EN

China
Chinas Einfluss auf Deutschland

Chinas Präsident Xi Jinping

Chinas Präsident Xi Jinping

© picture alliance / Xinhua News Agency | Ju Peng

Der Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar markiert einen tiefen Einschnitt für die EU und die Staaten Europas. Fragen nach dem Selbstverständnis der EU als freiwilliges Bündnis von Nationalstaaten, der eigenen Verteidigungsfähigkeit und dem Schutz durch die NATO sowie Fragen nach der Bedeutung der Werte, für die dieses Europa zu stehen meint, unterstreichen die Geflüchteten aus der Ukraine. Die Demokratien der Europäischen Union sind angreifbar und ihre Reaktionen auf Putins Krieg werden auch andernorts genauestens beobachtet. Autoritär regierte Nachbarn prophezeien bereits den Niedergang des freiheitlich-demokratischen Modells und betonen ihre Überlegenheit gegenüber den „westlichen Systemen“. Die Formen der Gewalt und des Einflusses dieser Systemrivalen sind jedoch verschieden.

Dieses Policy Paper richtet einen besonderen Blick darauf, welche Mittel China nutzt, um die Handlungsfähigkeit einzelner Staaten und damit der EU insgesamt zu schwächen. Gleichzeitig evaluiert es verschiedene Strategien, die im Umgang mit der Volksrepublik zur Anwendung kommen.

Dies ist ein Auszug aus unserer Publikation, die Sie hier in unserem Shop downloaden können.

China als größter Handelspartner Deutschlands, aber auch als Konkurrent und Rivale

Im Laufe von vier Jahrzehnten sind die engen Wirtschaftsbeziehungen zum bestimmenden Merkmal der Beziehungen zwischen Deutschland und China geworden. Seit der Öffnung Chinas in den 1980er Jahren haben deutsche Unternehmen in großem Umfang in Produktionsanlagen in China und in den Aufbau einer Marktpräsenz dort investiert, so dass Deutschland regelmäßig mehr ausländische Direktinvestitionen in China tätigt als alle EU-Mitgliedstaaten und sogar die Vereinigten Staaten. Angesichts der sich vertiefenden wirtschaftlichen Beziehungen zu China, aber der fortbestehenden politischen Differenzen, wurde das Konzept "Wandel durch Handel" zum kleinsten gemeinsamen Nenner der deutschen China-Politik während der Regierungen von Helmut Kohl (1982-1998), Gerhard Schröder (1998-2005) und (größtenteils) Angela Merkel (2005-2021). Ein zentraler Grundsatz dieser Politik ist, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit unweigerlich zu einer politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung in China führt.

Als Xi Jinping 2013 an die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) trat und die politischen und wirtschaftlichen Reformen ins Stocken gerieten, gaben die meisten - aber nicht alle - hochrangigen Regierungsvertreter die Vorstellung auf, dass Handel zu Veränderungen führt. Nichtsdestotrotz hat die Regierung Merkel bis Ende der 2010er Jahre die Beziehungen zu China weiterhin vorwiegend unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher und industrieller Interessen gestaltet. Diese Haltung wurde nicht zuletzt von der Tatsache bestimmt, dass China seit 2015 Deutschlands größter Handelspartner ist, mit einem Gesamthandelsvolumen von 245 Mrd. EUR im Jahr 2021, und dass der chinesische Markt für einige deutsche Schlüsselindustrien wie die Automobilindustrie oder die chemische Industrie von entscheidender Bedeutung ist.

Chinas innenpolitische Verhärtung und seine selbstbewusstere geopolitische und geoökonomische Politik unter Xi Jinping haben Deutschland veranlasst, seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu China neu zu bewerten. Chinas ehrgeizige Outbound-Industriepolitik ab Mitte der 2010er Jahre war der Ausgangspunkt für die Neubewertung der Beziehungen zu China durch Deutschland. Aufsehenerregende Fälle chinesischer ausländischer Direktinvestitionen, wie die Übernahme des deutschen Robotikunternehmens KUKA, riefen in der Öffentlichkeit die Sorge hervor, dass deutsche innovative Technologien, Wissen und Talente an chinesische Wettbewerber verloren gehen könnten. Als China begann, seine infrastrukturelle Außenwirtschaftspolitik, die "Belt and Road"-Initiative, umzusetzen, wurden deutsche Unternehmen und politische Entscheidungsträger auch zunehmend besorgt über den (unlauteren) chinesischen Wettbewerb auf Drittmärkten und den schwindenden weltpolitischen Einfluss des Westens.

Der mächtige deutsche Industrieverband Bund der Industrie (BDI) gab im Januar 2019 den Anstoß zum Umdenken in der deutschen China-Politik, als er vorschlug, dass Deutschland China nicht mehr in erster Linie als Partner, sondern auch als Konkurrenten und sogar als Systemrivalen sehen sollte. Da dieser dreigliedrige Ansatz im März 2019 auch zum wichtigsten Baustein der neuen Chinapolitik der EU wurde, wurde er auch zum wichtigsten Rahmen für die deutsche Chinapolitik. China als Konkurrenten und Rivalen zu sehen, entspricht der kritischeren Haltung gegenüber China, die die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Jahren eingenommen hat. Insbesondere Pekings Eingriff in die Autonomie Hongkongs und die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang haben zu einer erheblichen Verschlechterung der öffentlichen Wahrnehmung Chinas in Deutschland beigetragen. Auch der Mangel an persönlicher Schutzausrüstung und wichtigen medizinischen Gütern während der Covid-19-Pandemie führte in Deutschland zu einer öffentlichen Debatte über Lieferketten und wirtschaftliche Abhängigkeiten von China. Die kritischere Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber China dürfte durch Chinas strategische Partnerschaft mit Russland und seine Unterstützung des russischen Krieges in der Ukraine noch verstärkt werden.

Ein Bild des chinesischen Einflusses in Deutschland

Während Deutschland von "offiziellen Episoden" chinesischer wirtschaftlicher Nötigung weitgehend verschont geblieben ist, hat die Androhung chinesischer Wirtschaftsstrafen das Verhalten deutscher Unternehmen seit einiger Zeit geprägt. Peking sendete in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre ein abschreckendes Signal, als deutsche Unternehmen mit langjähriger Geschäftserfahrung in China, wie Audi (2017), Daimler (2018) oder Leica (2019), zur Zielscheibe von erheblichem politischem und wirtschaftlichem Druck durch China wurden, weil sie in Bezug auf für die KPCh sensible Themen wie Taiwan, Tibet oder die Tiananmen-Proteste Fehltritte in der Kommunikation begangen hatten. Aus Angst vor ähnlichen negativen Auswirkungen, die ihr China-Geschäft beeinträchtigen könnten, neigen deutsche Unternehmen dazu, in Bezug auf die KPCh und chinesische Kerninteressen vorsichtiger zu sein. Da sie durchschnittlich 16 Prozent ihres Jahresumsatzes in China erwirtschaften, haben die DAX-Unternehmen die deutsche Regierung sogar davor gewarnt, öffentliche Kritik an Hongkong oder Xinjiang zu äußern.

Vor dem Hintergrund schwierigerer politischer Beziehungen hat China schrittweise die Androhung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland verschärft. Ende 2019 drohte Chinas Botschafter in Deutschland, Wu Ken, mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die deutsche Automobilindustrie, falls Deutschland sich gegen eine Bewerbung von Huawei für den Aufbau der 5G-Infrastruktur des Landes entscheiden sollte. Im März 2021 organisierte Peking einen gezielten und wirkungsvollen Boykott europäischer Unternehmen durch chinesische Verbraucher, nachdem die EU vier chinesische Beamte wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang sanktioniert hatte. Der Boykott betraf auch das deutsche multinationale Unternehmen Adidas. Adidas-Produkte verschwanden von den großen chinesischen E-Commerce-Apps, und das Unternehmen musste erhebliche Umsatzeinbußen in China hinnehmen.

Ende 2021 verschärfte China den wirtschaftlichen Druck auf deutsche Unternehmen in beispielloser Weise, indem es nicht nur deren China-Geschäfte, sondern auch deren Geschäftsbeziehungen zu Drittmärkten ins Visier nahm. Um das EU-Mitglied Litauen dafür zu bestrafen, dass es Taiwan erlaubt hat, seine Vertretung in Vilnius auszubauen, hat China nicht nur den Handel mit Litauen eingeschränkt. Mehr als ein Dutzend deutscher Unternehmen, vor allem aus der Automobil- und Landwirtschaftsbranche, darunter große Unternehmen wie Continental, wurden bedroht, dass sie den Zugang zum chinesischen Markt verlieren würden, wenn sie weiterhin mit litauischen Firmen Handel treiben. Die Erpressung in Bezug auf Litauen stellt einen besorgniserregenden Präzedenzfall dar und scheint eine seit langem gehegte Befürchtung deutscher Unternehmen zu bestätigen, dass Peking in Zukunft Wege finden könnte, deutsche Unternehmen zu zwingen, ihre Geschäfte mit Unternehmen in anderen Ländern, deren Beziehungen zu China sich verschlechtern, einzustellen.

Der zunehmende wirtschaftliche Druck Chinas auf deutsche Unternehmen ist Teil eines umfassenderen Bildes der chinesischen politischen Einflussnahme in Deutschland, das in den letzten Jahren entstanden ist. Wie andere EU-Mitgliedstaaten war auch Deutschland dem gesamten Spektrum der etablierten chinesischen politischen Einflussnahme in Europa ausgesetzt. Dazu gehören die Vereinnahmung von Eliten aus Politik und Wirtschaft, einschließlich ehemaliger deutscher Minister, die Beeinflussung der Medienberichterstattung über China und der öffentlichen Meinung durch bezahlte Inhalte in den Mainstream-Medien, Versuche, deutsche Journalisten auf die Gehaltsliste der chinesischen Botschaft zu setzen, und der Druck auf Vertreter der Zivilgesellschaft und Wissenschaftler, auch durch die Verhängung von Sanktionen. In letzter Zeit wurde auch die politische Einflussnahme Chinas auf subnationaler Ebene stärker in den Blickpunkt gerückt, ebenso wie Chinas wachsende Rolle bei der Verbreitung von Desinformationen über soziale Medien.