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Liberalismus
Clara von Simson: Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft im Nationalsozialismus

clara von simson

Vor achtzig Jahren, im Sommer 1933, wurde die verheißungsvolle wissenschaftliche Karriere der Physikerin Clara von Simson jäh beendet: „Unerwünscht“ sei sie, ließ der Rektor der Berliner Universität die mit ihrer Habilitation befasste Dozentin der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute: Humboldt-Universität) wissen. Mit Ende der Vorlesungszeit im Juli musste sie die Räumlichkeiten verlassen. Zunächst blieb ihr für den weiteren wissenschaftlichen Austausch zumindest noch das Physikalische Colloquium bei ihrem langjährigen Mentor Max von Laue. Doch auch diese Möglichkeit untersagte ihr der Rektor kurz danach mit dem Hinweis, dass „die Studenten gegen die Teilnahme von Nicht-Ariern am Colloquium protestieren“ würden.

Damit brach ein wissenschaftlicher Lebensweg ab, der für Clara von Simson 1923 – heute vor 100 Jahren – mit der Promotion begonnen hatte: Sie war eine der aufstrebenden, aber nicht zahlreichen Frauen, die sich in den 1920er Jahren den Weg in die Naturwissenschaften gebahnt hatten – allen Schwierigkeiten, Stellenmangel und Männerbündelei zum Trotz. Im Abitur fasziniert von der Mathematik hatte sie ein breites naturwissenschaftliches Studium eingeschlagen und mit einer Promotion in der physikalischen Chemie abgeschlossen: „Denn das faszinierte mich von Anfang an, hier sah ich Möglichkeiten.“ Zu ihren akademischen Lehrern gehörten die Nobelpreisträger Albert Einstein, Walter Nernst, Max Planck und Max von Laue; ihr Doktorvater war Franz Simon, der – wie viele andere –  mit Beginn der NS-Herrschaft in die Emigration nach England gezwungen wurde. 

„Nürnberger Gesetze“ verschärften die Situation von Wissenschaftlerinnen

Dieser Bruch war umso tragischer, denn die Berliner Universität war in der Weimarer Republik eine der Pionierhochschulen gewesen, an denen Frauen die wissenschaftliche Karriere möglich wurde. Ein Viertel der ungefähr 60 Habilitationen von Frauen in Deutschland erfolgte in Berlin. Als erste wurde 1919 Paula Hertwig, später liberale Abgeordnete im Preußischen Parlament, in Zoologie habilitiert. Allerdings blieb im wissenschaftlichen Bereich der Anteil von Frauen absolut niedrig, in Berlin waren es 1933 knapp zwei Prozent der Beschäftigten. Und von diesen wenigen Frauen wiederum wurde im Nationalsozialismus mehr als die Hälfte entlassen, relegiert oder flüchtete vor drohender Verfolgung.  

Den neuen, nationalsozialistischen Machthabern galten Personen mit jüdischen Vorfahren als „rassisch minderwertig“. Jüdische sowie missliebige regimekritische Beschäftigte wurden verdrängt, die Freiheit von Lehre, Forschung und Wissenschaft den ideologischen Vorgaben der NS-Bewegung geopfert. Die sogenannten „Nürnberger Gesetze“ 1935 verschärften die Situation von Wissenschaftlerinnen weiter: Bei drei Vierteln der Entlassenen wurde dies mit der jüdischen Herkunft begründet. Es traf aber auch nicht–jüdische Frauen, denn die Nationalsozialisten lehnten ein Frauenstudium ebenso ab wie weibliche Wissenschaftskarrieren. Nur wenige Frauen verblieben, weil beispielsweise die Themen ihrer Forschung – etwa zur deutschen Volkskunde oder zum Ostraum – passfähig schienen oder potenzielle Anwendungsmöglichkeiten boten. Erst mit Beginn des Krieges änderte sich dies aufgrund des (männlichen) Nachwuchsmangels.

Einstellung jeglicher Forschungstätigkeiten

Clara von Simson musste nun jegliche Forschungstätigkeit aufgeben – das Ende aller beruflichen Zukunftspläne. Sie war in dreifacher Hinsicht „unerwünscht“: aufgrund des jüdischen Familienhintergrunds, aus politischen Gründen als liberale Demokratin und ganz generell als Wissenschaftlerin. Ihr blieb einzig noch der seltene Besuch einiger Fachtagungen im Ausland sowie der Kontakt zu ihrem akademischen Förderer Max von Laue. „Meine Beziehungen zur Wissenschaft sind“, resümierte sie wehmütig, „überhaupt zur Zeit so, wie ich mir die zu einer entschwundenen Geliebten vorstelle, die einem noch manchmal im Traum erscheint.“

Die nächsten Jahre hielt sich Clara von Simson zunächst als Übersetzerin für wissenschaftliche Veröffentlichungen über Wasser. Während dieser Zeit gehörte sie zum kleinen Kreis Aufrechter um Max von Laue, die gefährdeten Kollegen und politisch Verfolgten zu helfen suchten. In den letzten Kriegsjahren leitete sie das Berliner Patentanwaltsbüro von Freda Wuesthoff, mit der sie nach 1945 auch in der Frauenbewegung tätig war.

Nun – nach dem Ende der NS-Herrschaft – kämpfte sich die außergewöhnlich begabte und tatkräftige Clara von Simson noch einmal in die Wissenschaft zurück: Die inzwischen 48-jährige erhielt eine Stelle als Dozentin für Thermodynamik und unterrichtete an der Technischen Universität Berlin. Mit beeindruckender Hartnäckigkeit setzte sie ihr Vorhaben um: Nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt in Oxford habilitierte sie sich 1951 als erste Frau in Physik an der TU Berlin – eine Leistung, die ihr viel Aufmerksamkeit und Bewunderung, jedoch keine feste Anstellung einbrachte. Die Jahre der gewaltsamen Aussperrung von der „scientific community“ ließen sich nur schwer aufholen.

Förderung von Frauen

Die nunmehrige Privatdozentin engagierte sich umso mehr im Wiederaufbau und Wissenschaftsmanagement der Hochschule; sie war die treibende Kraft für den Zusammenschluss des „Mittelbaus“ und wurde als dessen Vertreterin in den Akademischen Senat gewählt. Hier förderte sie die Gründung der Humanistischen Fakultät, um „jungen Menschen die Einheit des technischen und geisteswissenschaftlichen Denkens zu vermitteln“.

Mittlerweile hatte Clara von Simson weitere Leidenschaften erfolgreich vorangetrieben: Noch während ihrer erneuten wissenschaftlichen Arbeit engagierte sie sich politisch. Sie gehörte zum intellektuellen Freundeskreis um Freda Wuesthoff, Gertrud Bäumer und Elly Heuss-Knapp, beteiligte sich in der Frauen- und Friedensbewegung und trat in die FDP (damals noch LDP) ein. 1950 führte sie dies in den Vorstand der Berliner Liberalen und ein Jahr später in die Kommunalpolitik als Abgeordnete. 1963 wurde sie für zwei Legislaturperioden ins Berliner Parlament gewählt, in dem sie für die FDP die Bildungs- und Wissenschaftspolitik verantwortete.

Ihr besonderes Augenmerk galt der Förderung von Frauen, insbesondere in der beruflichen Bildung, für die sie elf Jahre als Direktorin des liberalen Lette-Vereins wirkte. Sie engagierte sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, förderte die Modernisierung von Ausbildungsgängen und bestärkte Frauen in der Wahl von naturwissenschaftlichen und technischen Berufen. Und noch weiteres kam hinzu: Ihre wissenschaftliche Expertise, ihr Erfolg als Naturwissenschaftlerin und ihr pädagogischer wie bildungspolitischer Erfahrungsschatz bewirkten 1958 in der soeben errichteten Friedrich-Naumann-Stiftung ihre Berufung zum Gründungsmitglied des Kuratoriums. Diesem gehörte sie zwanzig Jahre an und wurde als – wie es hieß – „starke Frau“ zur Vorsitzenden gewählt.

So setzte Clara von Simson am Ende auf mehreren Feldern – wissenschaftlich, politisch und in der beruflichen Bildung – Meilenseine. Ihr beeindruckendes Wirken erzählt jetzt eine Public-History-Broschüre des Archivs des Liberalismus.

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Clara von Simson hatte in ihrem beruflichen wie auch politischen Wirken eine Leitbildfunktion inne, die bis heute uneingeschränkt nachwirkt: Engagiert und durchsetzungsstark war sie als Wissenschaftlerin an der Universität ebenso wie als Managerin in der beruflichen Bildung sowie als Politikerin. Von 1958 bis 1977 gehörte sie dem Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung an – davon die letzten neun Jahre als Vorsitzende. Überdies war sie eine engagierte Verfechterin eines eigenständigen liberalen Kurses der Stiftung.

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Ob es um die Erwerbstätigkeit der Frau, die Verbesserung der Frauenbildung oder den Einsatz für die Europäische Bewegung geht – diese Frauen waren echte Rollenvorbilder und Heldinnen der Geschichte: Clara von Simson, Helene Lange, Liselotte Funcke und Elly Heuss-Knapp. In unterschiedlichen Funktionen setzten sie sich für das Recht der Frauen ein und ebneten damit den Weg für die neuen Generationen. Nur wer in die Vergangenheit zurückblickt, wird die Zukunft verstehen. Ein Grund mehr, diese Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags näher zu beleuchten.

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