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Krieg in Europa
Gas Geben – Russlands Ressourcenproblem

Gaspipeline

Eine Gaspipeline des deutsch-russischen Joint Ventures Achimgaz in Russland

© picture-alliance/ dpa | DB Wintershall

Gas geben – Geld nehmen. Überspitzt könnte man so die russischen Exporte nach Europa beschreiben. Ohne Zweifel eine Vereinfachung, die die Realität nicht ganz widerspiegelt. Denn neben Erdgas exportiert Russland auch Kohle und Erdölderivate - insgesamt ging in der Vergangenheit mehr als die Hälfte der Außenhandelseinnahmen auf fossile Energien und mineralische Rohstoffe zurück. Denn auch seltene Erden wie Palladium gehören zum Handelsportfolio Russlands.

Das größte Land der Erde ist reich an Bodenschätzen und der Handel mit diesen Ressourcen bringt einen Geldsegen – zumindest für die Eliten. Diese sind bestens mit den politischen Entscheidungsträgern im Kreml vernetzt. Die Ergebnisse dieser Verflechtung sind offensichtlich: Durch Günstlingswirtschaft und Desinformation wurde der Rechtsstaat ausgehöhlt – sofern er je existierte. Gleichzeitig ist der Schwerpunkt der russischen Wirtschaftspolitik und der Außenhandelsaktivitäten der Handel mit Ressourcen geblieben. Andere Wirtschaftsbereiche aber wurden in der Vergangenheit vernachlässigt. Erst in jüngster Zeit wird versucht, auch den IT- und Landwirtschaftssektor international zu positionieren – mit einigem Erfolg. Doch erschweren korrupte Strukturen und mangelnde Rechtssicherheit Gründungen und Investitionen. Zudem ist die russische Infrastruktur marode und die Industrie zum großen Teil noch auf dem technischen Stand der Sowjetzeit. Somit bietet sich wenig Raum für Synergien zwischen zukunftsorientierten Unternehmen und eine Modernisierung der Wirtschaft bleibt aus. Vielleicht ist das auch gewollt, denn der Fokus auf den Handel mit Bodenschätzen zementiert den Status quo.

Das ist ganz im Interesse der russischen Oligarchen und deren Dunstkreis. Denn sie sind die Profiteure des etablierten Systems. Um sicherzugehen, dass Emporkömmlinge und Kritik am Regime im Keim ersticken, schrecken die Eliten vor keinem Mittel zurück. Mit skrupelloser und perfider Gewalt werden unliebsame Bürger und Organisationen unterdrückt – insbesondere von staatlichen Institutionen. Wenn es für notwendig erachtet wird, schrecken die Entscheidungsträger auch vor Mord nicht zurück. Somit entsteht ein Klima der Angst und kritische Stimmen verstummen. Gleichzeitig verbreitet ein ausgefeilter Medien- und Propagandaapparat das Narrativ vom Feind im Westen - weshalb Regimetreue zur Staatsraison wird: Ein stabiles Gleichgewicht aus Faktenmanipulation und Einschüchterung stellt sich ein.

Doch die Geschichte hat gezeigt, dass ein alleiniger Fokus auf Bodenschätze kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum bescheren kann – von gesellschaftlicher Entwicklung ganz zu schweigen. Dafür gibt es eine Bandbreite von Gründen. Zu den wichtigsten gehört zweifelsohne, dass die Rohstoffexporte den Realwert der Landeswährung steigen lassen. Das hat zur Folge, dass die Industrieproduktion eines Landes vergleichsweise teurer wird als in den Partnerländern. Somit verliert das verarbeitende Gewerbe des Landes im wirtschaftlichen Wettbewerb an Boden – eine Deindustrialisierung ist die Folge. Gleichermaßen haben ressourcenreiche Nationen häufig ein geringeres Bildungsniveau als andere Nationen mit einem vergleichbaren Wirtschaftserfolg. Denn der Ressourcenabbau erfordert zumeist keine ausgeprägte formale Bildung der Arbeitskräfte. Diese mangelnde Bildung wiederum behindert den Aufbau komplexerer Industrien und des weiterverarbeitenden Gewerbes – somit wird die langfristige Entwicklung der Volkswirtschaft und der Gesellschaft ausgebremst. Das wiederum ermöglicht, dass sich Diktaturen und ausbeuterische Oligarchien besonders leicht manifestieren können. Folgerichtig haben die Wirtschaftswissenschaften dieses Phänomen Ressourcenfluch getauft. Und was zunächst befremdlich klingt ist empirisch robust und historisch belegbar. Besonders, wenn schwache staatliche Institutionen ausbeuterische Praktiken nicht unterbinden, sondern gar unterstützen.

Russland kann in vielerlei Hinsicht als Paradebeispiel für den Ressourcenfluch herangezogen werden. Doch die Zeiten, in denen russische Rohstoffexporte eine Bonanza in die Kassen der Wirtschaftsmagnaten gespielt haben, dürften bald zu einem Ende kommen. Beispielsweise Europa hat es sich als Antwort auf den russischen Krieg in der Ukraine zum erklärten Ziel gemacht, russische Energieträger zu meiden. Das wird bei Kohle und Erdölderivaten schon zeitnah möglich sein. Und mittelfristig wird auch russisches Gas für den Westen an Bedeutung verlieren. Das heißt freilich nicht, dass Russland auf seinen Energieträgern sitzen bleiben wird - in China und Indien finden sich dankbare Abnehmer. Allerdings werden die Handelskonditionen aus russischer Perspektive deutlich schlechter sein. Denn die neuen Abnehmer sind sich durchaus bewusst, dass das russische Angebot vom Westen geschmäht wird. Folglich werden sie niedrigere Preise aushandeln können und die Renditen der Oligarchen schmälern. Das dürfte wiederum langfristig das etablierte gesellschaftliche Gleichgewicht destabilisieren. Ob das russische Unrechtsregime daher in einer nicht allzu fernen Zukunft dem Ressourcenfluch zum Opfer fallen wird, ist ungewiss. Bis dahin bleibt - zumindest wirtschaftlich -  „Russland eine als Land verkleidet Tankstelle“, um mit den Worten des US-Senators John McCain zu enden.