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Gesellschaft
Der Zwangsdienst ist eine moralische Bankrotterklärung

Exerzierendes Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin
Exerzierendes Wachbataillon der Bundeswehr in Berlin © dpa / Wolfgang Kumm

Dieser Artikel wurde am Montag den 07.01.2019 in der Welt veröffentlicht und ist online hier zu finden.

 Dennis Snower fürchtet um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und schlägt eine allgemeine Dienstpflicht vor. Doch eine solche Zwangsmaßnahme würde nicht helfen, meint Thomas Straubhaar – im Gegenteil.

Ökonomen gleichermaßen wie Politiker schlagen Alarm. Der soziale Zusammenhalt in Deutschland sei gefährdet. Viele Menschen fühlten sich nicht mehr als Teil einer gemeinsamen Gesellschaft. Als Heilmittel für eine Wiedererweckung der Verantwortung für das große Ganze wird ein Zwangsdienst für alle gefordert. So verlangt Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, als zentrale Korrekturmaßnahme gegen die Erosion des Gemeinschaftsgefühls eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Menschen, gleich ob Mann oder Frau, „wobei jeder die Möglichkeit haben sollte, zwischen Wehrpflicht oder Zivildienst zu wählen“.

Er verweist dabei explizit darauf, dass es in der CDU eine lebhafte Debatte über eine Dienstpflicht gebe. In der Tat hat sich zu Jahresbeginn der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans für einen zwölfmonatigen Allgemeindienst starkgemacht – womit er eine im vergangenen Sommer unter anderen von der damaligen CDU-Generalsekretärin und jetzigen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßene Diskussion wieder aufgriff.

Die Diagnose mag ja stimmen. Die Therapie jedoch bietet keine Besserung. Im Gegenteil: Sie zerstört, was sie vorgibt zu heilen. Denn ein Zwangsdienst ist eine absolute moralische Bankrotterklärung gerade gegenüber den Ursachen – dem abnehmenden oder gar fehlenden Verständnis von mehr und mehr Menschen dafür, dass ein friedliches, erfolgreiches Zusammenleben in Deutschland nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten für alle verbunden ist.

Wenn Personen nicht mehr aus freiwilliger Einsicht – Verstand und Vernunft folgend – zu einer Gemeinschaft zusammenfinden und nur noch Zwangsmaßnahmen als Ultima Ratio bleiben, ist eine freie Gesellschaft am Ende. Zusammengehörigkeit, die nicht mehr von unten allein wächst und gedeiht, sondern von oben staatlich angeordnet und per Zwang oktroyiert wird, folgt nicht Überzeugung, findet ganz offensichtlich keinen Rückhalt in der Bevölkerung und hat damit keine Zukunft.

Die vernichtenden Erfahrungen der Länder des real existierenden Sozialismus liefern durchschlagende empirische Evidenz, welche volkswirtschaftliche Katastrophe der Preis sein kann, wenn aus ideologischen Motiven individuelle Freiheit und ökonomische Grundgesetze missachtet werden.

Schon die Definition dürfte zu heftigen Diskussionen führen

Die Arbeiter-und-Bauern-Staaten in Osteuropa kannten Pflichtdienst, befohlene Ernteeinsätze und hoheitliche Arbeitsplatzzuteilungen unter krasser Verletzung privater Wünsche. Und das bittere Ende spricht für sich, wohin sozialromantische Ideen im Zeitalter von Globalisierung, Digitalisierung und Datenökonomie führen: in den ökonomischen Untergang.

Zwangsarbeit genauso wie Pflichtdienste sind ökonomisch ineffizient. Sie verletzen Grundgesetze von Arbeitsteilung und Spezialisierung, provozieren Fehlverhalten, zerstören Knappheitssignale auf privaten Arbeitsmärkten und widersprechen zumindest einem wesentlichen demokratischen Prinzip fundamental: dem der Freiwilligkeit. Frauen und Männer ihres zivilen Berufes oder Ausbildung und Studium zu entreißen, um sie zu einer Tätigkeit zu zwingen, für die sie sich freiwillig nicht entscheiden würden, widerspricht einer modernen arbeitsteiligen Marktwirtschaft.

Schon die Frage, wer bestimmen soll oder darf, welche Tätigkeiten unter welchen Bedingungen das Siegel erhalten, dass sie für das Zusammengehörigkeitsgefühl positiv wirken, dürfte ein bürokratisches Monster auf das Parkett rufen. Allein schon die Definition, was genau mit sozialer Integration gemeint sein könnte, dürfte zu heftigen Diskussionen führen. Wie misst man, wann sich welche Aktivitäten auf den sozialen Zusammenhang in Deutschland wie auswirken? Wer entwickelt die Kriterien, wer setzt sie durch?

Wie soll vorgegangen werden, wenn sich alle auf dieselben als für das Gemeinwohl besonders wertvoll identifizierten Tätigkeiten stürzen, und das Angebot größer als die Nachfrage sein sollte? Wird dann gelost? Oder schaltet sich der Staat als rettender Helfer ein und beschäftigt Personen in Jobs, von denen geglaubt und angenommen wird, dass sie für das Zusammengehörigkeitsgefühl positive Impulse ausüben? Sollen für den Zwangsdienst Mindestlöhne bezahlt werden, wenn ja, wer soll das alles finanzieren? Bei den Antworten findet sich der Teufel nicht nur im Detail. Er steckt ganz grundsätzlich im Prinzip.

Bei einem allgemeinen Pflichtdienst bleibt die Ökonomik auf der Strecke. Auf der einen Seite lauthals über einen Fachkräftemangel zu jammern und andererseits Personen per Zwang dem regulären Arbeitsmarkt zu entziehen passt schlicht nicht zusammen. Durch die staatlichen Eingriffe werden zudem private Anstrengungen und Lohnfindungsprozesse hintergangen. Es gibt doch bereits eine Vielzahl privater Kulturangebote, Pflegedienste und Nachbarschaftshilfen.

Zwangsbeschäftigte in Konkurrenz zu Freiwilligen

Wäre es nicht viel klüger, wenn Staat und Gesellschaft hier helfend und unterstützend bestehenden Einrichtungen zur Seite springen. Dabei geht es gar nicht so sehr ums „Geld“, sondern um einen Abbau von Hemmnissen aller Art – beispielsweise bei Auflagen, wer wie in einer privaten Selbsthilfeorganisation beschäftigt werden kann.

Ein gut gemeinter Pflichtdienst mit mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand könnte vielerorts sogar das Gegenteil dessen erwirken, was er eigentlich möchte. Zwangsbeschäftigte würden in Konkurrenz zu Freiwilligen treten und private Eigeninitiativen zurückdrängen, sodass am Ende weniger und nicht mehr für das Gemeinschaftsgefühl übrig bleibt.

Dass extrinsische Motivation, also Anreize, die von außen kommen, oft intrinsische Motivation, also die innere Überzeugung, verdrängt und zerstört, ist in vielen einschlägigen Analysen nachgewiesen worden. Die Erkenntnis gilt auch beim erzwungenen gegenüber einem freiwilligen Engagement für das Gemeinwesen.

Deshalb ist es klüger, durchaus bestehende und weiter zu findende private Aktivitäten zugunsten des Allgemeinwohls zu fördern, wo und wie immer das möglich ist. Dazu gehören die gemeinnützigen Institutionen, die es ja bereits in Form unzähliger Vereine, Stiftungen, Kultur- und Sporteinrichtungen gibt. Ehrenamt und Spendenwesen sind weiter auszubauen. Selbstbestimmte Zusammengehörigkeit aus freien Stücken von unten ist die Grundlage freiheitlicher demokratischer Gesellschaften, nicht Zwang von oben.

Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg und Mitglied im Kuratorium der Stiftung für die Freiheit.