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Nordkorea
Zweckbündnis gegen den Westen

Kim und Putin
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alexander Zemlianichenko

Der russische Präsident Wladimir Putin besucht Nordkorea. Lange Zeit interessierte sich Russland kaum für den isolierten Paria-Staat in Ostasien. Nun wird Machthaber Kim Jong Un zum wichtigen Partner, schreibt Frederic Spohr in einem Gastbeitrag für Focus Online.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un empfängt nicht viele ausländische Gäste. Nun ist Russlands Präsident Wladimir Putin mit seiner Entourage in Nordkorea gelandet. Er folgt damit der Einladung, die Kim während seines Staatsbesuch in Russland im vergangenen Jahr machte.

Putin und Kim: Der Ukraine-Krieg hat die Situation verändert

Putin zeigte lange Zeit wenig Interesse an Nordkorea. Nur einmal besuchte er bisher Pjöngjang, und das ist schon 24 Jahre her. Wirtschaftlich kooperieren die Staaten kaum. Am interessantesten für die russische Wirtschaft sind nordkoreanischen Arbeiter, die auf russischen Baustellen und in Fabriken schuften – und einen Großteil ihres Lohnes an Kims Regime abgeben müssen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Situation verändert. Putin schmiedet eine gemeinsame Front gegen den Westen. „Wir werden alternative Handels- und gegenseitige Abwicklungsmechanismen entwickeln, die nicht vom Westen kontrolliert werden“, schreibt Putin in einem offenen Brief, der kurz vor seinem Besuch auf der Website des Kremls und dem koreanischen Staatsmedium Rodong Sinmun veröffentlicht wurde.

Nordkorea besitzt etwas, das für Russland von großem Interesse ist: Artilleriegranaten und Raketen. Laut südkoreanischem Geheimdienst hat Nordkorea rund 3,5 Millionen Granaten nach Russland geliefert. Sollte diese Zahl zutreffen, wären die Lieferungen ein wesentlicher Beitrag zu Putins Kriegsmaschinerie. Das wäre als eine gesamte Jahresproduktion in Russland. Die Nato schätzt, dass Russland rund drei Millionen Artilleriegranaten pro Jahr herstellen kann.

Zudem schickt Kim Raketen. Anhand von Trümmerteilen nach einem Anschlag in Kharkiv identifizierten Experten der Vereinten Nationen eine koreanische Hwasong-11. Diese ballistische Kurzstreckenrakete kann einen fast 500 Kilogramm schweren Sprengkopf bis zu 200 Kilometer weit feuern.

Die Anreize für Nordkorea, Putin zu beliefern, sind erheblich

Die genaue Anzahl und Art der von Nordkorea gelieferten Waffen ist kaum zu verifizieren. Die Schätzungen basieren vor allem auf Satellitenbildern von Bahnhöfen, Munitionslagern und Schiffen.

Allerdings sind die Anreize für Nordkorea, Putin zu beliefern, erheblich. Sanktionen, Planwirtschaft und strenge Covid-Präventionsmaßnahmen haben Nordkoreas Wirtschaft ruiniert. Im vergangenen Jahr war der Export von Echthaarperücken und Wimpern die wichtigste legale Einnahmequelle. Waffenexporte sind wesentlich lukrativer. Nebenbei ermöglicht die neue Partnerschaft mit Russland, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. 90 Prozent seines Handels wickelt Nordkorea mit der Volksrepublik ab.

Auch technologisch wollen Russland und Nordkorea enger zusammenarbeiten. Bei ihrem jüngsten Treffen in Russland vereinbarten Putin und Kim, in der Weltraumtechnik zusammenzuarbeiten. Unterstützung benötigt Nordkorea derzeit unter anderem für den Start eines weiteren Spionagesatelliten. Zwei der letzten drei nordkoreanischen Raketenstarts scheiterten. Vermutlich hatte Russland an dem erfolgreichen Start, und damit Nordkoreas ersten Spionagesatelliten überhaupt, bereits einen Anteil.

Möglicherweise bereiten Putin und Kim eine Überraschungsaktion vor

2017 hatte Russland im Sicherheitsrat Sanktionen gegen Nordkorea noch zugestimmt. An solche Aktionen gegen den neuen Partner ist nun nicht mehr zu denken. Im Gegenteil: Dieses Jahr verhinderte Russland im Sicherheitsrat die Verlängerung des Mandats des sogenannten Panel of Experts. Das Gremium untersuchte Verstöße Nordkoreas gegen die UN-Sanktionen – und wurde Russland lästig, als es selbst in den illegalen Waffenhandel mit Nordkorea einstieg.

Beide Staaten versuchen, Spuren des Waffenhandels zu verwischen. Gleichzeitig wollen sie dem Westen ihre neue Freundschaft auch zeigen und andeuten, dass eine regelbasierte Weltordnung für sie nicht mehr zählt. Im Herbst besuchte Russlands damaliger Verteidigungsminister Sergei Schoigu eine Waffenausstellung der Nordkoreaner und ließ sich nordkoreanische Raketen zeigen.

Ähnliche Bilder könnten die Staatsmedien wieder verbreiten, wenn Putin nach Pjöngjang kommt. Beobachter spekulieren zudem über eine Überarbeitung des russisch-nordkoreanischen Freundschaftsvertrages von 2000. So könnte die neue Partnerschaft auch formal besiegelt werden.

Möglicherweise bereiten Putin und Kim sogar eine Überraschungsaktion vor. Unter Berufung auf amerikanische Regierungsmitarbeiter berichtete der TV-Sender NBC im Mai, die Biden-Administration gehe von einer gewaltigen Provokation Nordkoreas auf der Halbinsel noch vor der US-Wahl aus – auch auf Wunsch von Putin.

Nordkorea war gegenüber Russland nicht immer freundlich

Russland und Nordkorea könnten von Unruhe auf der koreanischen Halbinsel profitieren. Russland, weil ein weiterer Krisenherd heiß liefe, um den sich die USA kümmern müssten. Nordkorea, weil es eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber einer neu gewählten US-Regierung erreichen könnte. Das wäre eine bekannte Vorgehensweise. Während der vergangenen Jahrzehnten hatte Nordkorea vor den US-Wahlen stets provoziert.

Fraglich ist, wie lange die neue Russland-Nordkorea Allianz hält. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren Annäherungsversuche zwischen den Staaten nie nachhaltig. Geplante Großprojekte wie eine geplante Gaspipeline nach Nordkorea oder versprochene russische Investitionen in Hafenprojekte wurden nicht umgesetzt – auch wegen den UN-Sanktionen, denen Russland zustimmte.

Nordkorea war gegenüber Russland auch nicht immer freundlich. Vergangenes Jahr wurde bekannt, dass nordkoreanische Hacker über Monate eine russische Raketenfabrik infiltriert hatten.

Fürs Erste sind solche Animositäten vergessen. Beide Machthaber werden bei ihrer Begegnung sicherlich wieder ihre anti-imperialistische Bruderschaft beschwören. Doch Tatsache ist, dass sie keine gemeinsamen Werte und Ideale teilen. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Ablehnung der westlichen Werte und aktuelle gemeinsame Interessen. Doch das Misstrauen zwischen Kim und Putin dürfte weiterhin groß sein.

*Frederic Spohr leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Seoul.

Der Text wurde aktualisiert. Eine ursprüngliche Version des Artikel erschien am 17.06.2024 auf FOCUS Online.