Wirtschaft und Krise
Globale Wirtschaftskrise in Marokko: hart, aber anders
Marokko ist seit der Jahrtausendwende Beachtliches gelungen: Ein rasantes Wachstum von Bevölkerung und Wohlstand. Menschen, die das Land erstmals seit 10 oder 20 Jahren wieder besuchen, sind oft beeindruckt von den schicken Straßen und den neuen Autos, die darauf verkehren.
Nun wird Marokko jedoch von einer wirtschaftlichen Doppelkrise getroffen. Auf die Covid-Pandemie mit ihren massiven Auswirkungen auf den so wichtigen Tourismussektor folgt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, verbunden mit einer weltweiten Inflation. Erschwerend kommt für das Land zwischen Sahara und Atlantik noch eine historische Dürre hinzu, die einen Ausfall von ca. 65 Prozent der Weizenernte verursacht hat.
Das nationale Amt für Statistik beziffert die Folgen dieser Doppelkrise mit alarmierenden Zahlen: 3,2 Millionen Menschen, also nicht weniger als knapp ein Zehntel der Bevölkerung, seien in Armut oder unmittelbare Armutsgefahr zurückgefallen. Dies entspricht den Statistiken von 2014. Sieben Jahre Fortschritt bei der Armutsbekämpfung sind also zurückgedreht worden. Am härtesten trifft die Krise ungelernte Arbeiter, Händler und Beschäftigte in der Landwirtschaft – und natürlich die unzähligen jungen Menschen, die schon vor der Doppelkrise arbeitslos waren und denen Marokko kaum wirtschaftliche Hoffnung bietet.
Im Kampf gegen Inflation und Armut kann die Regierung immerhin auf zwei Vorteile bauen. Erstens gehört die „Preisbremse“ für Produkte des Grundbedarfs zu den Gründungstraditionen des marokkanischen Staates. Weizen, Zucker, Speiseöl und Butangas zum Kochen sind seit jeher subventioniert. So kostet eine Flasche Butangas weiterhin nur ca. vier Euro und ein kleiner Laib Brot nur ca. elf Cent. Zweitens wird in marokkanischen Privathaushalten nicht geheizt, obwohl es durchaus kalte Wintertage gibt. Die Angst vor den winterlichen Gasrechnungen kennen die Marokkaner also nicht.
Der Schutz der Verbraucher vor den steigenden Preisen kommt den Staat jedoch zunehmend teuer zu stehen. Die Gesamtaufwendungen für Subventionen werden 2022 über 3,6 Milliarden Euro und damit etwa ein Zehntel des Haushaltes ausmachen. Die Folge sind weiter steigende Staatsschulden und die Verzögerung der eigentlich so wichtigen Investitionen in Bildung und Gesundheit. Marokko hofft 2023 auf ein gesundes Wirtschaftswachstum und auf gutes Wetter – denn die Landwirtschaft ist noch immer der wichtigste Wirtschaftszweig.
Globale Energiekrise: Marokko – das deutsche Pendant in Afrika
In keinem anderen afrikanischen Land sind erneuerbare Energien so weit entwickelt wie in Marokko. Sie decken mittlerweile bis zu 40 Prozent des nationalen Elektrizitätsbedarfes, bis 2035 sollen es mehr als 50 Prozent sein. In der aktuellen kriegsbedingten Energiekrise macht sich nun bezahlt, dass König Mohamed VI seinem Land schon früh eine ambitionierte Energiewende verordnet hat. Damals ging es um Klimaschutz, aber auch um Unabhängigkeit von Importen, denn Marokko verfügt über keinerlei fossile Ressourcen.
Marokko und Deutschland teilen in puncto Energiewende somit dieselbe Vision und ähnliche Erfahrungen, aber auch die gleichen Probleme. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist bei Weitem nicht so schnell und so erfolgreich verlaufen wie von den Verantwortlichen in Rabat gewünscht. Ursächlich dafür waren sowohl die Monopolstrukturen der staatlichen Energieunternehmen als auch technologische Fehlentscheidungen.
Als Konsequenz muss das Königreich am Atlantik, ähnlich wie Deutschland, immer noch mehr als die Hälfte seines Strombedarfes und fast seinen gesamten Straßenverkehr mit fossilen Energien versorgen. Vor den Härten der globalen Preissteigerungen für Kohle, Gas und Öl bleibt Marokko daher nur unzureichend geschützt.
Noch schlimmer als in Deutschland können geringe Preissteigerungen für Strom und Kraftstoff, viele Privathaushalte und kleine Unternehmen mangels Rücklagen direkt in den finanziellen Ruin stürzen. Die Regierung sieht sich daher gezwungen, alleine den Strommarkt mit umgerechnet zwei Milliarden Euro zu subventionieren.
Eine Wiedereinführung einer Preisbremse für Benzin und Diesel lehnt die Regierung mit Verweis auf die exorbitanten Kosten aber ab. So stieg der Preis für den Liter Diesel seit Januar von ca. 1 Euro auf 1,60 Euro und löste dadurch wütende Proteste durch Pendler und Taxifahrer aus. In den sozialen Medien kursierten erstmals Rücktrittsforderungen an Premierminister Aziz Akhannouch.
Unter dem Druck von Straße und Weltmarkt erwägt auch Rabat einen Einstieg in die Atomenergie. Es hat jüngst Verträge zu einer nuklearen Zusammenarbeit mit Israel und dem russischen Staatskonzern Rosatom abgeschlossen. Letzteres erscheint inmitten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine besonders kurios. Aber in Marokko hofft man, dem Erzfeind Algerien seinen traditionellen Alliierten Russland Stück für Stück abwerben zu können. Solidarität mit der Ukraine und Skepsis gegenüber der Vertrauenswürdigkeit Russlands sind vor diesem Hintergrund zweitrangige Erwägungen. Bis zur Inbetriebnahme eines marokkanischen Kernkraftwerkes, falls es dazu wirklich kommt, wird aber in jedem Fall noch ein Jahrzehnt verstreichen.
So hart Marokko die aktuelle Wirtschafts- und Energiekrise trifft, darf es hoffen, in der nächsten vergleichbaren Krise besser vorbereitet zu sein. Es verfügt immerhin über jahrelanges Know-how beim Ausbau erneuerbarer Energien und schickt sich an, einer der führenden Versorger Europas mit grünem Wasserstoff zu werden.