauchelnder Immobilienmarkt, Risiken im Finanzsektor, die extrem hohe Verschuldung vieler Lokalregierungen und geringere Ressourcen für Sozialsysteme, Bildung sowie Infrastruktur. Auch der Druck, ausreichend Jobs zu schaffen und das regionale Wohlstandsgefälle zu verringern, hat deutlich zugenommen. Hinzugekommen ist das schwindende Vertrauen vieler Privatunternehmer in die wirtschaftliche Zukunft. Deren Zuversicht und Unternehmergeist ist für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage jedoch dringend notwendig.

Vor dem Plenum lief die Propagandamaschinerie auf Hochtouren. Sie befeuerte das Narrativ von Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping als großen Reformer. Die Hoffnung auf einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik war dennoch gering. Die Botschaft, alles sei auf dem richtigen Kurs, verfängt vor allem bei vielen Wirtschaftsakteuren schon lange nicht mehr.

Großes Maßnahmenpaket, aber Umsetzung entscheidend

Die Diskussionen auf der mehrtägigen Plenartagung sind nicht öffentlich und Berichte darüber in parteistaatlichen Medien sorgfältig kuratiert. Direkt im Anschluss wurde ein Kommuniqué zum Plenum veröffentlicht. Darauf folgte wenige Tage später das offizielle Abschlussdokument, der „Beschluss des ZK der KPC über die weitere umfassende Vertiefung der Reform zum Vorantreiben der chinesischen Modernisierung“ sowie die „Erläuterungen zum Beschluss“ des Parteichefs.   

Der umfangreiche „Beschluss“ listet in 60 Punkten laut parteistaatlichen Medien mehr als 300 Maßnahmen auf, die bis 2029 umgesetzt werden sollen. Es ist ein ambitioniertes Programm, das viele der drängenden Herausforderungen adressiert, darunter Steuerreformen, die öffentliche Verschuldung sowie Bereiche wie soziale Sicherung, Arbeitsmarkt und Binnenmigration. Teilweise sind die Pläne sehr konkret. So will Beijing ein Finanzgesetz ausarbeiten, das die Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten zwischen zentraler und lokaler Ebene besser klären soll. Viele Stellen bleiben jedoch recht vage, zum Beispiel wenn es heißt, man wolle „hart an der strukturellen Arbeitslosigkeit arbeiten“.

Viele der aufgelisteten Bereiche finden sich bereits im „Beschluss“ des Dritten Plenums von 2013 ein Jahr nach Xis Amtsantritt oder wurden in anderen Dokumenten in den letzten Jahren und den vergangenen Monaten erwähnt.

Nun kommt es darauf an, ob es der Partei gelingen wird, die sich teilweise widersprechenden Ziele umzusetzen. Wie schwierig das ist, zeigt sich besonders bei der Rolle von Markt und Privatwirtschaft. Beijings Versuche, das Vertrauen und die Innovationsbereitschaft privater Unternehmen wieder zu stärken, sind bislang ohne Erfolg geblieben.

Das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Parteistaat und Privatwirtschaft

Die Wirtschaftspolitik der KPC ist seit Jahrzehnten geprägt von dem grundlegenden Spannungsverhältnis zwischen Staat und Markt sowie zwischen Freiräumen und Kontrolle. Das konstatiert das Zentralkomitee auch in seinem „Beschluss“. Es gelte, das Zusammenspiel von „Wirtschaft und Gesellschaft, von Regierung und Markt, von Vitalität zu Ordnung und Entwicklung zu Sicherheit angemessen zu behandeln”.  

Unsere Analyse chinesischer Debatten vor dem Plenum im Rahmen des von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit geförderten Projekts „China Spektrum“ hat gezeigt, dass chinesische Wirtschaftsexperten unterschiedliche Ansichten darüber vertreten, welche Maßnahmen ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum herbeiführen könnten. Manche befürworten mehr staatliche Steuerung und eine Zusammenarbeit von Privat- und Staatsunternehmen. Andere fordern strukturelle Reformen, fairen Wettbewerb und ein besser berechenbares politisches und rechtliches Umfeld, um den Unternehmergeist im Land neu zu beleben.

Im Mai traf sich Xi Jinping mit Vertretern von Staats- und Privatunternehmen, ausländischen Investoren sowie Ökonomen, darunter auch zwei marktorientierten Experten. Das befeuerte Diskussionen, ob das Plenum eventuell doch substanziellere Reformen verkünden wird.

Der „Beschluss“ des Dritten Plenums nennt eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und Unterstützung von Privatunternehmen. Zwar verspricht die Partei, die Benachteiligung von Privatunternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen, Finanzierungsmöglichkeiten und anderen Wettbewerbsbedingungen zu verbessern. Dies ist jedoch nicht neu. Gleichzeitig betont die Partei die Bedeutung des Staatssektors für nationale Ziele. Dafür benötige es starke, innovative und wettbewerbsfähige Staatsunternehmen. Und während sich im „Beschluss“ von 2013 ein deutlicheres Bekenntnis zur „maßgeblicheren Rolle des Marktes“ fand, heißt es 2024, „die Rolle des Marktes besser nutzen“ und gleichzeitig „effektiver regulieren“ zu wollen.

Das Programm soll Unvereinbares vereinbaren

Der Plenumsbeschluss formuliert ein ambitioniertes Programm, welches versucht, Unvereinbares zu vereinbaren. Es lässt offen, wie die miteinander in Konflikt stehenden Ziele verwirklicht werden können oder sollen. Ob dieser Beschluss zu einer Wiederbelebung des starken Unternehmergeistes führen wird, ist fraglich, nachdem die Partei in den vergangenen Jahren die Regulierung und Kontrolle verschärft und von Unternehmern mehr Patriotismus eingefordert hat.

Einige wenige und in der öffentlichen Debatte mittlerweile marginalisierte chinesische Wirtschaftswissenschaftler betonen, dass es in Chinas Reformprozess immer wieder große Herausforderungen gab. Ihrer Meinung nach war jedoch eine klare Richtung bei den Wirtschaftsreformen erkennbar, ein nicht zu unterschätzender Faktor für unternehmerische Investitionsentscheidungen. Dies habe sich in den letzten Jahren geändert.

Keine Zweifel lässt der Beschluss jedoch an der politischen Richtung. Die Partei gibt weiter den Ton in der Wirtschaftspolitik an. Und Wirtschaftsakteure, egal ob Staats- oder Privatunternehmen, sollen zu den von Xi Jinping vorgegebenen Modernisierungszielen beitragen. Der unter Xi eingeschlagene Kurs und seine Agenda sollen fortgeführt werden und er ist bereit, dafür auch einen wirtschaftlichen Preis zu zahlen.

 

Christina Sadeler ist Senior Analyst bei MERICS. Zu ihren Schwerpunkten gehören u. a. die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft sowie öffentliche Debatten in China.