Polen
Eine Regierung, die bleibt
Die meisten Beobachter hatten damit gerechnet: Die national-konservative Regierung der Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, kurz: PiS) ist deutlich in ihrem Amt bestätigt worden. Der Stimmenanteil der PiS ist laut letzten Hochrechnungen von 37,6 Prozent im Jahr 2015 auf 44,57 Prozent gestiegen. Das verdankt sie sowohl ihrer äußerst rüden, aber sehr geschickten Wahlkampfstrategie, doch vor allem auch der Schwäche der Opposition.
Auf dem Papier sieht der Stimmenanteil der Opposition gar nicht so schlecht aus. Um sich nicht so sehr zu zersplittern, hatten die meisten Parteien ihre Kräfte auf gemeinsamen Wahllisten oder Wahlkoalitionen gebündelt. Die zentristische Oppositionsliste „Bürgerkoalition“ (KO), die aus der christdemokratischen Bürgerplattform (PO) und der kleinen liberalen Nowoczesna besteht, kam auf 26,65 Prozent, das linke Bündnis der Sozialdemokraten und der neuen Partei Wiosna (Frühling) auf 12,27 Prozent, und die konservative Liste aus Bauernpartei und der populistischen Kukiz15 auf 8,63 Prozent. Das sind zusammen immerhin 47,55 Prozent - das heißt die PiS hat keineswegs die Mehrheit der Wähler hinter sich.
Jedoch bevorzugt das System der Sitzverteilung nach dem D'Hondt'schen Berechnungsverfahren (das übrigens schon vor dem Amtsantritt der PiS in Kraft war) systematisch die relativ größeren Parteien. Schon mit dem Ergebnis von 2015 kam die Regierungspartei bequem auf die absolute Sitzmehrheit. Jetzt hat sie diese noch ausgebaut.
Auch Rechtsextremisten gestärkt
Ironischerweise ist das aber vielleicht die weniger schlimme unter den schlimmen Optionen. Denn hätte die PiS die absolute Sitzmehrheit verfehlt, hätte sie koalieren müssen. Und dafür wäre als Partner möglicherweise nur die neue rechtsextreme Partei Konfederacja infrage gekommen, die auf Anhieb auf 6,76 Prozent kam. Deren Chef glaubt an die jüdische Weltverschwörung und findet, dass geringere Löhne für Frauen richtig seien, da diese ja schwächer und weniger intelligent seien. Die Konfederacja lässt die PiS wie eine Insel der Toleranz aussehen.
Schlimm könnte es möglicherweise trotzdem werden. Die Regierung hatte bereits in ihrer vorherigen Amtszeit unfaire Wahlbedingungen – etwa durch die völlige Instrumentalisierung der Staatsmedien – geschaffen und auch sonst einen rechtsstaatlich bedenklichen Kurs eingeschlagen. Die EU musste etwa bei dem Versuch, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschränken, eingreifen. Man muss davon ausgehen, dass die PiS in der anstehenden Legislaturperiode versuchen wird, oppositionelle Privatmedien – insbesondere die in ausländischem Besitz – zu „polonisieren“. Auch wird wahrscheinlich regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen das Leben nicht leichter gemacht werden. Schon jetzt sind sie bereits von jeglicher öffentlichen Förderung auf nationaler Ebene mehr oder minder ausgeschlossen. Da auf regionaler und kommunaler Ebene noch vielfach die Opposition (besonders in den Städten) regiert, bestehen zwar trotzdem noch Förderungsmöglichkeiten, doch ist nicht auszuschließen, dass die Regierung nun beginnt, die lokale Autonomie und Selbstverwaltung einzuschränken, die ihr schon lange ein Dorn im national-zentralistischen Auge ist. Ähnliches hat man bereits in Ungarn unter Viktor Orbán beobachtet.
Wie steht es um die Opposition?
Die Opposition hatte es ja jetzt schon schwer, bei diesen definitiv freien, aber doch ein wenig unfairen Wahlen. Bei der nächsten Wahl dürfte es noch schwerer werden. Und das hat sie sich auch selbst zuzuschreiben.
Auffällig ist, dass nach 2015 erstmals wieder eine explizit linke Formierung ins Parlament einzieht. Bei näherem Hinsehen ist das aber auch kein Ausweis für ein neuerliches Erstarken dieses Politiksegments. Denn das letzte Mal war die Linke zersplittert angetreten, was zum jeweiligen Scheitern an der Fünfprozenthürde führte. Der Stimmanteil der geeinten Linken reichte dieses Mal zwar deutlich für den Einzug in den Sejm, ist aber kein Leistungsausweis für eine starke Linke im Lande. Aber auch das Bündnis der Konservativen aus Bauernpartei und Kukiz15 überlebte nur als Allianz. Einzeln wären sie gescheitert. Es lässt sich kaum verhüllen, dass die PiS-Regierung das moderatere konservative Feld ebenfalls gut im Griff hat.
Selbstverschuldete Tragödie der Bürgerkoalition
Bleibt die eigentliche Tragödie: die zentristische Bürgerkoalition. Deren Kernbestandteil ist die PO, die größte Partei, die bis 2015 regiert hatte. Die Partei wurde 2015 abgewählt, weil sie als inhaltsleer, machtversessen und skandalgebeutelt wahrgenommen wurde. Sie tat unter ihrem Vorsitzenden Grzegorz Schetyna alles, um diesen Ruf zu wahren. Die Erneuerung erfolgte nicht. Zudem versuchte Schetyna, die potentiellen Koalitionspartner systematisch kleinzuhalten, was vor allem der Listenpartner, die liberale Nowoczesna, zu spüren bekam. Er säte Misstrauen im Oppositionslager. Zu spät erkannte er, dass er als Spitzenkandidat der KO nur Schaden anrichten würde und setzte erst im September die unbekannte Abgeordnete Małgorzata Kidawa-Błońska als Spitzenkandidatin für das Amt des Regierungschefs ein. In einem von Patzern geprägten Wahlkampf konnte es ihr gar nicht mehr gelingen, der zentristischen Opposition irgendein erneuertes Profil zu verpassen.
Das wäre nötig gewesen, denn die PiS verstand es einen Wahlkampf zu führen, der an nationale Gefühle appellierte, erfolgreich Feindbilder aufbaute (zum Beispiel durch eine von der katholischen Kirche unterstützten gehässigen Kampagne gegen LGBTIQ-Rechte) und unzählige, teure soziale Wohltaten versprach. Dem hatte die Bürgerplattform (PO) nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil: Indem Schetyna sich auf ein Rennen mit der PiS einließ, wer denn sozialpolitisch spendabler sei, opferte er (trotz der Warnungen des liberalen Koalitionspartners Nowoczesna) auch noch den zentralen Markenkern der Bürgerplattform, die Partei der ökonomischen Vernunft zu sein.
Es ist anzunehmen, dass es im zentristischen Lager nun zu schweren Zerwürfnissen kommen wird, ja zu Zerreißproben. Eine völlige Neuformierung wird von Beobachtern nicht mehr ausgeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob das auch die Liberalen trifft, die durch ihr Bündnis mit der PO ebenfalls arg mitgenommen wurde. Man wird sehen, ob bei der Krise und den zu erwartenden Verwerfungen im zentristischen Lager am Ende sogar eine gestärkte Formierung steht.
Und auch in Deutschland muss man sich Fragen stellen. Lange hatte man gehofft, die Regierung der PiS, die einen robust EU-kritischen und latent Deutschland-feindlichen Kurs fährt, werde nur ein Zwischenspiel sein. Dem ist nicht so. Die PiS bleibt nicht nur an der Macht, sie ist nun auch noch gestärkt. Sie wird noch selbstbewusster auftreten. Gefragt ist nun das, was bisher sowohl in der deutschen als auch der europäischen Politik fehlt – eine klare Strategie. Bei Verstößen gegen europäische Kernwerte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit muss entschlossener und konsequenter gehandelt werden. Aber es muss auch eine verbesserte Einbindung der Regierung in Polen erfolgen, wo sie legitime Interessen äußern kann. Ausgrenzung alleine verfängt nicht. Es gibt auch nachvollziehbare Gründe – etwa im Bereich der Sicherheitspolitik oder im Verhältnis zum aggressiven Auftreten Russlands –, warum sich in Polen eine Stimmung gebildet hat, die zu irrationalen Rückzügen ins Nationale geführt haben. Weder die EU noch Deutschland sind diesbezüglich geschickt aufgetreten. Es ist sowohl Härte als auch Geschicklichkeit gefragt. Polen wird jedenfalls eine Herausforderung für den Rest Europas bleiben.