Liberalismus
Rudolf von Bennigsen: Ein Pionier des deutschen Liberalismus
Mitte der 1860er Jahre war der in Lüneburg geborene und im Calenberger Land ansässige Rudolf von Bennigsen der wohl bekannteste deutsche Liberale. Seine politische Karriere hatte kaum ein Jahrzehnt vorher als oppositioneller hannoverscher Landtagsabgeordneter begonnen. Seit 1859 stand er als Vorsitzender des Deutschen Nationalvereins an der Spitze der liberalen Nationalbewegung, die einen gesamtdeutschen Verfassungsstaat unter preußischer Führung forderte und dabei einen öffentlichen Druck ausübte, dem sich auch der hochkonservative preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck nicht entziehen konnte.
Nachdem dieser militärisch den Weg zum Nationalstaat bereitet hatte, bot er 1866 dem gemäßigten Teil der Liberalen eine Zusammenarbeit an. Die von Bennigsen mitbegründete neue Nationalliberale Partei ergriff unter seiner Führung diese Chance und gab innerhalb der nächsten zehn Jahre dem neuen Staat zweifellos eine liberale Prägung vor allem in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht, ohne allerdings – wie erhofft – eine weitgehende Parlamentarisierung zu erreichen. Dennoch gelten Bennigsen und seine Parteikollegen im Reichstag, die in den frühen 1870er Jahren die parteipolitische Sphäre dominierten und in der Großregion Hannover eine ihrer Hochburgen hatten, durchaus als „Mitbegründer“ des deutschen Kaiserreichs.
Vertreter des Adelsliberalismus
Bennigsen, dessen Stammsitz sich am Rande des Deisters im heutigen Springe befand, blieb aber zugleich immer auch seiner Heimat verbunden: Als langjähriger Landesdirektor und späterer Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover suchte er mit Erfolg die Interessen Hannovers beim neuen preußischen Landesherren zu vertreten; die Region fand auch deshalb im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Anschluss an die industrielle Moderne.
Insgesamt kann man in Rudolf von Bennigsen, trotz aller Rückschläge im Einzelnen, die er in der letzten Phase seiner politischen Wirksamkeit erlebte, eine spezifische, wenn auch späte Form des Adelsliberalismus sehen, den man am besten mit dem englischen Begriff „Whig“ belegt. Bezeichnenderweise erlebte in Deutschland die „bürgerliche Gesellschaft“ ihren Durchbruch unter starker Beteiligung dieses niedersächsischen Kleinadligen, der auch nolens volens den Übergang vom Honoratioren- zum Berufspolitiker verkörperte.