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50 Jahre Archiv des Liberalismus
Das „Gedächtnis des Liberalismus“

Archiv des Liberalismus

Das Archiv des Liberalismus feiert 50-jähriges Jubiläum

1968 war wahrlich ein ereignisreiches Jahr. Wir erinnern uns heute häufig an die Studentenunruhen oder den Prager Frühling. Dabei wurde ganz im Stillen das Parteiarchiv des FDP-Bundesverbandes ein Teil der Friedrich-Naumann-Stiftung. An dieses eher unscheinbare Ereignis im Schatten der Weltgeschichte wird an diesem Donnerstag, dem 22. November, erinnert. Das heutige Archiv des Liberalismus ist das älteste der sechs Archive der Politischen Stiftungen. Es hatte seinen Sitz zunächst in Bonn, ist seit 1984 in Gummersbach zu Hause und wurde bis heute zu einem modernen Archiv ausgebaut. 

Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, hielt in seiner Festrede bei der Jubiläumsfeierstunde Rückschau auf fünf Jahrzehnte Archivarbeit und würdigte insbesondere die historische Forschung und politische Bildungsarbeit der Institution. „Das Archiv des Liberalismus ist das Gedächtnis des Liberalismus für Deutschland und Europa“, erklärte Paqué. Er betonte, dass Archive eine wichtige, häufig unterschätzte Funktion hätten, die weit über das bloße Sammeln und Aufbewahren von nicht mehr gebrauchten Schriftstücken und Unterlagen hinausgehe: Sie bildeten das Gedächtnis unserer Gesellschaft. Das Archiv sei ein öffentlicher Ort für alle und ein zentraler, wichtiger Ansprechpartner für Wissenschaft, Politik, Publizistik in Sachen Zeitgeschichte.

Anlässlich des Jubiläums hat das Archiv spannende, kuriose und unerwartete Fundstücke zusammengetragen. 

COMICS: STRUWWELPETER, MAX UND MORITZ, LIBERIX UND CO.

Der „Struwwelpeter“ (Heinrich Hoffmann, 1844), „Max und Moritz“ (Wilhelm Busch, 1865) sowie „Asterix“ (René Goscinny, Albert Uderzo, ab 1959) gehören zu den erfolgreichsten Kinderbüchern. So verwundert es kaum, dass auch Parteien derart beliebte Comicfiguren immer wieder für Werbezwecke instrumentalisiert haben. Im Laufe der Zeit schrieb und gestaltete die FDP beispielsweise folgende Erzählungen um: „Die Geschichte vom roten Suppen-Kaspar“ (Landesverband Hessen, Bundestagswahl 1953), „Max und Moritz“ (Bundespartei, Bundestagswahl 1965), „Liberix gegen die Unionsrömer“ (Landesverband Berlin, Abgeordnetenhauswahl 1971), „Der F.D.P.eter“ (Landesverband Schleswig-Holstein, Landtagswahl 1971) sowie „Der Struwwelpeter“ (Ratsfraktion Frankfurt/M., Kommunalwahl 1977). Die entstandenen liberalen Parodien sind für die Parteienforschung hochinteressant, lassen sie sich doch vielfältig interpretieren. So unterschiedlich die Comics auch künstlerisch gestaltet wurden, eines haben alle gemein: sie bestechen mit einem feinsinnigen und oftmals ironischen Humor.

DRAHTVERHAU

Im Dezember 2017 traf im ADL ein außergewöhnliches Archivgut ein. Diesmal ließ es sich Detmar Doering vom FNF-Regionalbüro Europäischer und Transatlantischer Dialog (ETAD) in Prag nicht nehmen, uns mehrere Stücke Stacheldraht zukommen zu lassen. Es war nicht irgendein Stacheldraht, sondern es handelte sich um Originale von der tschechoslowakisch-deutschen Grenze mit Echtheitszertifikat (Faksimile). Dieses bescheinigt auch, dass die Außenminister beider Länder Jiří Dienstbier und Hans-Dietrich Genscher am 23. Dezember 1989 symbolisch den Drahtzaun am Grenzübergang in Rozvadov-Waidhaus mit einem Bolzenschneider durchtrennten und damit den Fall des Eisernen Vorhangs besiegelten. Der geschichtsträchtige Stacheldraht nimmt einen besonderen Platz in der Dauerausstellung des Archivs ein.

Stacheldraht von der tschechoslowakisch- deutschen Grenze mit Echtheitszertifikat, 1989

Stacheldraht von der tschechoslowakisch- deutschen Grenze mit Echtheitszertifikat, 1989

© ADL, Audiovisuelles Sammlungsgut, WB9-11

FEUCHTFRÖHLICHE GRÜSSE VON GUSTAV STRESEMANN

Mit dem Ankauf eines Nachlasssplitters von Ludwig Hofmann, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg als sächsischer Landessekretär der Freisinnigen Volkspartei amtierte, sind auch 18 außergewöhnliche Postkarten von Gustav Stresemann ins ADL gelangt. Sie stammen aus dem Zeitraum 1899 bis 1904 und betreffen nicht etwa parteipolitische Belange, sondern vielmehr private feuchtfröhliche Grußbotschaften: „Herzliche Grüße und kräftiger Schluck!“ oder „Nieder mit dem Stumpfsinn. Hoch die Freiheit und Lust beim schäumenden Gerstensaft! Prost!“ Die Postkarten mit Abbildungen des Reichstagsgebäudes (oder auch von einer Venedig-Reise) sind eine Augenweide. Hofmann war ein enger Studienfreund Stresemanns, den er in der liberalen Reformburschenschaft Suevia Leipzig kennenlernte und mit dem er über Jahre verbunden blieb.

Grußkarten von Gustav Stresemann

Grußkarten von Gustav Stresemann

© ADL, Bestand Ludwig Hofmann, 30496/7

GÄSTEBUCH DER FDP-BUNDESPARTEISCHULE

Wer kann sich heute noch daran erinnern, dass die FDP einmal eine eigene „Bundesparteischule“ unterhielt? Vorträge, Gespräche, Diskussionen, Nachwuchsförderung ... sozusagen ein frühes Pendant zur Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ahnherr war natürlich auch hier Friedrich Naumanns 1918 gegründete Staatsbürgerschule. Zwischen 1956 und 1958 erfolgte die politische Informations- und Bildungsarbeit durch die Bundesparteischule der FDP unter Leitung von Reinhold Schulze in Rengsdorf, Kronenburg und Bad Tönisstein – Orte, die sich in ähnlicher Entfernung vom damaligen politischen Zentrum Bonn befinden wie später Gummersbach. Schulze hat mit Hingabe, Mühe und Sorgfalt ein Gästebuch aller elf Lehrgänge gestaltet, in dem sowohl die Originalunterschriften der Lehrgangsteilnehmer als auch Gruppenfotos, Zeichnungen und Presseausschnitte enthalten sind. Dieses einzigartige Dokument liberaler Bildungspolitik wird im Gummersbacher „Gedächtnis des Liberalismus“ aufbewahrt.

Gästebuch der FDP-Bundesparteischule

Gästebuch der FDP-Bundesparteischule

© ADL, Bestand Reinhold Schulze, 11797/7

PHYSIKALISCHE FORMELN

„Wie hängen die Koordinaten eines Elektrons, das mit der Anfangsgeschwindigkeit 90 senkrecht zu den Kraftlinien in ein homogenes elektrisches Feld von der Feldstärke eintritt, von der Zeit ab?“ Diese Berechnung findet sich in einer Vorlesungsmitschrift Clara von Simsons, die sie bei dem berühmten Physiker und späteren Nobelpreisträger Max von Laue am 21. Juni 1921 an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (heute: Humboldt-Universität) anfertigte. Neben den Naturwissenschaften interessierte sich von Simson auch für die Politik. Der Nachlass von Simsons, die FDP-Mitglied des Abgeordnetenhauses zu Berlin und Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung war, gelangte 1983 bzw. 2005 ins ADL.

Clara von Simsons Vorlesungsmitschrift bei Max von Laue, 21. Juni 1921

Clara von Simsons Vorlesungsmitschrift bei Max von Laue, 21. Juni 1921

© ADL, Bestand Clara von Simson, N88-112

PLAKATENTWÜRFE DER LDPD

Von jeher erreichen uns Anfragen nach Überlieferungen aus der Gründungszeit der FDP und der LDPD, so auch zur Wiederbegründung des Liberalismus in Sachsen-Anhalt. Im Rahmen einer Recherche im Bestand des Zentralen Parteiarchivs der LDPD entdeckten wir hierzu diese einzigartigen Plakatentwürfe des Landesverbandes Sachsen-Anhalt. Die Skizzen sollten ursprünglich im Landtags- und Kommunalwahlkampf 1946, als Werbung für Neumitglieder oder als Bebilderung des 1. Landesparteitages im März 1947 zum Einsatz kommen. Allerdings wurden die Motive aus verschiedenen Gründen verworfen und nie gedruckt. Beispielsweise durfte die Illustration „Tritt ein für Wahrheit und Recht!“ nach der Zensur zwar in „Lichtspieltheatern“ verwendet werden, wurde aber letztendlich doch „abgelehnt wegen der Hand“, die darauf abgebildet war.

Plakatentwürfe des LDPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, 1946

Plakatentwürfe des LDPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, 1946

© ADL, Audiovisuelles Sammlungsgut, LDPD 639, 640, 654, 658, 661, 663

XY UNGELÖST? DIE HANDSCHRIFT VON FRIEDRICH BÖTTCHER

Manche Handschriften des 19. Jahrhunderts stellen Zeithistoriker und selbst sogar manche Archivare, die eigentlich grundlegende paläographische Kenntnisse haben sollten, vor Verständnisprobleme, insbesondere wenn es sich bei der verwendeten altdeutschen Kurrentschrift nicht um Reinschriften, sondern um Konzepte handelt. Im Nachlass des nationalliberalen Journalisten und Reichstagsabgeordneten Friedrich Böttcher finden sich zahlreiche von letzteren, die Entwürfe für Zeitungsartikel bildeten und nur teilweise transkribiert sind. So harrt auch noch dieses Schreiben an einen unbekannten Adressaten aus dem Jahr 1909 der Übertragung. Es behandelt, so viel ist bekannt, unter dem Titel „Was nun?“ ein mögliches Zusammengehen der badischen Nationalliberalen mit der Sozialdemokratie. Böttcher, der eher auf dem rechten Flügel seiner Partei stand, dürfte dies kaum begrüßt haben. Aber der Fall ist noch nicht gelöst und bietet vielleicht eine Überraschung, wenn eines Tages eine Transkription vorliegen sollte.

Werkmanuskript „Großblockabkommen der Nationalliberalen in Baden“ von Friedrich Böttcher, 1909

Werkmanuskript „Großblockabkommen der Nationalliberalen in Baden“ von Friedrich Böttcher, 1909

© ADL, Bestand Friedrich Böttcher, N45-1094

Prof. Dr. Ewald Grothe ist Leiter des Archivs des Liberalismus.

Für Medienanfragen kontaktieren Sie unseren Leiter des Archivs:

Archivleiter Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Experte für die Geschichte des Liberalismus, Wissenschaftsgeschichte und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
Telefon: +49 2261/3002-421