Ficos neue Besonnenheit
Schon seit einiger Zeit überrascht der Mann, der für viele Beobachter lange Zeit fast ein Prototyp des Populisten zu sein schien, mit überraschenden Äußerungen. "Die Slowakei will und muss im Kern der EU-Integration bleiben. Wir wollen überall dabei sein. Die EU ist für uns ein lebenswichtiges Projekt." Derartiges hört man zurzeit nicht von jedem mitteleuropäischen Regierungschef.
Dabei fiel Robert Fico, Ministerpräsident der Slowakei, noch bei der Kampagne für seine Wiederwahl im Frühjahr 2016 durch seine harten Töne gegen Flüchtlinge auf. Seine als „linkspopulistisch“ eingestufte Sozialdemokratische Partei (Smer) setzte ganz und gar auf dieses Thema. Auch kernig-nationalistische Tiraden, wie die Bezeichnung „dreckige, anti-slowakische Huren“, die er im November 2016 kritischen Journalisten entgegenschleuderte, festigten das Image eines Politikers, der Gefahr lief, zum europäischen Risikofaktor zu werden.
Damit ist anscheinend Schluss. Seit einigen Monaten hört man sanfte Töne wie: „Die Slowakei wünscht sich von Herzen einen Erfolg des europäischen Projektes. Die EU ist unser sicheres Haus in einer turbulenten Welt.“ Unter den Ländern der Visegradgruppe gehört Fico mittlerweile zu den berechenbaren europäischen Musterknaben (was zugegebenermaßen nicht so schwer ist, wenn man mit Politikern wie Ungarns Viktor Orbán und Polens Jarosław Kaczyński in Konkurrenz steht).
Testfall EuGH-Urteil
Die slowakische Regierung hatte im Dezember 2015 als erste beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen den europäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge geklagt und sich geweigert, Flüchtlinge aufzunehmen. Ungarn und Polen schlossen sich später an. Doch das Verhalten von Orbán und Fico nach der Urteilsverkündung Anfang dieses Monats konnte unterschiedlicher kaum sein. Der Gerichtshof hatte die Verteilung für rechtens erklärt und die beiden Länder aufgefordert, umgehend ihren Anteil an Flüchtlingen im Land aufzunehmen. Während in Ungarn die Regierung Orbán postwendend ankündigte, sie werde das Urteil nicht akzeptieren und daher auch keine Flüchtlinge aufnehmen, fiel das Verdikt Ficos vergleichsweise milde aus. Er sei zwar politisch nicht mit dem Urteil einverstanden, beuge sich aber dem Rechtsspruch. Im Gegensatz zu Orbáns Reaktion, stellt die der slowakischen Regierung die Institutionen und Beschlüsse nicht prinzipiell in Frage.
Gut für die EU und das Ende von V4?
Beruhigt kann man über dieses innenpolitische Kalkül Ficos vor allem in Brüssel sein. Während mit Ungarn nach dem EuGH-Urteil viel Ungemach am Horizont aufzieht - die Szenarien reichen von Demütigung der EU bis zum Austritt Ungarns -, bleibt die Slowakei sicher im europäischen Boot. Damit ist auch das Lieblingsprojekt Polens und Ungarns, die Visegradgruppe (V4) zu einer Art institutionalisierter innerer Opposition zur EU aufzubauen, mehr oder weniger deutlich am Ende. Eine kohärente Gesamtstrategie gegenüber der EU liegt Dank Fico in weiterer Ferne denn je. Für einige Zeit sah es so aus, als ob das Flüchtlingsthema eine Klammer sei, die die V4 zu einer Interessengemeinschaft zusammenschmiedet. Aber die unterschiedlichen Reaktionen Ungarns und der Slowakei auf das Urteil haben gezeigt, dass auch diese Gemeinsamkeit auf wackligem Grund steht.
Innenpolitische Gründe
Was steckt hinter Ficos neuer Besonnenheit? Die Gründe für diesen Gesinnungswandel sind eindeutig in der Innenpolitik zu suchen. Zunächst einmal war – was Kommentatoren oft übersehen – Fico nie ein Populist vom Schlage Orbáns oder Kaczyńskis. Zwar hat er nicht gerade selten eine „populistische“ Rhetorik gewählt, um innerhalb des demokratischen Systems der Slowakei bei den Wählern zu punkten, aber er hat nie versucht, das System selbst zu desintegrieren. Die demokratischen Spielregeln hat er nie wirklich verletzt.
Und dann war da noch die Erfahrung der Wahlen von 2016. Bei denen galten er und seine Partei als haushohe Favoriten mit Aussicht auf eine absolute Mehrheit. Fico nutzte dabei das Thema „Flüchtlingskrise“ mit aller rhetorischen Schärfe aus - weil er sicher sein konnte, dass seine Ablehnung von Flüchtlingen und Flüchtlingsquoten von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung begrüßt wurde.
Am Ende kam ein schlimmes Erwachen: Mit 28,3% war die Smer weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Sie musste mit der ungarischen Minderheitenpartei Most–Híd, über die sich Fico vorher recht abfällig geäußert hatte, und der konservativ-populistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) eine reichlich weit gespannte Koalition eingehen. Offensichtlich stimmten die Bürger zwar mit Ficos Skepsis gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen überein, maßen aber dem Thema nicht die überragende Bedeutung zu. Stattdessen stolperte die Partei über Versäumnisse in der Bildungspolitik, die unerwartet am Ende des Wahlkampfs zum Thema wurden und die dem Wählermilieu der Smer anscheinend wichtiger waren. Schlimmer noch: die Anti-Fremdenrhetorik hatte einen großen Teil der Wähler gleich in die Arme der echten „hard core“-Xenophoben getrieben. Mit der SNS musste er eine dieser Kräfte in seine Koalition einbinden. In der Opposition tummeln sich zudem aber auf einmal die ehemalige liberale, jetzt aber eher nationalistisch agierende Partei Freiheit und Solidarität (SAS), die konservativ-populistische OLANA, die ausländerfeindliche Sme Rodina (SR) und die offen rechtsradikale Volkspartei Unsere Slowakei (immerhin 8%!).
Viel Platz in der Mitte
Mit diesen Parteien in ein Wettrennen um die populistischste Ausländer- und Flüchtlingspolitik einzusteigen, wäre für Fico und seine im Kern ja immer noch sozialdemokratische Partei ein sinnloses und gefährliches Unterfangen gewesen.
Gleichzeitig eröffnete das Wahlergebnis mit seinem Trend hin zum extremen rechten Rand neue Möglichkeiten für Fico. Die gemäßigten liberalen und christdemokratischen Parteien, die einst die Reformregierungen der Nachwendezeit gestellt hatten und die schon bei der Wahl 2012 empfindlich geschwächt worden waren, verschwanden vollständig von der politischen Bühne– und zwar so sehr, dass sich ein Comeback zurzeit nirgendwo abzeichnet.
Der Platz in der Mitte ist also seit einiger Zeit verwaist, während am populistischen Rand sich die Parteien nur so tummeln. Kein Wunder also, dass Fico im Augenblick versucht, die politische Mitte zu besetzen, die ein großes Wählerpotential beinhaltet und in der er momentan konkurrenzlos agieren kann.
Sich pro-europäisch zu geben, ist dabei gegenwärtig die beste Strategie. Denn mögen die Slowaken auch in der Flüchtlingspolitik mehrheitlich eine harte Linie favorisieren, so sind sie doch auch eindeutig für den Verbleib in der EU. Es gibt zwar einen hohen Anteil von Euroskeptikern, aber immerhin finden 74% die EU-Mitgliedschaft gut oder gar sehr gut. Sich in Sachen „Flüchtlinge“ skeptisch zu geben, aber darüber die EU und ihre Spielregeln nicht zu gefährden, sondern sich zu ihnen zu bekennen, ist für Fico im Augenblick auf längere Sicht die rationale Strategie schlechthin.
Kein Liberaler
Das ist auf der einen Seite zwar beruhigend, hat aber zur Folge, dass dadurch der Wiederaufstieg genuin liberaler Kräfte gehemmt wird. Denn auch die neue besonnene Europafreundlichkeit macht aus Fico sicher keinen liberalen Reformer. Fico hat, als er 2006 erstmals Regierungschef wurde, wesentliche marktwirtschaftliche Reformen seiner Vorgänger (z.B. die Flat Tax) zurückgenommen und fährt wirtschaftlich einen klar sozialdemokratischen Kurs. Das Land zehrt von der sich langsam aufbrauchenden Wirtschaftsdynamik, die die Vorgängerregierungen entfacht hatten. Ein weitergehenderer Wandel als der, den Fico gerade vollzieht, wäre vonnöten. Aber zurzeit gibt es keinen liberalen Politiker, der Fico ernsthaft herausfordern könnte.
Dr. Detmar Doering ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.