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Krieg in Europa
"Es ist Krieg und die Menschen sind mittendrin"

3250 Kilometer hin und zurück – Kasseler Programm-Manager für die Friedrich-Naumann-Stiftung fährt an die ukrainische Grenze um zu helfen
Thorsten Schneider berät als Anwalt
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Thorsten Schneider 

Die Solidarität in Deutschland für die Ukraine kennt fast keine Grenzen, doch Thorsten Schneider (FDP) erschienen die angekündigten Hilfsangebote zu theoretisch. Er entschied sich vor Ort zu helfen und fuhr mit seinem Auto an die Grenze des Kriegsgebietes. Dort gewann er viele Eindrücke, die er im Interview mit uns teilt.

Anna-Lena Trümpelmann: Es gibt aktuell viele Medienberichte über die politische und die humanitäre Situation in der Ukraine. Was ist Ihre persönliche Einschätzung von der aktuellen Lage?

Thorsten Schneider: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Angriffskrieg von Russland, der in der Ukraine stattfindet, so bald zu Ende ist. Wenn wir uns die Bilder aus der Ukraine zurzeit anschauen, wird die Zerstörung vor Ort immer größer. Es kommen großflächige großen Detonations- und schwere Kriegswaffen zum Einsatz. Viele Städte sind teilweise oder bereits schwer beschädigt. Die Menschen fliehen in großen Massen. Ich glaube, die größten Flüchtlingsbewegungen stehen uns noch bevor. Der Krieg dauert etwas länger als eine Woche an und die Menschen verstehen erst jetzt langsam, dass Putin wohl so schnell nicht aufgeben wird. Ein Ende ist zur Zeit jedenfalls nicht in Sicht.


Anna-Lena Trümpelmann: Sie sind mit dem Auto an die ukrainische Grenze gefahren, um Hilfsgüter abzugeben. Konnten Sie dort mit Geflüchteten sprechen, und wenn ja, was haben Sie erzählt?

Thorsten Schneider: Ich habe mit vielen Geflüchteten an der Grenze gesprochen. Die Menschen haben mir von Fußmärschen von bis zu 50 km berichtet, um die Grenze zu erreichen und von Wartezeiten von bis zu vier Tagen im kalten draußen mit Kindern. Auch von der Trennung von Familien wurde mir erzählt; also den Frauen und Kindern und den Vätern, die die Grenze nicht übertreten durften, weil sie von der Grenzpolizei und der Armee am Grenzübertritt gehindert wurden. Die Familien wurden auseinandergerissen und haben nur das Nötigste mit sich getragen. Tausend Kilometer östlich von uns bahnt sich da gerade eine humanitäre Katastrophe ganz besonderen Ausmaßes an. Gerade hier in Europa sind es Bilder, die kann man sich nicht vorstellen.


Anna-Lena Trümpelmann: Sie haben auf der Rückfahrt nach Deutschland eine ukrainische Familie, die nach Polen geflüchtet ist, mitgenommen. Was hat die Familie von der Situation im Kriegsgebiet erzählt?

Thorsten Schneider: Die Familie, die wir mitgenommen haben, sind Bekannte. Ein Freund von mir hatte sie direkt am Anfang des Krieges angerufen und gesagt, dass sie so schnell wie möglich zur Grenze kommen sollen und wir sie von dort abholen. Während wir zusammen im Auto saßen und zurückgefahren sind, fing die Frau an zu weinen und bekam die Nachricht, dass das Nachbarhaus von einer Bombe getroffen wurde und es komplett zerstört wurde. Alle Bewohner kamen ums Leben. In ihrem Haus nebenan harren noch ihr Mann und ihr Bruder im Keller aus, weil sie das Land nicht verlassen dürfen. Man kann sich das nicht vorstellen. Das ist Krieg. Richtig Krieg und die Menschen sind mittendrin.


Anna-Lena Trümpelmann: Was muss nun in Deutschland passieren, um den geflüchteten Menschen helfen zu können? 

Thorsten Schneider: Sie benötigen eine Unterkunft. Das ist klar. Aber damit ist es nicht getan. Ich kann die Menschen nicht einfach in eine Wohnung stecken und dann erwarten, dass sie ihren Weg machen werden. Das Problem an der ganzen Sache - auch an der rechtlichen Regelung- ist, dass die ukrainischen Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz nach § 24 des Aufenthaltsgesetzes bekommen sollen, welches für ein Jahr gelten soll. Dies ist erst mal zu begrüßen. Man muss aber auch die Folgen bedenken, nämlich, dass sie eben keinen Asylantrag stellen und somit auch nicht in den Asyl-Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden können. Die Problematik dabei ist, dass sie die in den Erstaufnahmeeinrichtungen angebotenen Sozialprogramme wie Integrationskurse, Orientierungskurse und Sprachkurse dadurch nicht wahrnehmen können. Außerdem gibt es keine Kindergartenplätze. Die Kinder sitzen zu Hause mit ihren traumatisierten Eltern. Der Staat muss jetzt seiner sozialen Verantwortung gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen gerecht werden und Geld in private Initiativen stecken, die Kapazitäten haben und damit arbeiten können. Ich habe inzwischen einen Verein gegründet und wir haben bereits 20 Leute untergebracht. Jetzt suche ich privat nach Ukrainerinnen und Ukrainern, die die Geflüchteten unterstützen und eine erste Orientierung geben können, z.B. bei Fragen wie: Was ist ein Sozialamt? Was ist ein Arbeitsamt? Wie funktioniert das in Deutschland? Wie kann ich diese Anträge stellen? Wie läuft das ganze Krankenversicherungssystem? Der Staat muss den freiwilligen Helfern unter die Arme greifen, weil die Stadtverwaltungen heillos überfordert sind, dass so viele Menschen Deutschland erreichen.

Anna-Lena Trümpelmann: Sie haben Ihren neu gegründeten Verein erwähnt. Soll dieser Verein deutschlandweit oder nur in Kassel ansässig sein?

Thorsten Schneider: Ich habe jetzt in Kassel angefangen, stelle aber fest, dass es an und für sich ein Bedarf dafür gäbe, das auszuweiten. Ich habe hier die ganzen Unternehmen der Region angeschrieben, um das, was wir vorhaben, zu realisieren. Wir hatten gestern in Kassel eine Veranstaltung. Die sprechen alle durchweg darüber, wie und wo sie die Leute unterbringen können. Dann habe ich ganz konkret gesagt: „Die Menschen brauchen Telefone. Die kommen hier an, die können ihre SIM-Karten gerade nicht nutzen, weil es andere Systeme sind.“ Diese konkreten Bedürfnisse gehen komplett verloren. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass wir das auch bundesweit machen. Aber dafür muss man auch Geld zur Verfügung haben, um diese Strukturen aufzubauen.


Anna-Lena Trümpelmann: Wie können die Menschen in Deutschland ihren Verein unterstützen?

Thorsten Schneider:
Beim Aufbau des Vereins sind wir natürlich auf der Suche nach Spendengeldern. Wir haben den Verein heute erst gegründet und ein Spendenkonto wird es erst Anfang nächster Woche geben. Außerdem kann man den Verein und das, was wir vorhaben, in den sozialen Medien teilen. Oder auch Gespräche mit Behörden führen, die generell bereit wären, uns zu unterstützen. Es geht auch darum, dass andere Personen in anderen Städten eine Idee dafür bekommen, wie man mit diesen Menschen umgehen muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich da auch andere Leute Gedanken darüber machen. Man muss sich einfach vernetzen und versuchen, Strukturen zu schaffen, um den geflüchteten Menschen zu helfen.                            

Über diese Instagram-Kanäle informieret Thorsten Schneider über das ehrenamtliches Engagement:

@thrstn.s 

@ihelp_kassel

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