Wirtschaft
"Es gibt keine Garantie für Wohlstand"
Wie stellen wir uns 2050 vor? Werden wir 2050 das Land sein, das die Digitalisierung mit der industriellen Wertschöpfung verknüpft hat? Werden wir das Land sein, das die Grundwerte der pluralistischen liberalen Demokratie westlicher Prägung in die digitale Welt übertragen hat und dort umsetzt – Privatsphäre, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit? Werden wir durch die weltbeste Bildung in einer Gesellschaft glücklicher, interessierter, neugieriger und produktiver Menschen leben? Als Entwicklungszentrum der Welt einen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit durch Produkte, Maschinen und neue Technologien leisten? Das Klimaproblem durch die konsequente Anwendung von Digitalisierung und technologischem Fortschritt gelöst haben?
Es ist möglich, alle diese Ziele zu erreichen. Doch wir dürfen nicht vergessen: Dafür ist wirtschaftliches Wachstum eine notwendige Voraussetzung. Ohne Wettbewerbsfähigkeit wird hier nicht investiert, ohne Investitionen kommen keine Innovationen. Auch weltbeste Bildung hat ein Preisschild, selbst wenn sie den Menschen gebührenfrei zur Verfügung gestellt wird. Und sogar die offene Gesellschaft ist auf steigenden Wohlstand angewiesen – denn Abstiegsängste und die Aussicht, dass es die eigenen Kinder möglicherweise einmal schlechter haben werden, sind Gift für eine jede Gesellschaftsordnung – erst recht für eine freie.
Seit den überparteilichen Agenda-Reformen der Schröder-Ära gab es jedoch kaum ein größeres Projekt mehr, welches die Erwirtschaftung des zukünftigen Wohlstandes in den Vordergrund gestellt und gegenüber der Verteilung und dem Konsum des gegenwärtigen Wohlstandes priorisiert hat. Das schien einer breiten Mehrheit auch gar nicht nötig, schließlich gab es ständig weniger Arbeitslose, positives Wachstum und Rekordsteuereinnahmen. Viele Leute hatten den Eindruck, wir seien auf Wohlstand abonniert. Doch das Dach sollte man reparieren, wenn die Sonne scheint. Jetzt sind bereits düstere Wolken am Horizont erkennbar, doch passiert ist bisher kaum etwas. Die GroKo-Jahre waren hier weitestgehend verschenkte Jahre.
Doch nach massiven Auftragsrückgängen in der Industrie, zunächst mit dem Abbau von Überstunden und Kurzarbeit, inzwischen auch wieder Stellenstreichungen, kommen die Einschläge immer näher. Industrieproduktion und Geschäftserwartungen sind seit über einem Jahr rückläufig. Diese waren in der Vergangenheit gute Indikatoren für spätere Rückgänge der Wirtschaftsleistung.
Während wir uns wohl bereits in einer technischen Rezession befinden – zwei Quartale Negativwachstum in Folge – reden sich viele die Lage noch schön: Noch wird ja insgesamt für das Jahr 2019 ebenso wie für das Jahr 2020 ein Wachstum mit einer schwarzen Null vor dem Komma prognostiziert. Doch dabei wird vergessen, dass dies lediglich ein mittlerer Wert in der Wahrscheinlichkeitsverteilung ist, während das Risiko eines ungeregelten Brexits oder eines eskalierenden Handelskriegs wie ein Damoklesschwert über der Wirtschaft hängt. Tatsächlich beziffert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung das Rezessionsrisiko derzeit auf 36 Prozent und damit so hoch wie seit der Wirtschaftskrise 2009 nicht mehr.
Die richtigen Reaktionen auf diese Situation sind mutige Reformen, die schon in den letzten Jahren angezeigt gewesen wären. Sie sind nur jetzt viel dringlicher, einerseits weil zu lange zu viel verschlafen wurde, andererseits weil die Probleme zunehmend auch von der Bevölkerung ernst genommen werden. Die Wirtschaftsweisen geben auch hier die richtige Richtung vor – etwa mit der Feststellung, dass eine Abschaffung des Soli, eine Senkung der Stromsteuer oder der Körperschaftssteuer Investitionstätigkeit und Beschäftigungsaufbau fördern würde, genau wie die befristete Wiedereinführung der degressiven Abschreibung dazu führen würde, dass dringend nötige Investitionen vorgezogen werden.
Neue Fragen, neue Antworten
Offensichtlich ist auch, dass bei der Digitalisierung der Behörden ein ungehobener Milliardenschatz schlummert. Diese müsste – wie auch der Bürokratieabbau – als Investition in die Zukunftsfähigkeit des Landes betrachtet werden.
Auf neue Fragen müssen jedoch auch neue Antworten gegeben werden. Damit deutsche Unternehmen sich in der digitalen Wirtschaft etablieren und international wettbewerbsfähig sein können, werden wahrscheinlich Überarbeitungen des Kartellrechts notwendig sein. Mit maschinellem Lernen entsteht eine neue Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts, in der Daten ein völlig neuer Rohstoff sind. Um hier zukunftsfähig zu sein, werden gute Finanzierungsbedingungen für Start-Ups allein nicht reichen – doch ohne diese brauchen wir es wohl gar nicht zu versuchen. Ziel muss sein, eine zukunftsweisende Datenökonomie aufzubauen und Datensouveränität zu gewährleisten.
Insgesamt muss jedoch auch ein kultureller Wandel stattfinden: Viel zu oft wurden in Deutschland Schlüsselindustrien so lange zerredet und vergrätzt, bis sie abgewandert sind. Momentan geschieht dies bei der Automobilindustrie, doch danach bleibt nicht mehr viel, in dem Deutschland weltweit Spitze ist. Chemie, Maschinenbau, Anlagenbau. Und dann?
Es muss also auch darum gehen, dass einer breiten Bevölkerung wieder klar wird, wo unser Wohlstand herkommt und dass es keine Garantie dafür gibt. Wenn wir diesen Punkt erreichen, dann bin ich auch zuversichtlich für das Jahr 2050. Ja, wir sind Megatrends ausgesetzt. Doch diese sind bewältigbar – wenn wir es wollen und heute dafür die Weichen stellen.