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Italien
Italien hat gewählt – Rechtsbündnis erzielt klare Mehrheit

Giorgia Meloni
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Gregorio Borgia

Auf Mario Draghi folgt in Italien nun die erste rechtsextreme Ministerpräsidentin

Zum ersten Mal wird ein Gründungsmitglied der EU von einer rechtsextremen Ministerpräsidentin regiert werden, Giorgia Meloni. Ihre Partei „Fratelli d’Italia“ („Brüder Italiens“) mit teils postfaschistischen Wurzeln kommt auf 26,1% der Stimmen, gefolgt von der sozialdemokratischen Partei „Partito Democratico“ mit 19,1% der Stimmen. Mit herben Verlusten, aber immerhin noch als dritte Kraft, kann sich die linkspopulistische Formation „Movimento 5 Stelle“ („5-Sterne-Bewegung“) behaupten, sie kommt auf 15,3%. Es folgen Melonis Bündnispartner, die „Lega“ („Liga“) von Matteo Salvini und Silvio Berlusconis „Forza Italia“ („Vorwärts, Italien“) mit 8,9% bzw. 8,3% der Stimmen. Beide Parteien verlieren stark, was das Ergebnis der Parteien rechts der Mittel insgesamt relativiert. Das Rechtsbündnis, das sich zu einer Vorwahl-Koalition zusammengeschlossen hatte, kommt auf 43,8% und kann aufgrund des neuen italienischen Wahlrechts (einer Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht), das Vorwahl-Koalitionen begünstigt, die neue italienische Regierung bilden. Eine überwältigende rechte Mehrheit im Land gibt es aber nicht.

Die einzigen Parteien, die sich in der politischen Mitte oder weiter links zu einem solchen vielversprechenden Wahlbündnis im Vorfeld der Wahl zusammenraufen konnten, waren das Linksbündnis Centro Sinistra und eine liberale Koalition: Letzterer gehören die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, „Italia Viva“ („Lebendiges Italien“), und die Partei „Azione“ („Aktion“), gegründet von Renzis ehemaligem Wirtschaftsminister Carlo Calenda, an. Beide kommen zusammen auf 7,8% der Stimmen, was einen Achtungserfolg bedeutet. Hoch anzurechnen ist es beiden Parteiführern, dass es ihnen trotz erheblicher persönlicher Animositäten gelungen ist, dieses Bündnis überhaupt zu formen. Die dritte liberale Partei in Italien, „+Europa“ von Emma Bonino, war Teil vom Linksbündnis Centro Sinistra und kommt nur auf 2,8%. Auch alle weiteren zur Wahl angetretenen Parteien blieben unter 5%.

Damit wird klar, dass der rechte Wahlerfolg zu einem Teil auch auf das Unvermögen der anderen Kräfte zurückgeht, Eitelkeiten und programmatische Differenzen angesichts der drohenden Populismus-Welle von rechts zurückzustellen. Nun wird man allerdings abwarten müssen, ob sich der Vorwahl-Frieden der rechten Bündnispartner auch in der Regierung als tragfähig erweisen wird. Die arg zurückgestutzten Parteien „Lega“ und „Forza“ (minus 8,5 bzw. 5,9 Prozentpunkte) dürften aus purer Vaterlandsliebe allein jedenfalls kaum darauf verzichten wollen, sich in den kommenden Jahren in der Regierung zu profilieren. Denn sie stehen nun unter extremem Druck, gegenüber ihren Wählern ihre Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen.

Drei Fragen, Drei Antworten zur Italien-Wahl mit Nicole Westig, MdB für die FDP

  • Das Ergebnis der Wahlen in Italien gibt Anlass zur Sorge. Allerdings sollten wir nicht in Alarmismus verfallen, sondern genau hinschauen. Wir müssen Giorgia Meloni an ihren Taten messen, nicht an ihren Worten.  Hier in Rom wird kein Kurswechsel mit Blick auf die Ukraine und die Sanktionen erwartet. Meloni hat sich dazu immer bekannt und ihre Bündnispartner von Forza Italia und der Lega haben vergleichsweise schlecht abgeschnitten, so dass ihr Einfluss gering bleiben wird.

  • Hinsichtlich der Europapolitik ist Italien fest eingebunden in die EU und zu abhängig von ihr, als dass Meloni wohl riskante Manöver wie einen „Italexit“ wagen würde. Wir sollten die Entwicklung genau beobachten, aber gleichsam Italien weiterhin auf Augenhöhe begegnen. Ratschläge aus Brüssel, wie Italien zu wählen habe wie jüngst die von Kommissionspräsidentin von der Leyen, sind hier vor Ort sehr kritisch aufgenommen worden.

     

  • Die italienische Innenpolitik könnte Anlass zur Sorge bereiten, wenn etwa Frauenrechte beschnitten oder Minderheiten diskriminiert werden sollten. Das haben unsere Gespräche mit Vertretern der LGBTI-Community ergeben. Auch müssen wir achtgeben auf jegliche Signale von cancel Culture oder Anzeichen von Einschränkungen der Presse- oder Meinungsfreiheit .

    Bei aller Sorge um die Zugewinne der Rechtspopulisten darf auch das gute Abschneiden der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung nicht ungeachtet bleiben, ebenso die geringe Wahlbeteiligung. Immerhin konnten die liberalen Kräfte, die auf unterschiedlichen Listen angetreten sind, mit gut 10 Prozent einen leichten Erfolg verzeichnen. Das freut mich als Freie Demokratin für unsere italienischen Partner

  • Bewährungsprobe für Europa: die disruptive rechte

    Es muss als tragisch für das Land bezeichnet werden, dass auf den Technokraten Mario Draghi, der mit seinem Vielparteienbündnis europaweit Respekt für seine ambitionierten Reformpläne zur Umsetzung der „Next-Generation-Mittel“ der EU erlangt hatte, nun eine Rechtspopulistin folgt, die die Chance auf eine umfassende Modernisierung Italiens wohl verstreichen lassen wird und die der EU äußerst kritisch gegenübersteht. Das sorgt in Brüssel für Unruhe. Kommissionspräsidentin von der Leyen gab während eines Aufenthalts in Princeton noch vor der Wahl zu Protokoll, dass die EU mit jeder demokratischen Regierung zusammenarbeiten werde. Mit Blick auf Ungarn und Polen verwies sie im gleichen Atemzug aber auch auf den Instrumentenkasten der EU, sollten die „Dinge in eine schwierige Richtung gehen“. Das kam in Italien nicht überall gut an.

    Wie verherrend der Wahlsieg der Rechten für Europa am Ende sein wird, ist noch nicht endgültig ausgemacht. Etwas Hoffnung macht in dieser Hinsicht, dass Meloni in der Schlussphase des Wahlkampfs allzu schrille Töne unterbleiben lies und ihr das offensichtlich noch einmal einen Schub an Wählerstimmen aus der Mitte gegeben hat – und sie damit nun auch weniger radikalen Wählergruppen verpflichtet ist. Im Ukraine-Krieg hat sie sich klar auf die Seite der Ukraine und der westlichen Allianz gestellt. Anders als Salvini und Berlusconi steht sie auch dem russischen Despoten Putin nicht nahe, was in diesen Zeiten immerhin für etwas Erleichterung sorgt. Insbesondere die Sanktionspolitik könnte aber für Streit in der Rechts-Regierung sorgen, sollten die italienische Bevölkerung und die Wirtschaft unter den hohen Energiepreisen und den Exportrückgängen künftig noch stärker ächzen als bislang.

    Für Migranten, LGBTIQ-Individuen und andere Minderheiten stehen unruhige Zeiten an. Am Ende könnten es weniger offizielle Gesetzgebungsverfahren als ein aufgestachelter Teil der Bevölkerung sein, der sich  - wie andernorts auch - durch die politischen Erfolge der extremen Rechten dazu verleiten lässt, verbalen oder physischen Hass im Alltag auszuleben – Meloni selbst sprach davon, dass das bislang Unsagbare nun gesagt werden dürfe. Dabei trifft Meloni die ultrakonservative Grundstimmung Vieler im Land wohl sehr gut, denn Italien hinkt auch mediterranen Partnern wie beispielsweise Spanien hinsichtlich gesellschaftspolitischer Gesetzgebung und gesellschaftlicher Toleranz ohnehin noch weit hinterher. Die EU und die europäischen Partner sollten deshalb genau hinschauen, ob der italienische Staat weiterhin seine Mitbürger und Mitbürgerinnen mit der Verve schützt, die man von einem Gründungsmitglied der EU erwarten darf.

    Ein neues Wahlrecht und die im Jahr 2021 per Referendum beschlossene Verkleinerung der der beiden Kammern des italienischen Parlaments haben unterdessen nicht für eine größere Begeisterung der Italiener für die Ausübung ihres Wahlrechts gesorgt. Trotz bis 23:00 Uhr geöffneter Wahllokale lag die Wahlbeteiligung am Ende bei nur 64% - die geringste der Nachkriegszeit.

    Die Wahlanayse verfasste David Henneberger. Er leitet das Büro in Madrid mit Zuständigkeit für Spanien, Italien, Portugal und ein neues regionales Mittelmeer-Dialogprogramm.

    Die Fragen im Interview stellte Rahel Zibner, Programm-Managerin der  Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Madrid.