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Stabwechsel
„Ideen brauchen überzeugende Botschafter und die liberale ganz besonders"

Wolfgang Gerhardts Abschiedsrede anlässlich des Vorstandswechsels der Stiftung
Wolfgang Gerhardt bei seiner Abschiedsrede beim Stabwechsel in der Bauakademie

Wolfgang Gerhardt bei seiner Abschiedsrede beim Stabwechsel in der Bauakademie

© Wolfgang Borrs / franknuernberger.de

Walter Scheel hat einmal gesagt: „Wenn Sie einmal so richtig in sich gehen wollen, müssen Sie einen guten Freund bitten, eine Rede auf Sie zu halten. Hinterher sind Sie ganz zerknirscht.“ Das mit dem guten Freund stimmt bei Jürgen Morlok, ich bin aber nicht zerknirscht. Obwohl, als ich mit Blick auf den heutigen Tag in meinem Oberstübchen Inventur gemacht habe, um eine Glattstellung meiner Bilanz vorzunehmen, schlichen sich ganz unterschiedliche Gemütsregungen ein.

Das Leben ist eben eine Großbaustelle. Es enthält Kurzgeschichten, Bremswege, Stufen, wie sie von Hermann Hesse so wunderbar in seinem Gedicht ausgemalt worden sind. Manchmal ist man von Unveränderlichkeiten geradezu umzingelt und es stößt einem mehr zu als man selbst anstoßen kann.

Aber: Der Satz von Konfuzius „Wenn du liebst, was du tust, musst du nie arbeiten“ war nicht weit entfernt von meinen Gefühlen bei Wahrnehmung verantwortlicher Aufgaben. Ohne deshalb so zu tun, als ob das alles leicht von der Hand gegangen wäre.

Das Ganze will ich Ihnen aber nun nicht, wie man es landläufig bei runden Geburtstagen, Goldenen Hochzeiten und ähnlichen Familienfesten Revue passieren lässt, zumuten. Schon bei denen langweilte es die Enkel, die Suppe wurde kalt und der Wein warm. Deshalb wenige Bemerkungen sozusagen nach dem Loriotschen Motto „Was ich schon immer einmal sagen wollte“.

Argumente spielen zweifellos nicht immer die Rolle, die sie spielen müssten. Manche Menschen vertreten ihren Glauben und ihre Überzeugungen in einer Art von Gewissheit, die jede Kultur der Toleranz zerstört. Deshalb sollten wir uns dennoch nicht auf jede Wirtshausschlägerei einlassen. Ansehensgewinn erzielt Politik im Charakter von Personen, in Substanz und Kompetenz.

Substanz lässt sich aber nicht ausschließlich durch jene Anstrengungen herstellen, die parteipolitische Programmatik durch Vordenker, Querdenker und Nachdenker oft in fensterlosen Räumen auf Papier bannt und Spiegelstrich um Spiegelstrich nahezu unerbittlich aneinanderreiht. Ein bisher unbeschriebenes Blatt verleitet manchen unserer Mitmenschen zu glauben, dass die Welt sozusagen ganz  neu aufgeschrieben werden könnte. Aber selbst der Sozialismus an dem doch immer noch so viele Träume hängen, hatte nicht viel mehr als Papiertigerqualität.

Und viele, die dem Drang des Niederschreibens erlegen sind, haben allzu oft die Nebenwirkung eines entsprechenden Gesichtsausdrucks, der die Tiefe ihrer Ernsthaftigkeit eher auf Kosten von Humor und Lebensart zum Ausdruck bringt. Wer Ideen derart trist verkörpert, hat keinen Erfolg.

Ideen brauchen überzeugende Botschafter und die liberale ganz besonders. Sie braucht Menschen, die Fähigkeiten und Können mit Bescheidenheit verbinden, Vertrauen ausstrahlen und ihre Person hinter das Werk zu bringen. Das ist das Ensemble von Eigenschaften, das Politik Gestalt gibt und eine Idee im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert. Für solche Persönlichkeiten sollte es in der liberalen Familie keine Obergrenzen geben. Gerade sie brauchen wir in einer Zeit, in der eine weltweite Konterrevolution gegen den Liberalismus auf dem Weg ist. Für Politiker gibt es kein Trockendock. Verbesserungen müssen immer auf der Fahrt unternommen werden. Nicht jeder muss und kann der Beste sein, aber alle müssen ihr Bestes geben.

Je besser es Menschen geht, desto mehr wenden sie sich oft gegen genau das, wodurch es ihnen besser geht. Es gibt anscheinend eine menschliche Negationsbereitschaft, die auch dann nicht verschwindet, wenn es Menschen gut geht. Im Gegenteil: In Gegenwartsverdruss und Übererwartung werden noch die ganzen Ecken durch Gerechtigkeitsrhetoriker ausgeleuchtet, die die Wünsche der Prinzessin auf der Erbse aus Andersens Märchen bestens verkörpern.

Es gibt Menschen, denen geholfen werden muss, es gibt allerdings auch Zeitgenossen, die sich gern den Status des Opfers zulegen und einen hohen Sündenbockbedarf haben. Sie verschieben gerne eigene Verantwortung auf die bekannten Nebeladressen. Auf die Politik generell, die Kälte der westlichen Zivilisation, die Europäische Union, sogar auf die eigenen Eltern oder den jeweiligen Ehepartner.

Es fällt Menschen unglaublich schwer, auch ganzen Staaten, an der misslichen Lage, in der sie gerade sind, auch nur den geringsten Anteil eigener Verantwortung zu erkennen. Man fragt sich unwillkürlich, welche Kraft in der deutschen Zivilgesellschaft eigentlich wirklich steckt oder welche sie mobilisieren könnte, wenn Wachstumsraten geringer, wirtschaftliche Schwierigkeiten größer, Erfolgsaussichten schwächer und Bedrohungen ernsthaft werden sollten.

Ralf Dahrendorf, der Vorstandsvorsitzender unserer Stiftung war, beschäftigte die Frage, was die offenen Gesellschaften den Menschen als Ausgleich für die trügerischen wie tröstlichen Imaginationen anbieten sollten, die den Verlust an diesseitigen Gewissheiten ausgleichen könnten.

Joachim Fest, der sich mit dieser Frage auseinandersetzte, erwiderte, dass das einzige Versprechen offener Gesellschaften die prekäre, immer wieder von Mühsal begleitete Aussicht auf ein halbwegs erträgliches Zusammenleben von Menschen mit Menschen sei. In diesem gewöhnlichen Weg liege das eigentliche Pathos der Idee einer freiheitlichen Ordnung.

Wenn in einer Gesellschaft allerdings, so möchte ich hinzufügen, nahezu alles in Watte gepackt wird, wenn jedes Problem mit Geld zugeschüttet wird und wenn politische Debatten nahezu ausschließlich nach dem Motto „Wer bietet mehr?“ stattfinden, dann geht das Bewusstsein dafür verloren, dass die wirklichen Herausforderungen und Qualitäten freiheitlicher Gesellschaft auch in ihrer Fähigkeit und ihrer Bereitschaft liegen, Anstrengungen zu unternehmen, die jenseits von materiellen Anreizen liegen. Dann erst zeigt sich die zivilisatorische Qualität einer Gesellschaft. Daraufhin wird aber in Deutschland wenig trainiert.

Wir müssen uns deshalb erneut und immer wieder der Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung bewusst sein. In ihren Fehlern und Schwächen, aber auch in ihrer Kraft – wer das nicht will und nicht kann, der kann im Übrigen auch niemand integrieren. Wer an sich selbst zweifelt, wo er stark ist, und sorglos bleibt, wo er Schwächen hat, der macht einen großen Fehler. Keine Fortbildungsveranstaltung, kein Volkshochschulkurs, kein Fähigkeitsseminar kann erfolgreich sein, wenn diese Erkenntnis fehlt.

Der Historiker Fritz Stern, der Deutschland in seiner dunkelsten Stunde verlassen musste, hat uns zu Recht anempfohlen, etwas mehr Dankbarkeit über das Erreichte zu empfinden. Deutschland verlor zwei Weltkriege, es trieb große Teile seiner Eliten aus dem Land, es verlor ein Drittel seines Territoriums und wurde geteilt. Deutschland kam wieder auf die Beine. Manche sagen, wir hätten Glück gehabt. Ja, wir hatten das Glück, dass unser Grundgesetz von Menschen aus demokratischen Parteien gestaltet wurde und nicht von Wirrköpfen. Und dass es ein grundlegendes Rechtsdokument zur Selbstvergewisserung unserer Nation ohne imperiales Gehabe wurde.

Mit ihm präsentierte sich Deutschland mit einer Visitenkarte, vor der unseren Nachbarn nicht wieder angst und bang werden musste. Für uns hier ermöglichte es ein Leben mit Freiheit, das vielen vor uns wegen der deutschen Obsession versagt war. In unserem Magazin liberal unternahm Hans Wolfgang Rubin 1967 einen Vorstoß zu einer neuen Deutschlandpolitik. Der damalige Vorstandsvorsitzende unserer Stiftung wollte – wie Walter Scheel – auch, dass die deutsche Politik ihre Tabuzonen überwindet. Es ging um die Anerkennung der Grenzen in Europa, in ganz konkretem Fall um die Anerkennung der Grenze zu Polen, der Oder-Neiße-Linie. Es folgte ein polnisches Gewitter in dem die FDP wahlweise als Vaterlandsverräter oder als Verzichtspolitiker gebrandmarkt wurde. Sie erreichte den Bundestag nur knapp, Rubin, Wolfgang Mischnick, der spätere Vorstandsvorsitzende unserer Stiftung, Walter Scheel, unser Kuratoriumsvorsitzender, sie handelten damals für ein Deutschland von morgen.

Deshalb sollten wir all denen entgegentreten, die in neuen Uniformen das Totalitäre wieder etwas aufhübschen wollen. Sie sind die Verlierer von morgen. Sie wissen gar nicht was sie sich selbst und unserem Land antun. Ich bin das Volk, mein Wille geschehe, klingt nicht demokratisch, sondern gefährlich.

Es gibt prosperierende Gemeinwesen und scheiternde. Es gibt Newcomer, deren Selbstbewusstsein weit über ihren Fähigkeiten liegt. Es gibt an der Spitze mancher Staaten Politiker, die intellektuell gewaltig untertourig auftreten. Es gibt eine neue Abrissbirne in Amerika. Es gibt einen sich aufblasenden Nationalisten in der Türkei. Es gibt einen chinesischen Führer, der völlig neue Seekarten aufschlägt. Es gibt einen russischen Präsidenten, der in imperialer Nostalgie lebt. Es gibt unseren befreundeten Nachbarn Großbritannien, das da davon überzeugt ist, alleine besser durchzukommen. Auch in diesem Fall zeigt sich, dass Volksentscheide mit Vorsicht bewertet werden sollten, vor allen, wenn sie über die Größenordnung einer WG hinausgehen, schrieb neulich ein Witzbold.

Weltweit haben längst noch nicht alle gelernt, dass es für Krieg und Gewalt keine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation mehr gibt und auch nie gegeben hat. Albert Einstein bemerkt dazu, dass die Welt nicht nur von denen bedroht wird, die böse sind, sondern auch von denen, die das Böse zulassen. Darüber muss sich Deutschland Gedanken machen, denn es gibt viele, die eine Art von, wie Heinrich August Winkler schreibt, pathologischem Lernen aus der deutschen Katastrophengeschichte pflegen.

Bei allem Verständnis dafür, dass unsere Gesellschaft diesbezüglich Schwierigkeiten hat, weil im letzten Jahrhundert zum Falschen 12 Jahre lang Ja gesagt und zum Richtigen – der Weimarer Republik - 15 Jahre lang Nein gesagt worden ist. Sicherheitspolitik darf kein kontaminiertes Wort sein und Wegschauen ist kein ethischer Horizont. Diplomatische Mittel bleiben im Ernstfall wirkungslos, wenn hinter ihnen keine sicherheitspolitischen Fähigkeiten stehen. Verantwortliche Politik und eine verantwortungs-bewusste Gesellschaft müssen sich dieser Erkenntnis stellen.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung arbeitet weltweit in vielen Ländern. Wir mussten unser Büro in Peking schließen, wir haben zuletzt wieder eines in Hongkong aufgemacht, wir konnten in Ägypten nicht mehr arbeiten, wir haben in Amman ein neues Büro eröffnet. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit vertritt die Freiheit und sie gibt nie auf. Deshalb danke ich all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns weltweit vertreten, für ihre Courage, für ihren Mut, für ihre Arbeit.

Ich danke Dir, lieber Jürgen Morlok für Deine Arbeit als Vorsitzender des Kuratoriums in Kontrolle und Anregung stets in kollegialer und freundschaftlicher Atmosphäre allen Mitgliedern des Kuratoriums und meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Vorstand für die Unterstützung. Ich danke auch den Stiftungen, die heute unsere Gäste sind und über deren Anwesenheit ich mich sehr freue für die faire Zusammenarbeit.

Rolf Berndt hat mich in den ersten Jahren als geschäftsführendes Vorstandsmitglied begleitet und Steffen Saebisch hat sich, als es Zeit wurde zu einer Reorganisation mit Verve in diese Aufgabe gestürzt. Steffen Saebisch war der richtige Mann zur richtigen Zeit. Es waren unterschiedliche Herausforderungen, aber gab immer vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen beiden. Claudia Groß und Kirstin Härtig waren meine engsten Mitarbeiterinnen für Büro und das Magazin liberal. Ohne sie hätte ich nicht die Arbeitsfähigkeit gehabt, die an der Spitze unserer Stiftung gebraucht wird. Mein Fahrer Wilfried Wronker, der einen Teil seines Lebens seit 1995 mit mir verbracht hat, spricht von mehreren Umrundungen der Erde. Es hat eine Zusammenarbeit in außerordentlich guter Atmosphäre gegeben, die niemand von uns vergisst und vergessen wird.

Das Distanzangebot erlegt Stiftungen eine gewiße Distanz zur jeweiligen Partei, der sie sich familiär verbunden fühlen. Auch wir, die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, sind nicht die FDP. Unser gegenteiliges Schicksal ist uns aber deshalb nicht gleichgültig. Als die FDP dem Bundestag nicht mehr angehörte, habe ich gemeinsam mit Christian Lindner im schwierigen Jahr 2014 gemeinsame Veranstaltungen gemacht. Sie waren nicht einfach. Er war aber gut, klar und entschlossen und das übertrug sich auch mehr und mehr. Christian Lindner hatte von Anfang an meinen Respekt, ich habe ihm das zugetraut. Ohne ihn wäre die FDP nicht erfolgreich gewesen und die Stiftung hätte abgewickelt werden müssen. Wir, die Stiftung gaben Hilfe zur Selbsthilfe. Wir haben es nicht bereut.

Bei meiner Familie muss ich mich eher entschuldigen, sie hat mein überwiegend politisches Leben begleitet, das war nicht immer einfach. Meine Frau Marlies, meine Töchter Stefanie und Kristina haben sich nach einer gewißen Zeit daran gewöhnt, der Standesbeamte hatte zwar meine Frau eindringlich auf dieses Leben hingewiesen, auf dass sie gewillt sei, sich nun einzulassen, aber ich fürchte, so recht hat sie die Dimension anfangs nicht für möglich gehalten. Sie hat schließlich ihren Frieden damit gemacht, und ich danke ihr dafür ganz besonders herzlich.

Ich scheide nun zusammen mit dem langjährigen Vorstandsmitglied, Wolf-Dieter Zumpfort, aus dem Vorstand der Stiftung aus. Wolf-Dieter Zumpfort hat engagiert sehr sehr viele Jahre Verantwortung getragen. Wir haben beide schon vor längerer Zeit entschieden, war wir aufhören wollten. Wir gehen jetzt aus unseren Ämtern. Wir wünschen dem neuen Vorstand unter Karl-Heinz Paqué Erfolg. Wir werden nicht über die Flure laufen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Arbeit abhalten. Wir freuen uns auf gelegentliche Begegnungen. Wir lösen uns nicht in Luft auf.

Wir sagen ganz einfach: Auf Wiedersehen!