Freihandel
Freihandelsabkommen EU-Mercosur: Chance für einen Neustart der Handelspolitik
Nach zwanzig Jahren Verhandlung ist es der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur gelungen, sich auf ein umfassendes Freihandelsabkommen zu einigen. Mit dem Abkommen wird ein Freihandelsraum mit über 770 Millionen Einwohnern geschaffen, zu dem in Südamerika die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gehören.
Die lange Verhandlungsdauer lag zum einen an strittigen Sachfragen, insbesondere im Bereich Landwirtschaft. Vor allem aber waren sich die Mercosur-Staaten selbst lange Zeit uneinig, ob sie ihren gemeinsamen Markt überhaupt öffnen wollen. So stockten die Verhandlungen unter anderem während der Regierungszeit des Präsidenten Lula da Silva in Brasilien und der Präsidentin Christina Kirchner in Argentinien. Beide Regierungschefs haben sich für ein Wachstumsmodell nach innen eingesetzt, das kaum Erfolge erzielt hat. Auf der anderen Seite haben in der EU beispielsweise Frankreich und Irland vehement für strenge Rindfleisch-Kontingente gestritten. Lange Zeit sah es aufgrund dieser Schwierigkeiten so aus, als ob die Verhandlungen keine Chance auf einen erfolgreichen Abschluss haben.
Das Abkommen umfasst neben dem Gütermarkt auch öffentliche Aufträge und den Agrarsektor und sieht unter anderem umfassende Zollsenkungen sowie den Abbau von nichttariffären Handelshemmnissen wie doppelten Zulassungsverfahren vor. Laut Aussage der EU-Kommission sollen nach der vollständigen Umsetzung des Abkommens alleine auf EU-Seite vier Milliarden Euro Zollgebühren wegfallen. Aktuell sind die Zölle für viele Warengruppen noch relativ hoch. So betragen sie beispielsweise für Autoimporte in die Mercosur-Staaten 35 Prozent. Auf Wein werden 27 Prozent und auf Maschinen 14 bis 20 Prozent Zollgebühren fällig.
Nachdem die Verhandlung über das Abkommen erfolgreich abgeschlossen wurde, muss das Abkommen jetzt noch durch das EU-Parlament ratifiziert werden. Auch der Ministerrat und die nationalen Parlamente müssen noch zustimmen, bevor das Abkommen in Kraft treten kann. Aktuell wird nicht damit gerechnet, dass der Ratizifierungsprozess vor Ende 2020 abgeschlossen werden kann. Es zeichnet sich schon ab, dass insbesondere die Einigung im Agrarsektor von einigen EU-Mitgliedsstaaten wie beispielsweise Frankreich weiterhin kritisch gesehen wird. Die französische Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye hat bereits gefordert, es brauche zum Schutz Zuckerrübenbauern und Rinderzüchtern eine Härtefallregelung, die bei negativen Auswirkungen in den Branchen Importstopps ermöglichen würde. Zum jetzigen Zeitpunkt können deshalb auch Nachverhandlungen nicht ausgeschlossen werden.
Ein Erfolg für Europa
Mit dem Abkommen werden die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Europa verbessert. Allein durch den Abbau der Zölle sollen Abgaben von über vier Milliarden Euro auf europäische Waren entfallen. Von diesen verbesserten Rahmenbedingungen dürfte gerade auch der industrielle Mittelstand profitieren. Das Abkommen ist ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Europäischen Wettbewerbsfähigkeit und eine Stütze der europäischen Konjunktur.
„Nur, wenn wir gemeinsame Standards aufbauen und diese in gegenseitiger Abhängigkeit verbessern, haben wir eine Chance dem Trumpismus entgegenzuwirken. Das neue Freihandelsabkommens wird definitiv den Dialog und den Warenaustausch zwischen der EU und den Ländern des Mercosur-Staatenbundes stärken. Ich bin froh, dass in diesen schwierigen Zeiten noch kleine Wunder geschehen und appelliere auch an unsere französischen Freunde die klar überwiegenden Vorteile dieses Abkommens mehr in die Waagschale zu legen als den Unkenrufen der Skeptiker zu folgen." (Alexander Kulitz, Sprecher für Außenwirtschaft der FDP-Fraktion im BT)
Aus dem deutschen Blickwinkel ist das Freihandelsabkommen mit Mercosur ein Beispiel für erfolgreiche Wirtschaftspolitik, die allen Unternehmen nutzt. Gerade angesichts der Debatte um die Neue Industriestrategie ist dies ein gutes Signal. Statt protektionistischer Eingriffe zugunsten einzelner Akteure brauchen wir mehr Impulse, von der die Wirtschaft insgesamt profitiert. Dies ist aktuell umso wichtiger, da die konjunkturelle Lage seit 2018 deutlich getrübt hat.
Für die europäische Agrarindustrie bedeutet das Abkommen eine verschärfte Wettbewerbssituation. Zu einer fairen Globalisierung und zu Freihandelsabkommenauf Augenhöhe gehört ein Abbau der protektionistischen Maßnahmen im Agrarmarkt jedoch hinzu. Zudem werden die europäischen Verbraucher von der Marktöffnung für Importe aus den Mercosur-Staaten durch niedrigere Preise und eine größere Vielfalt profitieren. Die EU-Kommission versichert zudem, dass europäische Standards in den Bereichen Lebensmittelsicherheit, Arbeitsrecht und Umweltschutz durch das Abkommen nicht abgesenkt werden. Das Abkommen enthält auch ein explizites Bekenntnis zum Übereinkommen von Paris, in dem sich Brasilien dazu bekennt, illegale Rodungen zu stoppen und Wiederaufforstungsprogramme durchzuführen.
Ein Durchbruch für Mercosur: Öffnung oder Tod
Der Abschluss der Verhandlungen kommt zur richtigen Zeit, denn Mercosur stand vor der Alternative: Öffnung oder Tod. Der treibende Faktor dabei war die prekäre Wirtschaftslage in der Region. Denn das am Binnenmarkt orientierte Wirtschaftsmodell hat nicht zu dem versprochenen Wohlstandswachstum geführt.
Für Brasilien und Argentinien reicht es nicht aus, nur im Fußball in der ersten Liga zu spielen. Sie wollen und müssen auch stärker vom internationalen Markt profitieren. Das brasilianische Wirtschaftsministerium rechnet durch die gesenkten Zölle alleine in Brasilien mit bis zu 125 Milliarden Dollar Wachstum des Bruttoinlandsprodukts innerhalb der nächsten 15 Jahre. Im gleichen Zeitraum sollen die Auslandsinvestitionen zudem um 113 Milliarden Dollar ansteigen. Die Zustimmung für das Abkommen ist in den Mercosur-Ländern entsprechend groß. So brach der argentinische Außenminister Jorge Faurie bei der Ankündigung der Einigung in Tränen aus. Auch unter den Anhängern von Präsident Mauricio Macri der eine große Rolle bei der Fortsetzung der Verhandlungen gespielt hat, gibt es eine große Begeisterung. Das Abkommen gibt nicht nur Macri einen Schub für den Präsidentschaftswahlkampf, sondern signalisiert die Öffnung der argentinischen Wirtschaft.
Für die Mercosur-Staaten ist das Freihandelsabkommen mit der EU ein großer Schritt in Richtung einer besseren internationalen Vernetzung. Andere Lateinamerikanische Länder haben bereits deutlich mehr Freihandelsabkommen abgeschlossen. Mexico hat beispielsweise Abkommen mit 50 Handelspartnern abgeschlossen, der unmittelbare Mercosur-Nachbar Chile sogar mit 56.
Freihandel ist kein Selbstläufer
Die Einigung auf das Abkommen ist ein Lichtblick in Zeiten von Handelskriegen und einer zunehmend protektionistisch geprägten Handelspolitik. Deshalb sollte die EU die anstehende Ratifizierung möglichst schnell abschließen. Das Abkommen bietet eine gute Möglichkeit, sich für eine faire Globalisierung auf Augenhöhe mit Lateinamerika einzusetzen. Sie kann mit dem Abkommen zudem ein starkes Signal gegen den wachsenden Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus setzen.
Für die Mercosur-Länder wird das Freihandelsabkommen trotz aller Euphorie kein Selbstläufer. Damit sie von der Öffnung nachhaltig profitieren können, müssen Sie ihrer Wirtschaft die Möglichkeit zur Modernisierung und Weiterentwicklung geben. Ohne Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Investitionssicherheit und Bürokratieabbau werden es die Unternehmen schwer haben, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Zudem müssen insbesondere Argentinien und Brasilien ihre staatlich kontrollierten Wirtschaftssysteme weiter öffnen, auch wenn die dafür nötigen Reformen kurzfristig schmerzhaft sein werden. Hier gibt es eine Parallele zum Agrarsektor in der EU, der sich bei einer fairen Gestaltung der Globalisierung ebenfalls weiter öffnen muss. Auch dieser Prozess wird jedoch nicht ohne schwierige Anpassungen gelingen.
In den letzten Jahren standen in den Mercosur-Ländern häufig politische Auseinandersetzungen im Vordergrund. Das Abkommen bietet für Mercosur die große Chance zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich wieder stärker der wirtschaftlichen Integration zu widmen.
Justus Lenz ist Referent beim Liberalen Institut.
Diana Luna ist Referentin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Lateinamerika.