Myanmar
Das gebrochene Versprechen von Aung San Suu Kyi
Als die NLD ihr Wahlprogramm 2015 vorstellte, war ein Versprechen des 20-seitigen Dokuments besonders zentral: Durch eine Verfassungsreform sollte das Militär aus dem Parlament und aus Schlüsselpositionen des Kabinetts vertreiben werden.
Mit dem nun nahenden Ende der Legislaturperiode ist klar: Aung San Suu Kyi hat nicht geliefert. Ihr Versuch, die Verfassung zu reformieren, ist gescheitert. Myanmar bleibt ein weitgehend vom Militär kontrollierter Staat. Auch nach den Wahlen, die regulär im November stattfinden sollen, werden dem Militär weiterhin 25 Prozent der Sitze im Parlament garantiert. Die Streitkräfte werden auch weiterhin die Minister für Verteidigung, Grenzschutz und Innere Sicherheit ernennen.
Einige internationale Beobachter hatten gehofft, dass das Schweigen Aung San Suu Kyis zu den Verbrechen gegen die Rohingya einem Hintergedanken folgte: Dass „die Lady“ das Militär nicht reizen wollte, um von den Generälen Unterstützung für eine große demokratische Reform zu erhalten. Wenn dies der Plan war, ist er kläglich gescheitert.
Die NLD hatte hart dafür gekämpft, die vom Militär entworfene Verfassung von 2008 zu ändern. Ihre erste Welle von Bemühungen um eine Verfassungsänderung endete jedoch mit der Ermordung von U Ko Ni. Der prominente Anwalt war der einzige Experte der NLD, der nach möglichen rechtlichen Lösungen für eine Verfassungsänderung suchte, um so den Einfluss des Militärs zu reduzieren.
Einen weiteren Vorstoß wagte die NLD wieder im Februar 2019, als sich der von der ihr initiierte Parlamentsausschuss zur Änderung der Verfassung gründete. Nach elf Monaten parteiübergreifender Konsultationen legte der Ausschuss allerdings völlig einseitige Vorschläge zur Abstimmung vor: Die empfohlenen Änderungen waren identisch mit 114 Vorschlägen, die zuvor von der NLD gemacht worden waren.
Im Prinzip waren diese Vorschläge vernünftig und richtig. Die Verfassung wäre durch sie deutlich demokratischer geworden. So hätten die Änderungen beispielsweise die Anzahl der dem Militär garantierten Parlamentssitze verringert: auf 15 Prozent nach den Wahlen im Jahr 2020, 10 Prozent nach 2025 und 5 Prozent nach 2030. Auch die Macht des Oberbefehlshabers wäre begrenzt worden.
Doch erwartungsgemäß machte das Militär von seiner Sperrminorität Gebrauch. Da Verfassungsänderungen eine Dreiviertelmehrheit erfordern, kann die Armee mit ihren 25 Prozent der Sitze solche Initiativen leicht verhindern. Am Ende verabschiedete das Parlament nur minimale Änderungen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um sprachliche Feinheiten.
Von Anfang an war klar, dass es für die NLD schwierig sein würde, diese Sperrminorität zu überwinden. Aber Aung San Suu Kyi und ihre Partei machten auch große Fehler. Sie hätte andere Interessengruppen stärker involvieren müssen, einschließlich der pro-militärischen USDP und der ethnischen Parteien. Doch die NLD und ihre berühmte Chefin versäumten es, verschiedene Gruppen im Parlament zu vereinen. So wurde kein gemeinsamer Druck auf das Militär ausgeübt.
Die NLD-Abgeordneten ignorierten auch einen Änderungsvorschlag, den die USDP und das Militär im Mai 2019 gemeinsam vorgelegt hatten. Er hätte es Staaten und Regionen ermöglicht, ihre eigenen Regierungen zu wählen. So scheiterte die NLD daran, ein Abkommen mit gemäßigten Teilen der Armee auszuhandeln – trotz Aung San Suu Kyis nachgiebiger Haltung gegenüber dem Militär in der Rohingya-Krise.
Manche Beobachter werfen der NLD vor, sich aus wahltaktischen Gründen so kompromisslos verhalten zu haben. Das könnte eine Erklärung sein. Nicht nur im Parlament machte die Partei einen Alleingang. So rief die NLD im Februar 2019 in der Innenstadt Rangoons zu einer seltenen öffentlichen Kundgebung für eine Verfassungsreform auf. Im Gegensatz zu früheren Demonstrationen lud die NLD aber keine anderen Parteien zur Teilnahme ein.
Dabei hätte es die NLD vermutlich gar nicht nötig, aus wahlkampftaktischen Gründen so unnachgiebig in der Verfassungsfrage zu sein – schließlich hat sie ja die Volksheldin Aung San Suu Kyi an der Spitze. Deren Popularität ist zuletzt wieder gestiegen. Weil sie Myanmar in der Rohingya-Krise gegen internationale Kritik verteidigte, gewann sie bei vielen Wählern Sympathie. Diesen Monat startete sie ihren ersten Facebook-Account, um die Öffentlichkeit über den Kampf gegen Covid-19 zu informieren. Innerhalb nur einer Woche hatte sie mehr als 1,7 Millionen Follower.
Zudem dürfte die aktuelle globale Pandemie der amtierenden Regierung helfen. Die Katastrophe bietet ihr Gelegenheit, Stärke zu demonstrieren. Die Regierung muss allerdings den Eindruck vermitteln, dass sie den Ausbruch unter Kontrolle hat. Dann dürften Myanmars Wähler erneut für die NLD-Regierung stimmen - unter der selben Verfassung, die die NLD eigentlich ändern wollte.
Hninwint Naing und Aung Thu Hein sind Executive Programme Manager im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Myanmar.