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Coronavirus
Coronavirus: Warnstufe Rot in Südkorea

Die Sorge um Covid-19 ist groß - unser Korea-Experte Dr. Christian Taaks ordnet die Ereignisse vor Ort ein
Südkorea
© picture alliance/ZUMA Press

In Südkorea ist die Sorge um das Coronavirus groß – entsprechend sind die Gegenmaßnahmen. Die Regierung hat erklärt: Diese Woche ist bei der Eindämmung entscheidend. Innerhalb von wenigen Tagen sind die Infektionszahlen von 31 auf mehr als 1.260 und die Zahl der Todesopfer von 1 auf 12 gestiegen. Nur eines breitet sich noch schneller aus als das Virus: die Angst davor.

Die Ängste und Befürchtungen der Menschen sind so deutlich wie die Entschlossenheit von Regierung und Verwaltung. Am vergangenen Wochenende löste Präsident Moon Jae-in die Warnstufe Rot aus – die höchste gegen ansteckende Krankheiten. Damit hat die Regierung nun das Recht, ohne weitere Konsultationen auch drastische Maßnahmen auszulösen: Sie kann beispielsweise Versammlungen verbieten, den Öffentlichen Personennahverkehr einstellen und umfangreiche Quarantäne-Maßnahmen erlassen. 

Die aus dem Präsidentenerlass erwachsenden Möglichkeiten zur Einschränkung des öffentlichen Lebens werden bislang dosiert genutzt: U-Bahnen und Busse fahren – wenn auch teilweise in niedrigerer Frequenz, da die Zahl der Fahrgäste spürbar zurückgegangen ist. Wie in fast allen öffentlichen Gebäuden werden auch in U-Bahnen und Bussen Handdesinfektionsmittel bereitgehalten. In vielen Bussen gab es zunächst auch noch Atemschutzmasken, die aber scheinbar mittlerweile ausgegangen sind. In Drogerien und Supermärkten finden sie reißenden Absatz, so dass sie häufig ausverkauft sind. Bei knappem Angebot steigen die Preise. Clevere Internet-Anbieter nutzen die Gunst der Stunde. Unterdessen hat die Regierung mit dem Verweis auf den Bedarf im eigenen Land den Export der Schutzmasken untersagt. 

Schulen und Universitäten geschlossen

Noch bevor die Warnstufe „Rot“ ausgerufen worden war, hatten viele Universitäten beschlossen, das Sommersemester zwei bis vier Wochen später zu beginnen und die üblichen Feierlichkeiten zum Semesterauftakt abzusagen. Mittlerweile ist auch für sämtliche Schulen eine Verlängerung der Winterferien bis 8. März beschlossen worden. Für einige Familien kann das zum Problem werden, da es wegen der Virenängste ja auch Vorbehalte gibt, die Wohnungen zu verlassen. Den Online-Spielwarenversendern beschert diese Konstellation Rekordumsätze. Überhaupt haben sämtliche Lieferdienste fast aller Branchen Hochkonjunktur.

Die südkoreanischen Universitäten sehen sich mit einem ganz spezifischen Problem konfrontiert: Ungefähr 70.000 Studierende aus der Volksrepublik China sind hier eingeschrieben und sollten dieser Tage eigentlich das neue Semester beginnen. Ein großer Teil von Ihnen hat die vorlesungsfreie Zeit in der Heimat verbracht, denn mit dem Mondneujahrsfest wurde jüngst das größte Familienfest des Jahres gefeiert. Ihre anstehende Rückkehr löst in den Universitäten und den Verwaltungen Südkoreas Nervosität aus. Zum Ende der vergangenen Woche gab es eine Krisensitzung, an der u.a. Bildungsministerin Yoo Eun-hae und Seouls Oberbürgermeister Park Won-soon teilnahmen. Es wurde beschlossen, dass sich aus China zurückkehrende Studierende für 14 Tage in Selbstquarantäne begeben sollen. Jedem ist klar, dass ein Universitätscampus günstige Bedingungen für eine Ausbreitung des Virus bildet und dies umso mehr auch für Studentenwohnheime gilt. Da die Kapazitäten an den Universitäten nicht für eine Selbstquarantäne eines solchen Ausmaßes ausreichen, hat die Stadt Seoul fünf Gebäude zur Verfügung gestellt. Mehr als 60% der Gaststudenten aus China sind in Seoul. Nach deren Ankunft erfolgt der Transfer vom Flughafen in die Unterkünfte mit speziellen Shuttle-Bussen. Die chinesischen Studierenden müssen sich eine App auf ihr Smartphone laden, die gewährleisten soll, dass sie nicht gegen die speziellen Aufenthaltsbedingungen verstoßen. Zweimal täglich telefonieren Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit den Chinesen, um die neuesten Informationen zu deren Aktivitäten und Gesundheitszustand zu erhalten. 

Südkorea Handlungsanweisung
Handlungsanweisungen zum Schutz vor Ansteckung in drei Sprachen: koreanisch, chinesisch, englisch © Friedrich Naumann Foundation South Korea 

Gegenseitige Aussperrung

Es gab und gibt Forderungen, die Rückkehr der chinesischen Studierenden bis zur vollständigen Überwindung der Corona-Krise zu verschieben, was de facto einem Einreisestopp für Bürger eines Landes gleichkäme, mit dem Korea eigentlich möglichst gute Beziehungen pflegen möchte. Konservative Zeitungen haben sogar ein Einreiseverbot für sämtliche Reisende aus China gefordert. Während solcherlei Szenarien diskutiert werden, ist die Empörung über die Zurückweisung koreanischer Reisender durch andere Länder groß. Nachdem bei aus Israel zurückkehrenden Pilgerreisenden Infektionen festgestellt worden waren, hat Israel als erstes Land einen generellen Einreisestopp für Südkoreaner verhängt. Die Touristen wurden nach Korea zurückgeflogen. Auch Mauritius hat vorsorglich einen solchen Einreisetopp für Südkoreaner erlassen. Viele Länder - z.B. Großbritannien, Brunei, Turkmenistan, Kasachstan, Äthiopien und Uganda - haben die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für Reisende aus Südkorea verschärft. Andere Länder wie die Bundesrepublik Deutschland oder die USA haben Reisewarnungen für Südkoreas besonders vom Virus betroffene Regionen Daegu und Cheongdo herausgegeben, in denen die Verschiebung von Reisen anheimgestellt wird, wenn diese nicht unbedingt nötig sind.

Liebe Deinen Nächsten, meide Deinen Nächsten: Generalverdacht, Testreihen und Schließungen

Der explosionsartige Anstieg der Infektionszahlen hat zu bedeutenden Teilen seinen Ursprung in einem Gottesdienst der christlichen Shinjeonji-Sekte, der ca. 212.000 Menschen angehören – welche nun alle auf das Virus getestet werden. Ihren Mittelpunkt hat die Sekte in der Stadt Daegu, ca. 300 Kilometer südlich von Seoul. Diskussionen, ob der kollektive Zwangstest eine bestimmte religiöse Gruppe in unzulässiger Weise unter Generalverdacht stellt oder pauschal vorverurteilt, gibt es nicht. Ähnlich wie in manchen Regionen Italiens zieht man rasches Handeln einer differenzierten Diskussion vor. Tatsächlich hat sich beim Ausbruch der jüngsten Infektionswelle gezeigt, dass zwei Cluster festzustellen waren, in denen es die meisten Neuerkrankungen gab: Außer der Stadt Daegu war auch die Provinz Cheongdo auffällig geworden. Für eine erfolgreiche Eindämmung scheint es entscheidend zu sein, die Infektionswege und Bewegungsprofile von Virenträgern nachzuvollziehen. Somit erfreute sich auch eine Gottesdienstbesucherin, die am selben Tag von Daegu nach Seoul zurückgereist war, in der Hauptstadt besonderer Aufmerksamkeit, nachdem ihre Infektion diagnostiziert worden war. 

Mittlerweile werden die meisten Zusammenkünfte abgesagt oder zumindest verschoben: Gottesdienste, Vorträge, Konferenzen, Konzerte und vieles mehr. Zahlreiche Orte, an denen viele Menschen verkehren, haben ihre Pforten auf unbestimmte Zeit geschlossen. Sämtliche dem Kulturministerium unterstehenden Einrichtungen wie z.B. die zahlreichen Museen, die Nationalbibliothek oder Paläste haben landesweit geschlossen. Viel Firmen lassen ihre besorgten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zuhause arbeiten, wenn sie dies wünschen - auch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Die Angst vor Ansteckung wirkt sich auch sichtbar auf das soziale Leben aus. So bleiben Restaurants häufig geschlossen oder haben mit einem massiven Besucherrückgang zu kämpfen. Die für Ende März in der zweitgrößten koreanischen Stadt Busan vorgesehenen Tischtennisweltmeisterschaften sind abgesagt. Der Start der neuen Fußballsaison in der Profiliga L-League ist ebenfalls auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Basketball-Profiliga KBL hat beschlossen, die Saison zu verkürzen und verbleibende Spiele ohne Zuschauer auszutragen. 

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Krisenmanagement in Vorwahlkampfzeiten

Der Wahlkampf für Koreas Parlamentswahlen am 15. April hat begonnen, doch findet er nun nicht auf der Straße, sondern hauptsächlich in den Sozialen Medien statt. Der Umgang der Regierung mit der Bedrohung durch das Corona-Virus und der Erfolg bei seiner Eindämmung dürften den Ausgang der Wahl stark beeinflussen, wahrscheinlich sogar entscheiden. Ein sichtbarer Erfolg würde der regierenden Demokratischen Partei des Präsidenten, die zuletzt in der Wählergunst deutlich zurückgefallen war, nutzen. Solange Covid-19 das alles beherrschende Thema ist, kann ein Wahlkampf im klassischen Sinne nicht stattfinden. 

Doch es gibt natürlich Kräfte, die versuchen, das Thema für einen politischen Wechsel zu nutzen. Dafür werden auch die Ängste der Menschen instrumentalisiert. So sieht sich der Präsident mit Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert. Vorgeworfen wird ihm ein unzureichendes Krisenmanagement. Nach einem relativ schleppenden Auftakt sind mittlerweile mehr als 800.000 Unterschriften für ein Amtsenthebungsverfahren gesammelt worden – drei Mal mehr als nötig, um das Parlament verpflichtend damit zu befassen. 

Der amtierende Präsident und seine Partei sind in den letzten Jahren immer wieder massiv wegen ihrer Wirtschaftspolitik und dürftiger Wachstumsraten angegriffen worden. Somit sind auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise durchaus ein Faktor für den Wahlkampf, unabhängig davon, ob die Regierung dafür etwas kann oder nicht. Dass diese gravierend sein werden, bezweifelt niemand. Die zahlreichen Kritiker der Wirtschaftspolitik des Präsidenten und seiner Partei werden daraus zusätzliche argumentative Munition beziehen. 

Mittlerweile gibt es auch Forderungen nach einer Verschiebung der Wahlen. Denn es wird möglicherweise nicht nur der Wahlkampf beeinträchtigt. Sollte die Bedrohung durch das Virus bis Mitte April anhalten, muss eine sehr niedrigere Wahlbeteiligung befürchtet werden.

Die Eigentümlichkeit der Stimmung hierzulande, äußert sich zum Beispiel auch darin, dass die angesehene englischsprachige Tageszeitung „Korea Times“ am Montag ihre Leser über die Sozialen Medien zum Gebet für Patienten, Pfleger und Ärzte aufforderte – in einem Land, in dem Religiosität sich auf dem Rückzug befindet. 

 

Dr. Christian Taaks leitet das Büro der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit Korea, mit Sitz in Seoul