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LGBTQI+
Beleidigt, bedroht und attackiert: Homophobie und das Leben von LGBTQI+-Personen in Europa

Menschen ziehen auf der 45. Berlin Pride-Parade zum Christopher Street Day (CSD) mit einer überdimensionalen Regenbogenfahne durch die Stadt.

Menschen ziehen mit einer überdimensionalen Regenbogenfahne durch die Stadt.

© picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Die Zahlen zum internationalen Tag gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie sind alarmierend! Laut den Vereinten Nationen sind Beziehungen zwischen Personen des  gleichen Geschlechts immer noch in mehr als 77 Ländern der Welt kriminalisiert. Darüber hinaus steht in mindestens 5 Ländern Homosexualität unter Todesstrafe. Dies symbolisiert nicht nur eine weitere Verschlechterung der Lage für LGBTIQ+-Personen, sondern auch eine Abnahme der Demokratie und Menschenrechte weltweit.

Die Situation von LGBTIQ+-Personen hat sich in den letzten Jahren zwar in westeuropäischen Ländern im Vergleich zu anderen Regionen der Welt deutlich verbessert, dennoch ist die anhaltende Homophobie und Diskriminierung auch in einigen europäischen Ländern wie Russland, Georgien, Rumänien, Bulgarien, Polen und Ungarn besorgniserregend. In diesen Ländern sind Diskriminierung und gewalttätige Übergriffe gegen LGBTIQ+-Personen durch populistische und radikale Bewegungen weit verbreitet, brutal und werden oft ungestraft begangen.

Um die Homophobie weltweit zu bekämpfen, sollten sowohl rechtliche Schutzmaßnahmen als auch gesellschaftliche Aufklärung, das Erzählen von Geschichten (story telling) und psychologische Unterstützung implementiert werden. Insbesondere braucht es ein entscheidendes und koordiniertes Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden gegen Angriffe und ein starkes internationales Vorgehen im Kampf gegen Homo-, Bi,- und Transphobie.

„Ein echter Aufbruch für Vielfalt“ in Deutschland

Deutschland hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte der Gleichstellung unternommen, um das Leben von queeren Personen zu schützen. Im Januar 2022 hat die Bundesregierung das Amt des Queer-Beauftragten etabliert, um die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu verstärken. Der Bundesbeauftragte koordiniert politische Maßnahmen und arbeitet eng mit Ministerien zusammen. Er treibt die Entwicklung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zum Schutz der LGBTIQ+-Personen voran. Sven Lehmann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium und erster Queer-Beauftragter der Bundesregierung, bezeichnete die jüngsten Maßnahmen als  „einen echten Aufbruch für Vielfalt, Selbstbestimmung und gleiche Rechte von LGBTIQ+-Menschen”. Zudem hat der Bundestag am 12. April 2024 das neue Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. In Zukunft soll es dadurch möglich sein, den Vornamen und den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch Selbstauskunft beim Standesamt zu ändern, anstatt wie bisher ein Verfahren vor Gericht durchführen zu müssen, welches stigmatisierende und häufig traumatisierende medizinische Gutachten und sonstige Hürden beinhaltete. Das Gesetz ist von enormer Bedeutung für Transpersonen und non-binäre Menschen – eine Erleichterung und Stärkung des Schutzes der Grundrechte der LGBTIQ+-Menschen in Deutschland. 

Trotz dieser Fortschritte sind auch LGBTIQ+-Individuen in Deutschland Homophobie und Hasskriminalität ausgesetzt. Bei der Gleichstellung von queeren Personen ist Deutschland bloß auf dem 15. Platz und damit nur im Mittelfeld im europäischen Vergleich.  Laut eines  Berichts des Ministerium des Innern aus 2023 stellt besonders die Hasskriminalität von rechten Gruppen hierzulande eine große Herausforderung für LGBTIQ+-Menschen dar.

Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie

IDAHOT

Jeder Mensch ist einzigartig. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat sich der Freiheit verpflichtet. Freiheit heißt auch, dass jeder Mensch sein Leben selbstbestimmt gestalten kann, unabhängig von Lebensart, Religion, Alter, Geschlecht und sozialem Hintergrund. Als liberale Stiftung steht die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für individuelle Vielfalt und Entfaltung.

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Hass und Diskriminierung gegen LGBTIQ+-Personen aus rechten Kreisen kommt auch dezidiert in Form von Diffamierungskampagnen auf den sozialen Medien. Beispielsweise veröffentlichte der AfD-Politiker Maximilian Krah 2023 ein TikTok-Video, in dem er homophobe Äußerungen machte: „Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin.” Ebenfalls meinte er im Rahmen des jährlichen Pride Month, „das Lustigste, was ich beim Pride Month erlebt habe, war 2021. Da hatte die US-Botschaft in Kabul ganz stolz den Pride Month ausgerufen. Es dauerte keine drei Wochen, bis die Taliban in Kabul eingerückt sind. Ich glaube, dass das die einzig richtige Antwort auf den Pride Month gewesen ist.“

Im Gleichklang damit stehen auch rechte Parteien in Osteuropa, die in den vergangenen Jahren einen starken Anstieg an homo-, bi- und transphoben Gesetzesinitiativen verursacht haben. Ein Grund dafür liegt nicht nur im global ansteigenden Populismus, sondern er könnte im zunehmenden Einfluss Russlands durch die historischen Beziehungen vieler Staaten liegen. Bereits 2013 implementierte Russland ein Gesetz, das „Propaganda von nicht-traditionellen Lebensformen“ an Minderjährige verboten hat. Dieses führte in der Folge zu einem fast kompletten Verbot der Darstellung und Handlungen von LGBTIQ+-Personen in der Öffentlichkeit. Heutzutage werden LGBTIQ+-Personen auch oft fiktiv einer unerwünschten Organisation zur Förderung von der LGBTIQ+-Agenda zugerechnet, wodurch teils drakonische Strafen auf sexuelle Minderheiten zukommen.

2018 hat Georgien die Ehe für Paare mit dem gleichen Geschlecht als verfassungswidrig verboten. Folgend dem immer stärker werdenden russischen Einfluss im Südkaukasus, wurde zuletzt neben dem Agentengesetz mit russischer Blaupause auch ein Gesetz zur Einschränkung der Rechte sexueller Minderheiten vorgeschlagen. Dieses soll Geschlechtsumwandlungen verbieten, ebenso wie die Adoption von gleichgeschlechtlichen Eltern und Versammlungen zur Verbreitung von gleichgeschlechtlichen Familien. Zuletzt wurden auch CSD-Paraden, sowie der Aushang von Regenbogenflaggen verboten.

Doch auch in der EU kommt es in den letzten Jahren vermehrt zur Einschränkung von Rechten der LGBTIQ+-Gemeinschaft. Ungarn beschloss 2020 ein Verbot von gleichgeschlechtlicher Adoption und schaffte die Anerkennung von Trans-Personen ab. Darauf folgte 2021 ein Gesetz, das den Zugang von Minderjährigen zu Medien beschränkt, welche der „Förderung oder Darstellung der Abweichung von der [Geschlechts-]Identität, die dem Geburtsgeschlecht entspricht, der Geschlechtsumwandlung oder der Homosexualität“ dienen und die Aufklärung über das Thema an Schulen beschränkt.

Doch während in Ungarn die Akzeptanz von LGBTIQ+-Personen in der Zivilgesellschaft seit Einführung der Maßnahmen stark gestiegen ist und im Durchschnitt bei rund zwei Dritteln liegt, bleiben Polen, Bulgarien und Rumänien innerhalb der EU weiterhin Schlusslichter. Hier sind schockierenderweise immer noch rund 70 % der Bürgerinnen und Bürger  gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Hier fahren Regierungen einen starken Kurs gegen LGBTIQ+-Personen. Dieser führte zeitweise zu LGBTIQ+-freien Zonen in Polen, in denen LGBTIQ+-Personen sich und ihre Zuneigung nicht öffentlich zeigen durften. Sowohl Rumänien als auch Bulgarien wurden durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen Verletzungen des Grundrechts auf Familie verurteilt, da sie Verpartnerungen aus dem Ausland nicht anerkannten. Doch nicht nur das, durch den fehlenden Schutz sind LGBTIQ+-Personen auch machtlos gegen Angriffe und Diskriminierung von Privatpersonen. Von der Wohnungssuche bis zu teils gewalttätigen Vorkommnissen fehlt es oft jeglicher Rechtsgrundlage für ein ernsthaftes Vorgehen. Dies ist kein annehmbarer Zustand in unserer direkten Nachbarschaft. Es müssen daher dringend Lösungen gefunden werden.

Schutz der Regenbogenfarbe weltweit

Um die Homophobie zu bekämpfen, ist es wichtig, Diskriminierung, Diffamierungskampagnen und Hasskriminalität von Rechten zu erkennen und wirksame Maßnahmen umzusetzen. Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten der Community eine Stimme geben. Die Geschichten von LGBTIQ+-Personen müssen breiter verbreitet werden und auch als Teil des schulischen Unterrichts verankert werden.

Ebenso braucht es eine bessere Schulung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst und besonders Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten, um effektive Hilfe in Krisensituationen leisten zu können und  Betroffenen sensibilisiert zur Seite stehen zu können.

Es bedarf gleichzeitig eines einheitlichen europäischen Grundrechtsschutzes für LGBTIQ+-Personen, um einer Divergenz der Schutzniveaus zwischen europäischen Staaten vorzubeugen. Dazu gehört auch ein einheitlicher Rechtsrahmen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Dieser sollte auch in Beitrittsverhandlungen mitaufgenommen werden, um den Staaten der europäischen Nachbarschaft einen Anreiz zu schaffen, ihre Gesetzgebung dahingehend mit Europäischen Rechtsstaatsprinzipien in Einklang zu bringen.

Auf internationaler Ebene muss Deutschland bei Strafverschärfungen gegen die LGBTIQ+-Gemeinschaft die Entwicklungszusammenarbeit im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen vor Ort auf den Prüfstand stellen, gegebenenfalls Budgets streichen und die Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen beenden. Außerdem braucht es auf Ebene der Vereinten Nationen eine Konvention für LGBTIQ+-Rechte nach dem Vorbild der Frauenrechtskonvention.