Istanbul-Konvention
Herr Ziobro und das „Gender-Kauderwelsch“
Justizminister Zbigniew Ziobro hat geschworen, den Rückzug Polens aus der „Istanbul-Konvention“, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zu erreichen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Er sagte, die Konvention enthalte schädliche, ideologische Elemente. Er betonte auch, dass Polen mit dem Schutz der Frauenrechte und der Verhütung häuslicher Gewalt ohne die Konvention gut zurechtkomme. Ziobros Stellvertreter Marcin Romanowski fügte hinzu, dass Polen die Konvention so bald wie möglich aufkündigen sollte und nannte den Vertrag „Gender-Kauderwelsch“.
Die Istanbul-Konvention des Europarates wird allgemein als das fortschrittlichste rechtsverbindliche internationale Instrument zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Vergewaltigung in der Ehe, anerkannt. Das Übereinkommen wurde nur von Russland nicht unterzeichnet. Großbritannien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Lettland, Litauen, die Ukraine, Ungarn, Bulgarien, Armenien und Moldawien haben es noch nicht ratifiziert. Klar ist, dass der Rückzug Polens aus der Konvention einen großen Rückschlag für die Achtung der Menschenrechte in Polen und in der Europäischen Union im Allgemeinen bedeuten würde.
Das Thema der Konvention tauchte unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl in Polen auf. Es begann mit einem negativen Kommentar der Ministerin für Familie und Arbeit Marlena Maląg. Später wurden ihre Worte als Missverständnis dementiert. Ein privater Radiosender berichtete, dass Maląg eine Sprachregelung, die sie von der Parteizentrale von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) erhalten hatte, missverstanden und die Parteiführung mit ihren Worten verwirrt habe. Aber Ziobro beschloss, diesen „Fehler“ in seinem politischen Spiel zu nutzen. Ziobro leitet die Partei „Solidarisches Polen“, einen kleinen Koalitionspartner von PiS, der die härteste konservative Linie der Regierungskoalition repräsentiert. Ziobro und seine Kollegen möchten die Unterstützung rechtsradikaler Wähler gewinnen, einschließlich derjenigen, die sich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 28. Juni für Krzysztof Bosak von der unerwartet starken Konföderationspartei entschieden hatten. „Solidarisches Polen“ ist eng mit der katholischen Kirche verbunden und fördert eine ultra-konservative soziale Agenda.
Die PiS beschwert sich seit langem über die Istanbul-Konvention, die Polen unter der Regierung von Bürgerplattform (PO) und Polnischer Volkspartei (PSL) 2012 unterzeichnete und 2015 ratifizierte. PiS machte sie zu einem Hauptthema der Präsidentschaftskampagne 2015, die dem gerade im Amt bestätigten Andrzej Duda den Weg für das wichtigste Amt des Landes ebnete. Später präsentierte sich die damalige Premierministerin Beata Szydło als ausgesprochene Gegnerin der Konvention, die die Stadt Zakopane dafür lobte, dass sie das Übereinkommen als einzige polnische Stadt nicht vor Ort umsetze. PiS behauptet, dass die Konvention gegenüber der Religion respektlos sei und den Unterricht in liberaler Gesellschaftspolitik an Schulen einfordere. Polnische Rechtspopulisten führen die Konvention häufig als Beispiel für die sogenannte „Gender-Ideologie“ an, um damit Angriffe auf die Rechte von LGBT-Menschen zu legitimieren. Diese hasserfüllte und spaltende Rhetorik war die Hauptachse von mindestens drei erfolgreichen Wahlkämpfen in den Jahren 2019 und 2020.
Trotz der allgemein feindlichen Haltung der PiS gegenüber der Konvention scheint es nicht so, als ob Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der PiS, jetzt einen Krieg mit Frauenorganisationen beginnen möchte. Der stellvertretende Minister für Staatsvermögen Artur Soboń von PiS sagte, Minister Ziobro habe „tatsächlich jedes Recht, eine solche Forderung zu erheben“, fügte jedoch hinzu, die Regierung habe keine Entscheidung getroffen, aus der Konvention auszutreten. Auch der Leiter des Büros des Ministerpräsidenten bestritt, dass eine endgültige Entscheidung über den Rückzug gefallen sei.
Proteste auf Polens Straßen
Wegen der Äußerungen Ziobros wurden in den Straßen vieler polnischer Städte große Proteste organisiert. Tausende Frauen und Männer versammelten sich in Warschau und anderen Orten. Marta Lempart, eine der Führerinnen der sogenannten „Schwarzen Proteste“ für Frauenrechte, sagte, dass Minister Ziobro häusliche Gewalt legalisieren wolle. Die Demonstranten erinnerten an die ablehnende Haltung der PiS gegenüber Frauenrechten. Sie sagten, dass sie nicht nur das von PiS im Jahr 2016 vorgeschlagene Gesetz zum vollständigen Verbot von Abtreibungen nicht vergessen könnten, sondern ebensowenig den Feldzug der Regierung gegen entsprechende NGOs, wie etwa dem Frauenrechtszentrum in Warschau, das alle öffentlichen Mittel gestrichen bekam und deshalb weiblichen Opfern häuslicher Gewalt nicht mehr helfen konnte. Das Thema der häuslichen Gewalt ist heute in Polen aktueller denn je, da Berichte über solche Vorfälle während der Covid-19-Pandemie deutlich zunahmen.
Marija Pejčinović Burić, Generalsekretärin des Europarates, verurteilte den Plan der polnischen Behörden, vom Übereinkommen zurückzutreten. „Das Verlassen der Istanbul-Konvention wäre höchst bedauerlich und ein enormer Rückschritt für den Schutz von Frauen vor Gewalt in Europa“, sagte Pejčinović Burić in einer Erklärung. „Falls es Fehlinterpretationen oder Missverständnisse bezüglich der Konvention gibt, sind wir bereit, diese in einem konstruktiven Dialog zu klären“, erklärte sie.
Der Vorsitzende von Renew Europe, Dacian Cioloş, twitterte: „Den Kampf gegen die Istanbul-Konvention als Beleg ihrer konservativen Haltung zu nutzen, ist ein neuer erbärmlicher und kläglicher Schritt einiger Mitglieder der PiS-Regierung.“ Guy Verhofstadt betonte, dass dies ein „skandalöser“ Schritt sei. Er fügte hinzu, dass „Gewalt kein traditioneller Wert ist.“ Clément Beaune, französischer Minister für europäische Angelegenheiten, sagte, man könne Polen Dank neuer Mechanismen im EU-Haushalt „ans Portemonnaie gehen“, wenn es aus dem Übereinkommen austrete.
Was aber bedeutet die Ziobros Erklärung in der Tat? Politisch viel, da sie den eifrigen Justizminister ins Zentrum einer hitzigen Diskussion bringt, die für ihn im Kontext interner Kämpfe innerhalb der Regierungskoalition kurz vor der erwarteten Regierungsumbildung so wichtig ist. Die geplante Regierungsumbildung wurde von Premierminister Morawiecki (dem wichtigsten politischen Gegenspieler Ziobros in der Regierung), der die Anzahl der Ministerien um die Hälfte reduzieren will, kurz nach der Präsidentschaftswahl angekündigt. Rechtlich hat diese Erklärung jedoch keine schwerwiegenden Konsequenzen. Es ist nicht Sache des Justizministers oder des Familienministers, sich aus der Konvention zurückzuziehen. Der Rückzug aus dem Übereinkommen müsste von der Regierung initiiert, von beiden Kammern des Parlaments unterstützt und vom Präsidenten unterzeichnet werden. Es wäre ein langer Prozess und es ist unwahrscheinlich, dass er jetzt mit dem Segen von Jarosław Kaczyński, der sich nun mehr auf Medien, Bildung und Wirtschaftssituation nach der Krise konzentrieren möchte, gestartet wird. Es ist wahrscheinlicher, dass verschiedene Regierungsfraktionen die Konvention zu eigenem politischen Vorteil nutzen und Fehlinformationen und -interpretationen verbreiten werden.
Leider werden polnische Frauen den höchsten Preis für dieses politische Spiel zahlen. Die Verhütung von Gewalt, der Schutz der Opfer und die Verfolgung der Täter stehen im Mittelpunkt der Konvention und sollten in Zukunft sowohl für diese Regierung als auch für jede andere Regierung oberste Priorität haben. Etwas zu tun, was das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit von Frauen in Gefahr bringt, ist einfach schändlich, aber Ziobro & Co. verstehen dieses Wort nicht.
Milosz Hodún ist Referent der liberalen Nowoczesna-Partei und Vorstandsmitglied von „Projekt: Polska“. Seine Interessensfelder sind vergleichendes Verfassungsrecht und Föderalismus. Bis September 2015 war er als Experte im Rahmen des „Presidential Experts' Program“ in der Kanzlei des Präsidenten der Republik Polen tätig. Er ist Vorstandsmitglied des Europäischen Liberalen Forums.