125. Todestag
Liberal, modern, schnell: Leopold Ullsteins Medienrevolution
Leopold Ullstein war einer der bedeutendsten liberalen Medienunternehmer in Deutschland. Er revolutionierte das Pressewesen, produzierte die auflagenstärksten Zeitungen und ersten Illustrierten und gründete 1877 den nach ihm benannten Verlag. Bis zur Enteignung durch die Nationalsozialisten entwickelte sich daraus eines der größten Verlagshäuser Europas, das auch erfolgreich mit dem deutschnationalen Konzern Hugenbergs, einem der Steigbügelhalter Hitlers, konkurrieren konnte. Die NS-Zeit überlebte ein Teil der Familie Ullstein nicht, andere verstarben im amerikanischen Exil. Die verbliebenen Familienmitglieder erkämpften sich in der frühen Bundesrepublik zurück, was vom Verlag übriggeblieben war. 1959 erwarb dann Axel Springer das Unternehmen als Kern seines Konzerns, der sich am ersten Stammsitz Ullsteins im traditionellen Berliner Medienviertel an der Kochstraße niederließ.
Doch wie gelang es dem 1826 im fränkischen Fürth geborenen und unweit der dortigen Synagoge aufgewachsenen Löw Uhlstein (so der ursprüngliche Name), ein derart kraftvolles Presse- und Medienhaus aufzubauen? Er entstammte einer jüdischen Familie, die großen Wert auf eine aufgeklärte religiöse und ethische Bildung in der Nachfolge Moses Mendelssohns legte. Diese Tradition wurde liberal verstanden und prägte auch die Generation Leopold Ullsteins. Kein Zufall, dass er später in Berlin dem bedeutenden Netzwerk junger Aufklärer, der Gesellschaft der Freunde, angehörte. Dieser ursprünglich jüdische Hilfsverein hatte sich zu einem wichtigen informellen Zentrum der – auch teilweise nicht-jüdischen – Bildungseliten von Kultur, Handel und Medien in der Reichshauptstadt entwickelt.
Leopolds Vater hatte in Fürth eine Druckerei und Papiergroßhandlung mit überregionaler Ausstrahlung betrieben, die er schon früh in die Hände seiner Söhne übergab. So übernahm der gerade 19-jährige Leopold nach kurzer kaufmännischer Ausbildung gemeinsam mit seinen Brüdern den väterlichen Handel. Schnell expandierten sie nach Leipzig – in der Mitte des 19. Jh. der zentrale Umschlagplatz für alles, was mit Druck, Papier und Verlagen zu tun hatte. Schon bald aber verließ Leopold das Familiengeschäft, siedelte nach Berlin über und gründete dort sein eigenes Unternehmen: Er wollte mehr als „Handel und Wirtschaft“, wollte den entstehenden politischen Massenmarkt begleiten und an der Meinungsbildung mitwirken. Ein ausgesprochen mutiges und riskantes Unterfangen, denn in den Jahren nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848/49 erlebte die preußische Hauptstadt zwar neuen wirtschaftlichen Aufschwung, doch im politischen Presse- und Verlagswesen drohte mindestens Zensur, wenn nicht Repression und Verhaftung.
Erfolgreich manövrierte er sein Unternehmen durch diese Jahre, bis sich die politische Lage entspannte. Ullstein, der seine breite kulturelle Bildung mit ökonomischer Kompetenz und einer freisinnigen Orientierung verband, engagierte sich zunächst auch politisch. Er sympathisierte mit der 1861 als erste deutsche Partei gegründeten liberalen Fortschrittspartei und initiierte über die 1870er Jahre als Berliner Stadtverordneter an der Seite Rudolf Virchows die Modernisierung der städtischen und sozialen Infrastruktur. Nach fast einem Jahrzehnt politischer Tätigkeit kam dann die Zäsur: Mit dem Kauf von zwei angeschlagenen Berliner Tageszeitungen und der Verlagsgründung wechselte Ullstein endgültig in die sich gerade rasant wandelnde Medienwelt.
Zeitung wolle er machen, „freisinnig und unabhängig von allem Cliquen- und Parteiwesen“. Das war insofern innovativ, als viele, vor allem auch größere Zeitungen fest mit Parteiverlagen verknüpft waren und meist für eine eng umrissene Zielgruppe, die eigene Blase, publizierten. Ullsteins Konzept war es, mit neuen Ansätzen in der Berichterstattung und medialen Aufbereitung Meinungsbildung auch jenseits fester Milieus zu betreiben, was ihm anfangs mit der „Berliner Zeitung“ und dann besonders mit der in Bürgertum und Arbeiterschaft gelesenen „Berliner Morgenpost“ gelang. Sie wurde zum Flaggschiff des Verlags und bald zur deutschlandweit auflagenstärksten Tageszeitung. Ullstein traf den Nerv der Zeit; seine Medien waren populär, die Abonnentenzahlen ebenso hoch wie die verkaufte Auflage. Entsprechend erfolgreich war auch das Anzeigengeschäft. Zudem erkannte er frühzeitig die Bedeutung visueller Aufbereitung: Im Dezember 1891 erschien bei Ullstein die erste Nummer der „Berliner Illustrirten Zeitung“, die in den folgenden Jahren zum Prototyp der neuen Illustrierten wurde.
Die liberale Leitlinie verließ er dabei nicht. Das brachte ihm und seinen Redakteuren häufig genug Anklagen ein, nicht selten wegen angeblicher Majestätsbeleidigung; nicht selten verteidigte er als Herausgeber vor Gericht die Presse- und Meinungsfreiheit. Ernsthaft behindern konnten Staat und Regierung den Aufstieg seiner Presseorgane aber nicht – der Ullstein Verlag blieb das wichtigste Sprachrohr liberaler Politik. Allerdings hatte die Popularität seiner Zeitungen nicht nur mit der freisinnigen Haltung zu tun, sondern ebenso mit Ullsteins unternehmerischer Kreativität: Die Chancen im entstehenden Massenmarkt wurden genutzt; Beilagen dienten der Unterhaltung oder den speziellen Interessen der Leserschaft – etwa „Die Gerichtslaube“ als juristisches Beiblatt. Auch setzte er frühzeitig auf neue technische Mittel, den automatisierten Betrieb oder die Nutzung von Telegraph und Telefon, um dem wachsenden Bedürfnis nach Informationen in der globaler werdenden Welt zu entsprechen. Kurz nach 1900 erwarben sich seine Medien den Ruf der „schnellsten Zeitung der Welt“ – nur acht Minuten benötige es von der telefonischen Durchsage der letzten Börsenkurse bis zur Auslieferung des Blattes mit den neuesten Zahlen, dreimal am Tag.
Als Ullstein vor 125 Jahren, am 4. Dezember 1899, verstarb, galt er als breitenwirksamster liberaler Meinungsmacher im Kaiserreich – mit Mut zum Risiko, Innovationskraft, kommunikativer Kompetenz und einer immer erkennbaren freisinnigen Haltung.