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Frankreich
Frankreich hat einen Premierminister – wie lange geht das politische Experiment von Emmanuel Macron gut?

François Bayrou

François Bayrou ist Frankreichs neuer Premierminister.

© picture alliance / abaca | Blondet Eliot/ABACA

Die Hinweise hatten sich bereits in den Tagen unmittelbar nach Entlassung des ehemaligen Premierministers Michel Barnier verdichtet: Nach einigem Tauziehen setzte sich der zentristische Modem-Politiker François Bayrou gegenüber anderen Anwärtern durch. Was bedeutet die Ernennung Bayrous für Frankreich und Europa?

Der 73-jährige Vorsitzende der Zentrumspartei Mouvement Démocrate (MoDem, Renew Europe-Mitglied) hat während seiner politischen Laufbahn mehrere Ministerämter innegehabt. 2017 musste er jedoch bereits nach einem Monat als Justizminister zurücktreten, da gegen ihn der Verdacht bestand, Scheinbeschäftigungen auf EU-Kosten geduldet zu haben. Im Februar dieses Jahres wurde Bayrou von diesen Vorwürfen der Veruntreuung freigesprochen. Seit 2020 leitet er das eigens für ihn wiedereingerichtete Hohe Kommissariat für Planung und Vorausschau und ist zugleich als Bürgermeister seiner Heimatstadt Pau im Südwesten Frankreichs tätig.

Ebenfalls im Gespräch für den Premierposten war Roland Lescure, ehemaliger Industrieminister unter Macron, den Macron nach Berichten von Le Monde  eigentlich zum Premierminister ernennen wollte. Jedoch soll François Bayrou damit gedroht haben, die Unterstützung seiner Partei zur Präsidentenmehrheit zu entziehen, wenn er nicht als Premierminister ernannt würde, was Macron schließlich überzeugte. Ein weiterer Kandidat, der ehemalige sozialistische Verteidigungsminister unter François Hollande und ehemalige Außenminister und Sonderbeauftragter für den Libanon unter Emmanuel Macron, Jean-Yves le Drian, hatte wohl mit Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter abgelehnt.

Bayrou muss nun eine Regierungsmannschaft auf die Beine stellen und möchte im Rahmen einer schlankeren Kabinettsbesetzung[1] sowohl Konservative, Zentristen als auch linke Persönlichkeiten in seine Regierung integrieren. Die sozialistische Partei PS hat allerdings schon deutlich gemacht, PS-Politikern ihre Parteiangehörigkeit zu entziehen, sollten sie Teil der Regierung werden.

Unterstützer gesucht

Es ist davon auszugehen, dass Bayrou neben der naturgemäßen Unterstützung aus dem Präsidentenlager auch die Unterstützung seitens der Républicains erhalten wird und diese Teil der neuen Regierung werden. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, ist Bayrou doch 2007 nach Gründung von Modem im Präsidentschaftswahlkampf gegen Nicolas Sarkozy angetreten und hat 2012 dessen Wiederwahl verhindern können. Die Républicains machen ihre Unterstützung allerdings noch von dem Fahrplan Bayrous abhängig, der bald im Rahmen einer Ansprache genauere Auskünfte über seinen politischen Kompass und konkrete Regierungsvorhaben geben wird.

Zudem bleibt unklar, ob der moderate Kandidat, der nicht für einen fundamentalen Kurswechsel der macronistischen Linie steht, auch von Teilen der französischen Linken unterstützt werden wird. Die linken Parteien, darunter LFI, PS, Ecologistes und Communistes, bilden als Nationale Volksfront (NFP) ein Bündnis. Wie Macron ist François Bayrou dafür bekannt, die traditionelle „Rechts-Links“-Spaltung, die das französische politische System charakterisiert, überwinden zu wollen. Dennoch wird Bayrou mit seiner Haltung insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik – er steht für Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftsreformen im Sinne Macrons – vermutlich nur bedingt Anschluss zum politischen Programm der Linken finden. Andererseits ist seine Nähe zur Sozialdemokratie und seine Unterstützung Hollandes 2012 sowie seine Sympathiebekundungen für den ehemaligen Sozialisten Bernard Cazeneuve, für dessen Kandidatur er sich als Alternative zu Michel Barnier offen zeigte, eine Handreichung zum linken Lager. Getrübt werden die Hoffnung auf eine Unterstützung der linken Parteien jedoch durch die ersten Reaktionen aus dem NFP-Lager: So wertete Olivier Faure, erster Sekretär der PS, die Ernennung von François Bayrou sogleich als „Weiter so“ und zeigte sich bestürzt über die Entscheidung. Die grüne Parteichefin Marie Tondelier sprach sogar von einem „Boulevardtheater“ und machte deutlich, dass sie nicht Teil der Regierung sein werden. Inwieweit ist eine politische Einigung über verschiedene Lager hinweg also möglich, da keine der politischen Formationen über eine absolute Mehrheit verfügt?

Eine große Koalition à la française ?

Die Idee einer großen Koalition im Sinne einer lagerübergreifenden Zusammenarbeit hatte Emmanuel Macron bereits nach den Neuwahlen Anfang Juli eingebracht. Auch damals hatte er bereits der sozialistischen Partei und den Grünen die Hand ausgestreckt, die diese aufgrund seiner Weigerung, einen linken Premierminister ins Amt zu heben, dankend ablehnten. Warum sollte der Schachzug also dieses Mal gelingen? Bei der PS gab es weiterhin bis zuletzt noch Hoffnung, Macron würde sich erbarmen, doch noch einen klar als links ausgewiesenen Kandidaten benennen. Doch diese Option fand im Präsidentenlager als auch bei den Républicains, die die Regierung weiterhin mittragen sollen, wenig Widerhall, wie der Vorsitzende der Renaissance-Fraktion im Senat, François Patriat, deutlich machte.

Bayrou muss also mit einem anderen Angebot aufwarten: So stellt er alternativ ein Abkommen mit jenen politischen Kräften in Aussicht, die sich dazu bereit erklären, bei künftigen Misstrauensanträgen der Opposition nicht mitzustimmen, ohne direkt Teil der Regierung zu sein, diese aber zu tolerieren. Im Gegenzug haben PS und Ecologistes bereits klar deutlich gemacht, dass sie inhaltliche Zugeständnisse erwarten, insbesondere die Diskussion um die Rentenreform erneut aufzumachen und Maßnahmen im Sinne der Kaufkraft der Französinnen und Franzosen einzuführen. Zudem verlangen sie von der Regierung, dass diese sich dazu verpflichtet, die französische Nationalversammlung nicht noch einmal mittels des Artikels 49.3 zu umgehen, der die Regierung ermächtigt, Gesetze ohne Parlamentsabstimmung zu verabschieden. Diese Forderung der Linken findet sich in einem Schreiben der PS an den frisch ernannten Premierminister Bayrou und ist Teil der für den 16. und 17. Dezember terminierten Gespräche, die François Bayrou mit allen politischen Fraktionen (ausgenommen LFI, die ihre Teilnahme verweigerten) führen wird. Aus deutscher Sicht mag die Forderung, das Parlament in den Gesetzgebungsprozess einzubeziehen, wie eine demokratische Selbstverständlichkeit erscheinen, doch war der regelmäßige Gebrauch des 49.3-Artikels zuletzt in Frankreich die einzige Möglichkeit, aus der politischen Patt-Situation noch herauszukommen und als Regierung handlungsfähig zu sein.

Natürlich kann auch ein solches Abkommen, wie Bayrou es vorschlägt, nicht verhindern, dass weiterhin Misstrauensanträge insbesondere von der radikalen Linken, La France Insoumise (LFI), eingebracht werden. Allerdings zeigen die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten im Gegensatz zu LFI ihre Bereitschaft, diesen Anträgen künftig nicht mehr zuzustimmen, wenn die Regierung zu inhaltlichen Zugeständnissen bereit ist und sich nicht vom RN abhängig macht. Damit würden sie ihr Verhalten strategisch ändern, schließlich stimmten sie noch am 4. Dezember zusammen mit dem Rassemblement National dem von LFI eingebrachten Misstrauensantrag zu, der Michael Barnier zu Fall brachte.

Die Spaltung innerhalb der nationalen Volksfront (NFP) wäre damit de facto vollzogen, da sich insbesondere die PS zuletzt klarer von LFI abgrenzte. Letztere fordern im Gegensatz zu den Sozialisten nicht weniger als den Rücktritt des Staatspräsidenten, doch Emmanuel Macron hatte bereits trotz historisch schlechter Umfragewerte (3/4 aller Franzosen sind mit ihm als Präsidenten unzufrieden) mehr als deutlich gemacht, dass er gedenkt, seine Amtszeit bis zum Ende, also 2027, wahrzunehmen. Aus französischer Sicht scheint es ein bisschen so, als schwebte Macron über den Dingen. Auch hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zum politischen System in Deutschland, wie die Vertrauensfrage von Olaf Scholz nach dem Bruch der Regierungskoalition zeigt. Die Machtbefugnisse des französischen Präsidenten sind indes ungleich größer, wenngleich die Bedeutung des Parlaments im französischen politischen System aufgrund der unklaren Machtverhältnisse durchaus zugenommen hat.

Das zukünftige Verhältnis zum Rassemblement National

In diesem politischen Dickicht ist auch die Haltung des Rassemblement National interessant, das Anfang Dezember noch mit den linken Kräften zusammen für den Misstrauensantrag gegen Barnier gestimmt hat. Als Reaktion auf die Ernennung Bayrous als Premierminister stellte das RN in Aussicht, die Regierung künftig zu tolerieren, schließlich fordert Bayrou seit Langem, wie auch der RN, die Einführung des Verhältniswahlrechts, wodurch das RN zukünftig stärker in der französischen Nationalversammlung repräsentiert würde.

Somit stellt sich die Frage, ob die Ernennung von Bayrou vor allem den RN ruhigstellen soll, auf deren Unterstützung bzw. Duldung Macron angewiesen ist. Anders als bei Barnier könnte diese Rechnung mit Bayrou aufgehen, gilt er doch in politischen Kreisen als vertrauensvoller und brückenbauender Vermittler. Ein handfester Pakt mit dem RN wäre allerdings eine rote Linie für das linke Lager, das damit seine Duldung der Regierung wieder in Frage stellen könnte.

Wichtige Baustellen stehen an

Eine handlungsfähige Regierung zu haben, scheint das oberste Gebot der Stunde für Staatspräsident Macron, der sich angesichts einer Schuldenstandsquote von 112,2 Prozent und einem Defizit von bis zu 6% Ende 2024 die Kritik gefallen lassen muss, trotz liberaler Wirtschaftsreformen die französischen Finanzen außer Kontrolle geraten lassen zu haben. Die Verschuldungsrate nun endlich in den Bereich des von den Maastrichter Kriterien vorgegebenen Rahmens von 60% Neuverschuldung zu lenken, hat damit oberste Priorität und scheint mit einem zentristischen Kandidaten wahrscheinlicher als einem linken Politiker, so auch der Konsens während einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. François Bayrou betitelte diese Herausforderung in seiner ersten Ansprache am 13. Dezember sogleich als Himalaya, den es zu erklimmen gelte. Da auch in Expertenkreisen aufgrund der politisch instabilen Verhältnisse nicht von einer baldigen Haushaltskonsolidierung ausgegangen wird, stufte die Rating-Agentur Moodys Frankreichs Kreditwürdigkeit ein paar wenige Stunden nach Bayrous Ernennung auf Aa3 herab. 

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Zudem muss sich Frankreich mit seinen europäischen Partnern vor dem Hintergrund der Wiederwahl Donald Trumps für die Weiterentwicklung der europäischen Verteidigungsfähigkeit einsetzen. Zwar ist Macron trotz der innenpolitischen Unwägbarkeiten weiterhin darum bemüht, seinen diplomatischen Tätigkeiten als Staatschef nachzukommen, wie zuletzt sein Besuch bei Donald Tusk zeigte, doch ist sein Ansehen und seine Schlagkraft auf dem europäischen Parkett durch die innenpolitischen Zerwürfnisse deutlich geschwächt. Noch ist nicht ausgemacht, ob die neue französische Regierung, die Premierminister François Bayrou nun zusammenstellen muss, den politischen Fliehkräften links und rechts standhalten wird. An Herausforderungen für die neue Regierung mangelt es jedenfalls nicht.

 

[1] Bislang hatten französischen Regierungen 38 Minister, inklusive der beigeordneten Minister. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es 17 Ministerposten.

Jeanette Süß ist seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienkomittee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) des französischen Instituts für internationale Beziehungen (Ifri). Zuvor war sie als European Affairs Managerin beim Brüsseler Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, wo sie unter anderem die Frankreich-Projekte der Stiftung betreute.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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