Studie
Aus Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz lernen
Verantwortliche der AfD mögen im heutigen Tag historische Bedeutung sehen. Im thüringischen Landkreis Sonneberg wird der neue Landrat Robert Sesselmann (AfD) vereidigt. In Sachsen-Anhalt kommt es in der Stadt Raguhn-Jeßnitz fast gleichzeitig zur Vereidigung und Ernennung des AfD-Politikers Hannes Loth als Bürgermeister durch den Stadtrat.
Solche kommunalpolitischen Erfolge der AfD waren durchaus absehbar, wenn man sich aktuelle Umfragen auf Bundes- und Landesebene ansieht. Im Bund steht die Partei bei rund 20 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern sehen Umfragen die AfD bei fast 30 Prozent und in Thüringen sogar darüber. Erschreckende Werte für eine Partei, die mit rechtspopulistischen und teilweise rechtsextremen Forderungen vor die Öffentlichkeit tritt.
Warum ist die AfD so stark?
Warum findet die AfD solch großen Zuspruch? Am Programm der AfD liegt es sicherlich nicht. In den allermeisten Politikfeldern gibt es schlichtweg keine Inhalte. Es fehlen tragfähige Konzepte zur Renten-, Gesundheits- und Finanzpolitik. Und auch bei ihrem Kernthema der Migrationspolitik verfolgt die Partei ein äußerst kurzsichtiges Konzept, das unser Land in keinerlei Weise auf den sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangel vorbereitet. Und eine aktuelle Studie des DIW sieht sogar ein „AfD-Paradox“: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wählerinnen und Wähler.
Es gibt nicht „die eine“ Erklärung für die Stärke der AfD. Viel wahrscheinlicher ist eine Mischung verschiedener Gründe, die aber eines gemeinsam haben – das Spiel mit der Angst: Angst vor dem „Abgehängtsein“, Angst vor dem „Abgehängtwerden“, Angst vor der Globalisierung, Verlustängste, etc. Es ist dieses Spiel mit der Angst, die die AfD inzwischen perfektioniert hat.
Natürlich müssen auf Bundes- und Landesebene Wege gefunden werden, um diese Ängste zu nehmen. Doch die wirksamste Ebene wird in der öffentlichen Debatte meistens übersehen: die Kommunen – die rund 11.000 Städte und Gemeinden in Deutschland. Dies sind die Orte, in denen sich das tägliche Leben der Menschen abspielt. Dies sind die Orte, in denen die Menschen Rückhalt finden können, wenn sich die Welt um sie herum verändert.
Ergebnisse der Studie „Stärkung kommunaler Identität“
Im Jahr 2019 hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit eine Studie zum Thema „Stärkung kommunaler Identität“ veröffentlicht. Diese Studie gewinnt mit den steigenden Umfragewerten der AfD und deren kommunalpolitischen Erfolgen wieder an Bedeutung. Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig und statistisch signifikant: Die Verbundenheit mit der eigenen Kommune ist ein entscheidender Faktor für Engagement sowie für politische Stabilität vor Ort. Verlieren die Bürgerinnen und Bürger jedoch diese emotionale Bindung, ist dies Nährboden für populistische Parteien, und es droht ein erheblicher Rückgang von dringend benötigtem sozialem Engagement.
Die Studienergebnisse basieren auf einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung zwischen 1981 und 2017. Die Befragungsergebnisse lassen erahnen, dass insbesondere die großflächigen Gebietsreformen in Ostdeutschland zu einem signifikanten Verlust kommunaler Verbundenheit geführt haben und höchstwahrscheinlich eine Teilschuld an der aktuellen Entwicklung tragen.
Die Forscher des ifo Dresden, die die Studie erstellt haben, zeigen in ihrer Studie auch Wege auf, wie die Verbundenheit mit der eigenen Kommune erhöht werden könnte. Demnach sollten interkommunale Kooperationen als Alternative zu Gebietsreformen bevorzugt werden. Sie ermöglichen die Nutzung von Größenvorteilen und schonen gleichzeitig die kommunale Identität. Durch die Stärkung kommunalpolitischer Verantwortung kann die demokratische Teilhabe gefördert werden. So könnten relevante kommunale Entscheidungen in die Hände von Ortschaftsräten gelegt und diese politisch aufgewertet werden. Auch neue Formen demokratischer Teilhabe können die kommunale Identität stärken, wenn sie direkte menschliche Begegnungen vor Ort fördern.
Fazit
Die Wahlergebnisse in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz zeigen, dass die AfD auf kommunaler Ebene Erfolge erzielen kann. Gleichzeitig machen die Ergebnisse deutlich, dass die kommunale Ebene im Kampf gegen die AfD eine zentrale Rolle spielt. Die Lebensrealität der Menschen spielt sich nun mal in den rund 11.000 Städten und Dörfern in Deutschland ab. Wenn die Probleme vor Ort gelöst werden, wenn die Sorgen der Menschen vor Ort auf der Agenda der politisch Handelnden stehen, dann fällt es auch der AfD deutlich schwerer, Erfolge zu erzielen – sowohl in den Kommunen, als auch auf Bundes- und Landesebene. Natürlich ist die Stärkung der kommunalen Verbundenheit kein Allheilmittel gegen die Stärke der AfD. Doch die kommunale Ebene sollte in der öffentlichen Debatte auf keinen Fall vergessen werden. Wenn es darum geht, den Menschen Ängste zu nehmen und Perspektiven aufzuzeigen, sollte man an dem Ort ansetzen, wo die Menschen ihren Alltag verbringen.